Heinrich Leonhardt: Entschlüsselung des epigenetischen Codes
07.09.2010 -
Vor unseren Genen gibt es kein Entrinnen. Auf ihnen sind unsere Erbinformationen gespeichert. Doch müssen diese Informationen bei der Ausdifferenzierung der Körperzellen auch richtig abgelesen werden, damit zum Beispiel auf der Leber keine Haare wachsen. An der Ludwig-Maximilians-Universität in München untersucht Professor Heinrich Leonhardt genau diese Ablese-Mechanismen. Epigenetik heißt das noch junge Forschungsfeld, das sich mit der Informationsebene über (= gr. epi) den DNA-Sequenzen beschäftigt. Leonhardt ist davon überzeugt, dass sich viele Krankheiten mit epigenetischen Fehlfunktionen erklären lassen.
„In jeder Zelle sind die gleichen Informationen angelegt“, erklärt Leonhardt, „der genetische Bauplan der Zellen ist also immer gleich.“ Und doch unterscheidet sich eine Leber- von einer Haarzelle. „Und genau hier kommt die Epigenetik ins Spiel, denn sie steuert, welche Teile des genetischen Bauplans tatsächlich abgelesen werden“, so der Biochemiker. „Nach der Verdoppelung der DNA werden einzelne Gene stillgelegt, die in dieser bestimmten Zelle nicht gebraucht werden.“ Leonhardt untersucht, wie diese Mechanismen genau funktionieren und entwickelt dabei außerdem neue Methoden für den Blick in lebende Zellen, zum Beispiel mit hochauflösender Lichtmikroskopie.
Erstes Wissen über Epigenetik in den 90ern
Während seiner Promotion am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin hörte Heinrich Leonhardt den Vortrag eines Forschers von der Harvard Medical School: Tim Bestor hatte kurz zuvor das erste Enzym isoliert, das nachweislich am Ablese-Prozess beteiligt war. Die sogenannte DNA-Methyltransferase markiert Gene, die in einer bestimmten Körperzelle nicht abgelesen werden sollen. „Schnell war klar, dass es nicht nur dieses eine Enzym sein kann, das diesen Prozess der DNA-Methylierung steuert“, erinnert sich Leonhardt. Das Interesse des jungen deutschen Forschers war geweckt und so fing er direkt nach seiner Promotion in Bestors Labor in Boston an. „Eine der besten Entscheidungen meines Lebens“, sagt Leonhardt heute.
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Als Leonhardt allerdings anschließend nach Deutschland zurückkehrte, gab es für ihn als Epigenetiker zunächst eine Durststrecke zu überstehen: Bei seinen ersten Stationen in der klinischen Forschung glaubte kaum jemand an die medizinische Relevanz der Erkenntnisse aus der Epigenetik, wie er sagt. Doch inzwischen hat sich das geändert. Leonhardt betreibt noch heute Grundlagenforschung – seit 2002 in München –, doch mit einem immer genaueren Blick auf Anwendungsmöglichkeiten: „Viele Krankheiten kann man allein über den genetischen Bauplan nicht erklären“, so Leonhardt. „Wir wissen zum Beispiel, dass es zu Tumorbildung kommen kann, wenn die DNA-Methylierung gestört ist.“ In einem seiner Forschungsprojekte untersucht er derzeit, welche Rolle ein fehlgesteuerter DNA-Ablese-Prozess bei Leukämie haben könnte. „Wenn wir den Fehler finden, können wir gezielte epigenetische Krebstherapien entwickeln.“
Heinrich Leonhardt an der LMU |
Heinrich Leonhardts Arbeitsgruppe Epigenetik an der LMU beschäftigt sich vorrangig mit der DNA-Methylierung in Säugerzellen. zur Epigenetik an der LMU: hier klicken |
Epigenetischer Code anfällig für äußere Einflüsse
Wie die DNA werden auch die epigenetischen Informationen bei der Zellteilung kopiert, doch im Unterschied zur DNA ist die Methylierung dabei anfälliger für äußere Einflüsse. „Lang anhaltender Stress kann durchaus zu epigenetischen Veränderungen führen“, so Leonhardt. Der 49-Jährige ist in Deutschland noch immer einer der wenigen Pioniere seines Fachgebietes, regelmäßig hält er Vorträge, auch vor fachfremden Publikum. Sehr schnell kommt in solchen Situationen die besorgte Frage auf, ob negative epigenetische Veränderungen vielleicht sogar vererbt werden können. „Abgesehen von wenigen Sonderfällen, nein!“ sagt Leonhardt: „Ernährung, Stress, ein sportlicher Lifestyle können sich durchaus in den beteiligten Körperzellen niederschlagen, aber an unsere Nachkommen können wir diese erworbenen Eigenschaften wie einen durchtrainierten, muskulösen Körper nicht vererben.“ Was für die einen schlechte Nachrichten sind, dürfte die anderen ungemein beruhigen. Verdienste werden ebenso wenig vererbt wie die Sündenfälle.
Autorin des Porträts: Ute Zauft