Regensburger DNA-Fabrikant Geneart wird von US-Riesen geschluckt

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Gene nach Belieben künstlich herstellen und neu zusammenfügen - das verfolgen Forscher in der Synthetischen Biologie, dem Geschäftsfeld der Regensburger Geneart. Quelle: Fotolia

13.04.2010  - 

Auf dem Labormarkt herrscht derzeit reichlich Bewegung, ein regelrechter Kaufrausch hat eingesetzt: Nur wenige Wochen nachdem der deutsche Pharmakonzern Merck nach dem US-Zulieferer Millipore gegriffen hat, geht jetzt die deutsche GeneArt AG an den US-Laborriesen Life Technologies. Rund 60 Millionen Euro wollen die Amerikaner für den börsennotierten Gen-Synthesespezialisten aus Regensburg bezahlen, der damit seine Selbständigkeit verlieren würde. Wie jedoch durchsickerte, plant der amerikanische Konzern, in Regensburg zu investieren. So soll in Bayern das Unternehmenszentrum für Synthetische Biologie entstehen.

Synthetische Biologie ist eines der aktuellen Zauberwörter in der Biotechnologie. Forscher wollen hierbei wie Ingenieure vorgehen und mit Hilfe des Gen-Werkzeugkastens der Natur neue Mikroorganismen konstruieren, die genau ihrem Zweck – etwa der Produktion eines bestimmten Proteins – angepasst sind. Für ihre Designer-Mikroben benötigen Forscher künstlich hergestellte Gen-Bausteine.

Auf die künstliche Herstellung von Erbinformations-Abschnitten im großen Stil hat sich die Firma Geneart AG in Regensburg seit ihrer Ausgründung von der Universität im Jahr 1999 spezialisiert. Schon heute stellt Geneart nicht nur Gene im Kundenauftrag her, sondern optimiert sie mit einer speziellen Methode auch noch. Damit hat das Unternehmen den Markt und die Forschung verändert.

Geneart-Gründer Ralf Wagner, hier 2006 beim Börsengang in Frankfurt, hat seine Anteile an der Gensynthese-Firma bereits an Life Technologies verkauft.Lightbox-Link
Geneart-Gründer Ralf Wagner, hier 2006 beim Börsengang in Frankfurt, hat seine Anteile an der Gensynthese-Firma bereits an Life Technologies verkauft.Quelle: Geneart AG

War Anfang der 1990er Jahre die Klonierung eines Gens noch das respektable Ergebnis einer ganzen Doktorarbeit, lassen sich heute komplette Gene aus einem Katalog bestellen. Die Lieferung erfolgt innerhalb weniger Wochen. Kunden von Geneart sind nicht nur akademische Institute, sondern auch die meisten der Top20-Pharmakonzerne. In der Vergangenheit wickelten die Regensburger mehrere Referenzprodukte ab, unter anderem für das US-Gesundheitsministerium. Auch für das erste synthetische Bakteriengenom des US-Pioniers Craig Venter lieferte Geneart DNA-Bausteine (mehr...).

Hoffnung auf Synergien

Der neue Mutterkonzern Life Technologies – entstanden aus der Fusion von Invitrogen und Applied Biosystems – gehört in der Sequenzierung zu den führenden Unternehmen der Welt. Das Geneart-Management hofft nun auf Synergien. Kündigungen, so Unternehmensgründer Ralf Wagner, seien „mit Sicherheit“ ausgeschlossen. Die derzeit 180 Mitarbeiter müssten sich keine Sorgen machen. Auch für die Aktionäre könnte sich die Übernahme lohnen. Jeder Anteilseigener, der auf die Offerte von Life Technologies eingeht, kann schon jetzt 13,75 Euro kassieren – ein ordentlicher Preisaufschlag. Notierte die Aktie an der Frankfurter Börse im Februar doch bei weniger als der Hälfte. Zuvor hatte sich der Kurs der Aktie nicht gut entwickelt, so dass der Übernahmepreis ungefähr auf Basis des Unternehmenswertes zum Zeitpunkt des Börsenganges im Jahr 2006 liegt. Trotzdem haben die Gründer um Wagner sowie Genearts Wagniskapitalinvestoren S-Refit und EquiNet Early Stage bereits ihre Anteile verkauft, so dass Life Technologies schon jetzt mit 58% die Mehrheit an Geneart besitzt.  

Geneart AG

Das Unternehmen für die künstliche Gensynthese wurde 1999 als Spin-Off der Universität Regensburg gegründet. Heute ist die börsennotierte Biotech-Firma Weltmarkführer in der Genproduktion für die Synthetischen Biologie.

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Die Aktionäre haben noch bis zum 25. Mai Zeit, sich zu entscheiden. Findet das Angebot keine ausreichende Resonanz, halten Insider eine Erhöhung des Angebotes nicht für ausgeschlossen. Institutionelle Investoren wie Aktienfonds halten derzeit annähernd 30% der Aktien, lediglich 12% befinden sich in den Händen von Kleinaktionären. Die Verhandlungen werden dadurch für Life Technologies, das über seine deutsche Tochter Applied Biosystems GmbH bietet, wesentlich einfacher. Ob der Vorstand und der Aufsichtsrat ihren Aktionären empfehlen, das Angebot anzunehmen, ist derzeit noch nicht klar. Eine entsprechende Stellungnahme wird aber noch in dieser Woche erwartet. In einer Telefonkonferenz beteuerten Wagner & Co zu bleiben – zumindest „in der vorhersehbaren Zukunft“, wie der Regensburger Professor beteuert.

Jahresumsatz von mehr als drei Milliarden US-Dollar

Die beiden Vorstände Markus Graf und Bernd Merkl werden in ein Aktienoptionsprogramm von Life Technologies aufgenommen, wohl um ihnen einen Verbleib schmackhaft machen zu können. Zusammen mit Life Technologies könne Geneart „Gensynthese auf das nächste Level heben“, so der Finanzvorstand Daniel Seibert. Der Laborriese Life Technologies verfüge nicht nur über einen Jahresumsatz von 3,3 Mrd. US-Dollar und rund 9.000 Mitarbeiter, sondern auch über eine Verkaufsmannschaft von 3.000 Personen. Den zumeist kleinen Wettbewerbern von Geneart könnte Angst und Bange werden. Schon in den vergangenen Jahren sei deren Zahl von 30 auf drei gesunken.

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Grund dafür ist ein vernichtender Preiskrieg, den sich die Gensynthesespezialisten in den vergangenen Jahren geliefert haben. Auch Geneart hatte die Produktionsmethode immer weiter automatisiert und die Kapazitäten gleichzeitig ausgebaut, um Umsatz und Gewinn nicht zu gefährden. Mit dem Jahresumsatz 2009 hatte Geneart die Erwartungen der Analysten gerade leicht übertroffen. Die Einnahmen stiegen von 15,7 Mio. Euro auf 17,2 Mio. Euro. Allerdings sank der Gewinn um rund eine halbe Million Euro auf nur noch 330.000 Euro. Aufgrund eines positiven Cashflows konnten die Barmittel aber auf 7,8 Mio. Euro ausgebaut werden. Im laufenden Jahr werden weitere Investitionen in die Produktion der synthetischen Gene erforderlich sein, um die Position als Marktführer verteidigen zu können. 

Gene nach Marke Eigenbau

 Geneart ist eine Ausgründung der Universität Regensburg. Seinerzeit benötigte die Arbeitsgruppe des HIV-Forschers und Universitätsprofessor Ralf Wagner, Leiter des Bereichs HIV-Impfstoffentwicklung & Gentherapie am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene der Universtität Regensburg, für die Entwicklung eines neuartigen AIDS-Impfstoffs einen Satz künstlicher Gene. Doch die einschlägigen Anbieter boten diese seinerzeit nur zu hohen Preisen an. Kurzerhand beauftragte der Molekularbiologe seinen Doktoranden Markus Graf mit der Synthese der benötigten Gene, die schließlich im Experiment gute Testergebnisse lieferten.

Beflügelt vom Gründergeist der Jahrtausendwende erkannten die Wissenschaftler die wirtschaftliche Relevanz ihrer Erfindung schnell und machten sich selbständig. Im Jahr 2000 trat Geneart aktiv in den Markt ein. Im Juli 2000 konnte mit den Mitteln der S-Refit AG das erste Seed-Capital in Höhe von 380.000 Euro eingeworben werden. Zwei Jahre später konnten Wagner & Co die erste – und einzige – Finanzierungsrunde des Unternehmens in Höhe von 2,2 Mio. Euro durchführen. Investoren: wieder die S-Refit sowie EquiNet EarlyStage Capital. Im Jahr 2006 folgte schließlich der Börsengang in Frankfurt  - als eines der wenigen deuschen Biotech-Unternehmen, die diesen Sprung überhaupt wagen (mehr...).

Suche nach einem Impfstoff gegen HIV

Nicht zuletzt aufgrund der HIV-Expertise des Firmengründers Wagner beteiligen sich die Geneart-Forscher aber immer noch an der Entwicklung möglichst effizienter Impfstoffkandidaten zur Behandlung von HIV-Infektionen. In Kooperation mit anderen Wissenschaftlern  - etwa dem Regensburger Forscher Hans Wolf, der das Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Regensburg leitet und mit an der Gründung des Unternehmens beteiligt war - geht es beispielsweise darum, bestimmte Gen-Einzelteile von in China verbreiteten HI-Viren-Stämmen nachzubilden und so zu verändern, dass das Immunsystem darauf aufmerksam wird. Hier konnten die Forscher zuletzt sogar einige Erfolge verbuchen (mehr...). Darüber hinaus kooperiert Geneart in einem vom Bundesforschungsministerium unterstützten Projekt mit anderen europäischen Biotechnologie-Firmen, um Impfstofftechnologien weiter zu verbessern (mehr...).

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