Uralte Knochen-DNA verrät Existenz neuer Menschenform

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Die Denisova-Höhle liegt im südsibirischen Altai-Gebirge. Hier fand sich 2008 ein winziger Fingerknochen. Er gehörte einer neuen Urmenschenform. Quelle: MPI-EVA

25.03.2010  - 

Erstmals haben Forscher allein mittels einer Erbgut-Analyse eine gänzlich neue Menschenform aufgespürt. Die Entschlüsselung uralter Mitochondrien-DNA aus einem in Südsibirien gefundenen Fingerknochen liefert Hinweise auf die Existenz eines bislang unbekannten Homininen. Er lebte bis vor etwa 30.000 Jahren und war offenbar weder Neandertaler noch ein früher moderner Mensch. Das hat ein Forscherteam um Johannes Krause und Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie aufgedeckt. Wie die Paläogenetiker in Nature (Online-Vorabveröffentlichung, 24. März 2009) berichten, liefert ihr DNA-Befund Hinweise auf eine weitere Auswanderungswelle aus Afrika auf den Eurasischen Kontinent. 

Die Leipziger Forscher um den renommierten Paläogenetiker Svante Pääbo hatten das Erbgut aus einem winzigen Fingerknochen isoliert. Das Fossil wurde 2008 bei einer Ausgrabung in der 33 Meter langen Denisova-Höhle im Altai-Gebirge im südlichen Sibirien gefunden. Der Knochensplitter, so die Experten, stamme offenbar von einem fünf bis sieben Jahre alten Kind, Geschlecht unbekannt - mehr war dem Fundstück mit klassischen Untersuchungen nicht zu entlocken.

Erst die DNA-Analyse förderte eine echte Überraschung über die Identität zu Tage. Johannes Krause hatte das Erbgut aus den Mitochondrien der uralten Knochenzellen isoliert und untersucht. Die sogenannte mtDNA aus den Kraftwerken der Zelle wird jeweils von der Mutter an ihre Nachkommen weitergegeben. Sie ist das Lieblings-Studienobjekt der molekularen Archäologen, da sie in vielen kurzen Kopien in der Zelle vorkommt, leichter zu isolieren und zu entziffern ist.

Mithilfe neuester Sequenzierungsverfahren bestimmte Krause die Bausteinabfolge der mtDNA des sibirischen Knochenfunds. Anschließend verglichen die Leipziger Forscher die Sequenz mit Mitochondrien-Genomen von 54 heute lebenden Menschen sowie mit den Genomen von sechs Neandertalern. Das verblüffende Ergebnis: Während sich das Erbgut von modernem Mensch und Neandertaler in rund 200 Positionen unterscheiden, sind es im Erbgut des Knochens aus der Denisova-Höhle 385 Stellen.

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Lebte parallel zu modernem Mensch und Neandertaler 

Damit haben die Forscher ihrer Ansicht nach eine neue Menschenform, einen Homininen, aufgespürt, der vor 50.000 bis 30.000 Jahren parallel zu Neandertaler und frühem Homo sapiens im Altai-Gebirge gelebt haben könnte.

Die Forscher um Pääbo nennen den sibirischen Homininen mit Bedacht „Denisova-Mensch“, denn bisher lässt sich nur spekulieren, ob es sich bei dem Fund gar um eine ganz eigene Menschenart handelt. Gerade die Frage nach einer eigenen „Art“ ist unter Paläoanthropologen ein heißes Eisen. Ein winziger Knochensplitter reicht für eine solche Zuordnung nicht aus.

Hominine oder Hominide

In den 1990er-Jahren wurde der Begriff „Hominiden“ gebräuchlich: Darunter fassten Anthropologen eine Familie, die alle heute lebenden Menschen sowie alle ausgestorbenen Vor- und Frühmenschen umfasste, aber die Menschenaffen ausdrücklich ausschloss.  Heutzutage zählen die Forscher aber auch die Schimpansen und die Gorillas zu den Hominiden. Diese Familie wird wiederum in 3 Gattungsgruppen aufgeteilt. Eine davon sind die „Homininen“, alle lebenden und ausgestorbenen Vorfahren der Gattung Homo.

Klarere Aussagen können die Leipziger Forscher durch ihre Analysen jedoch zur zeitlichen Stellung des Denisova-Menschen im molekularen Stammbaum des Menschen liefern. Demnach hatte er vor etwa 1 Million Jahren einen gemeinsamen Vorfahren mit den modernen Menschen und den Neandertalern. Erst 500.000 Jahre später spaltete sich der gemeinsame Vorfahre von Mensch und Neandertaler von dieser Entwicklungslinie ab.

Eine vierte Auswanderungswelle

Die Forscher um Pääbo ziehen aus ihren Erbgutanalyse noch weitere Schlüsse: Der Denisova-Mensch gehörte demnach nicht zu Homo erectus, also jener Urmenschen-Gruppe, die als erste vor 1,9 Millionen Jahren Afrika verließ und weitere Erdteile besiedelte. Evolutionsforscher kannten bislang noch zwei weitere „Out of Africa“-Auswanderungswellen: Vor etwa 500 000 Jahren folgten die Vorfahren des Neandertalers und vor etwa 50 000 Jahren der anatomisch moderne Mensch.

„Unsere neuen Ergebnisse lassen darauf schließen, dass es mindestens eine weitere, bislang unbekannte Auswanderungswelle aus Afrika gab“, folgern die Forscher.

Die Leipziger Max-Planck-Forscher haben bereits neue Projekte gestartet, um die weiter bestehenden Rätsel der neuen Menschenform zu lösen. Schon jetzt haben sie begonnen, auch das Erbgut des Zellkerns aus dem sibirischen Knochenstückchen zu analysieren. Diese Experimente werden noch zuverlässigere Daten, zum Beispiel über das Geschlecht liefern, hofft Svante Pääbo. Doch nicht nur Erbgutanalysen sollen ein genaueres Bild des neuen Urmenschen zeichnen. Im Sommer dieses Jahres ist in der Denisova-Höhle eine weitere Grabung geplant. Die Forscher wollen dann noch weitere Hinterlassenschaften des Homininen aufspüren.

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