Verletzte Nervenzellen rüsten nach

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Das Bild zeigt, dass in ausgereiften Nervenzellen mit inaktivem Zentrosom die Mikrotubuli (dunkle Striche) auch in ganz anderen Bereichen einer Nervenzelle entstehen können. Quelle: Max-Planck-Institut für Neurobiologie / Stiess & Bradke

08.01.2010  - 

Auch Zellen haben eine Art Skelett. Winzige Eiweißröhrchen geben Halt, ermöglichen Wachstum und organisieren die Teilung. Bisher wurde angenommen, dass Mikrotubuli von dem Zentrosom, einem Zellorganell in der Nähe des Zellkerns, gebildet werden. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried und für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden zeigten nun in Science (7. Januar 2010, Online-Veröffentlichung), dass einige Nervenzellen einen anderen Weg beschreiten. Ganz ohne Zentrosom gelingt es ihnen trotzdem, das Zellgerüst auszubilden. Die Entdeckung widerlegt nicht nur die Lehrmeinung, sondern zeigt auch, dass erwachsene Nervenzellen sich offenbar doch regenerieren können. Das könnte die Behandlung von Rückenmarksverletzungen verbessern.


Zellen sind die Bausteine aller Lebewesen. Angepasst an ihre sehr unterschiedlichen Aufgaben, gibt es eine Vielzahl verschiedener Zelltypen von unterschiedlicher Gestalt. Ermöglicht werden diese verschiedenen Zellformen durch das Zellskelett, das den Zellen Stabilität und Struktur verleiht. Das Zellskelett besteht aus kleinen Eiweißröhrchen, den Mikrotubuli, die je nach Bedarf verlängert oder verkürzt werden können. So kann eine Zelle wachsen oder zum Beispiel einen Fortsatz bilden oder auch wieder zurückziehen. Doch auch bei der Zellteilung haben die Mikrotubuli eine große Bedeutung: Sie stabilisieren den Vorgang und geben die Richtung vor.

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Bei erwachsenen Nervenzellen ist das Zentrosom lahmgelegt

Nach der bisherigen Lehrbuchmeinung entstehen Mikrotubuli am Zentrosom, einer Struktur in der Nähe des Zellkerns, die auch als "Mikrotubuli Organisierendes Zentrum" bezeichnet wird. Die tragende Rolle der Mikrotubuli bei der Zellteilung lässt Forscher nun schon seit einiger Zeit vermuten, dass bei Zellen, die sich nicht mehr teilen können, vielleicht das Zentrosom nicht mehr funktioniert. Das könnte etwa bei Nervenzellen der Fall sein. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried gingen der Frage nun zusammen mit ihren Kollegen vom Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden und des Erasmus Medical Centers in Rotterdam auf den Grund. Und tatsächlich: Wie die Forscher im Fachmagazin Science (7. Januar 2010, Online-Veröffentlichung) berichten, ist das Zentrosom in ausgereiften Nervenzellen des Zentralen Nervensystems tatsächlich inaktiv. Ohne aktives Zentrosom sollte die Teilung dieser Nervenzellen sehr schwer werden.

Nach diesem Fund lag die nächste Frage auf der Hand: Ist das inaktive Zentrosom auch ein Grund dafür, dass Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark nach einer Verletzung nicht mehr nachwachsen? Erst vor kurzem konnten die Martinsrieder Neurobiologen zeigen, dass die Mikrotubuli am Ende solch einer verletzten Nervenzelle völlig durcheinandergeraten. Neue Mikrotubuli müssten nach der gängigen Meinung vom Zentrosom "nachgeschoben" werden, was natürlich bei einem inaktiven Zentrosom nicht möglich ist.

Um diese Frage zu klären, untersuchten die Max-Planck-Wissenschaftler aus Martinsried und Dresden anhand von Zellkulturen, wo Mikrotubuli in Nervenzellen entstehen. Dazu zerlegten sie die Proteinröhrchen zunächst in ihre Einzelteile und beobachteten dann ihren erneuten Aufbau in den Zellen. Wie erwartet entstanden die Mikrotubuli in jungen Nervenzellen vor allem am Zentrosom. Jedoch nicht ausschließlich: Einzelne Mikrotubuli bildeten sich auch an ganz anderen Stellen des Zellkörpers. "Die wirkliche Sensation zeigte sich aber erst, als wir ausgereifte Nervenzellen untersuchten", sagt Michael Stiess, der an der Untersuchung beteiligt war. Denn auch in diesen Zellen, in denen das Zentrosom nicht mehr aktiv war, entstanden neue Mikrotubuli - und zwar überall in der Zelle, nur nicht am Zentrosom.

Genügend Mikrotubuli zur Regeneration

Die Ergebnisse widerlegen die Lehrmeinung, dass Mikrotubuli ausschließlich vom Zentrosom aus gebildet werden. Das hat auch Konsequenzen für die Regeneration von Nervenzellen. Offenbar können Mikrotubuli direkt an der Stelle einer Verletzung gebildet werden und müssen nicht erst aufwendig vom Zellkörper dorthin transportiert werden. Zudem, so fanden die Wissenschaftler in weiteren Untersuchungen heraus, werden ausreichend Mikrotubuli gebildet, um die Nervenzelle wieder nachwachsen zu lassen. So wuchsen selbst junge Nervenzellen weiter, obwohl die Wissenschaftler ihre Zentrosome mit einem speziellen Laser entfernt hatten. "Somit sollte eine der Grundvoraussetzungen für die Regeneration von Nervenzellen auch im Gehirn und Rückenmark zur Verfügung zu stehen", so Frank Bradke, der Leiter der Studie. Nun gilt es herauszufinden, wie dieser Aufbau von Mikrotubuli und somit das Auswachsen verletzter Nervenzellen im lebenden Organismus angeregt werden kann.

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