Voller Teller und trotzdem gesund

Wer Diät hält, sieht auf lange Sicht oft besser aus. Die Rhesusaffen Canto (links, 27 Jahre, auf Diät) und Owen (isst uneingeschränkt, 29) zeigen das eindrucksvoll. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Wer Diät hält, sieht auf lange Sicht oft besser aus. Die Rhesusaffen Canto (links, 27 Jahre, auf Diät) und Owen (isst uneingeschränkt, 29) zeigen das eindrucksvoll. Quelle: Jeff Miller / University of Wisconsin

08.10.2009  - 

Der Rhesus-Affe Canto beweist es. Weniger essen hält offenbar jung. In einem Langzeitexperiment hat Canto 30 Prozent weniger Futter als sein Artgenosse Owen bekommen. Owen sieht man das Alter an, Canto ist rank und schlank. Ein Forscherverbund unter der Leitung der Christian-Albrechts Universität in Kiel will diesen Effekten nun beim Menschen auf den Grund gehen und Lebensmittel entwerfen, die Diäten nachahmen und deren positive Effekte hervorrufen. Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 2,9 Millionen Euro geförderten Studie "Vision Epifood" soll aber noch weiter gehen. Übergewichtige Personen sollen nicht nur selbst gesünder werden. Auch das Erbgut könnte profitieren, so die Hoffnung.




Die Vermutung, dass weniger mehr ist, gibt es schon lange. Lange Zeit aber gab es nur anekdotische Hinweise darauf, dass eine verminderte Kalorienzufuhr die Lebensspanne tatsächlich vergrößert. So können Frauen auf der japanischen Insel Okinawa erwarten, 86 Jahre alt zu werden. Das ist weltweiter Rekord. Bei den Bewohnern gibt es eine gewisse Regel. „Hara hachibu“ besagt, dass der Magen am besten nie ganz gefüllt werden soll. 80 Prozent seien völlig ausreichend - ein leichtes Hungergefühl hat auf Okinawa also Tradition.

An einfachen Organismen erkennen Wissenschaftler Entzündungsreaktionen, die mit Übergewicht einhergehen. Sie können diese Entzündung an modifizierten Fliegen wie hier Drosophila sichtbar machen (hier grün).Lightbox-Link
An einfachen Organismen erkennen Wissenschaftler Entzündungsreaktionen, die mit Übergewicht einhergehen. Sie können diese Entzündung an modifizierten Fliegen wie hier Drosophila sichtbar machen (hier grün).Quelle: Thomas Roeder/ Christian-Albrechts-Universität Kiel

Maßlose Esser sind struppiger und faltiger

Ob die Tradition auch wissenschaftlich belegbare Folgen hat, wollten Forscher des Wisconsin National Primate Research Center im amerikanischen Madison herausfinden. Im Jahr 1989 starteten sie einen Versuch mit 30 damals zehnjährigen Rhesusaffen. 15 der Tiere durften fressen, soviel sie wollten. Die 15 anderen mussten sich mit 30 Prozent weniger Kalorien begnügen. Damit keine sonstigen Mangelerscheinungen auftraten, wurden beide Gruppen ausreichend mit Mineralien und Vitaminen versorgt.

Jahrelang zeigten sich keine Abweichungen zwischen den Gruppen. Mittlerweile haben die Tiere aber die Grenze ihrer durchschnittlichen Lebenserwartung erreicht - sie liegt bei etwa 35 Jahren. Nun sind die Folgen der unterschiedlichen Diäten deutlich sichtbar. Owen, ein Vertreter der maßlosen Esser, sieht deutlich mitgenommener aus als sein Artgenosse Canto, der Kalorien zählen musste. Die beiden verdeutlichen einen Trend. Die maßlosen Esser sind im Durchschnitt struppiger, sie verlieren mehr Haare und haben ein faltigeres Gesicht als die Vertreter der Diätfraktion.

Diät haltende Affen bekommen keine Diabetes

Das sei jedoch noch nicht alles, erklärt der Wissenschaftler Richard Weindruch, der das Experiment leitet: "Wir beginnen jetzt, einen echten Überlebensvorteil der fastenden Tiere zu sehen." In einer Studie im Fachblatt Science (2009, Vol. 325, Nr. 5937, S. 201-204) untermauert er die Behauptung mit Zahlen. So seien bisher die Hälfte der Affen gestorben, die essen können, soviel sie wollen. Dagegen leben noch 80 Prozent ihrer maßvollen Kollegen. „Wir haben entdeckt, dass Kaloriensparen das Risiko für altersbedingte Krankheiten um das Dreifache reduziert und für ein längeres Leben sorgt“, sagt Weindruch. Auch Diabetes-Erkrankungen, an denen die Tiere sonst häufig leiden, blieben bei der Diätgruppe aus. "Bisher sehen wir eine komplette Diabetes-Prävention", so Weindruch.

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Was im Körper bei verminderter Kalorienzufuhr passiert, ist noch nicht restlos aufgeklärt. Sicher ist: Wenn weniger Kalorien verbrannt werden, entstehen offenbar weniger freie Radikale. Diese sehr reaktionsfreudigen Stoffe beschädigen Zellen und Organe. Der Körper reagiert mit Entzündungsreaktionen, die Mitverursacher vieler Krankheiten wie Diabetes, Arthritis sowie Herz- und Gefäßleiden sind. Die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle, werden weniger beansprucht und bleiben jünger, wenn sie weniger Energie umsetzen müssen. Eine langsamere Zellteilung verringert DNA-Schäden und beugt somit möglicherweise Krebs vor.

Biologen, Mediziner und Ernährungsforscher arbeiten zusammen

Die Hinweise häufen sich also,  dass weniger Essen durchaus gesund sein kann. Doch nur wenige Menschen wollen sind dazu bereit, auch wirklich täglich weniger zu essen.

In den USA gibt es einige wenige CRONies (Calorie Restriction with Optimal Nutrition), die freiwillig dauerfasten. Für die Mehrheit der Bevölkerung und gerade der besonders beeinträchtigten Übergewichtigen scheidet dieser Weg aber aus. Eine Lösung wären Lebensmittel, die dem Körper eine Diät vorgaukeln und damit die gesunden Prozesse auslösen, ohne dass der Körper tatsächlich weniger Nährstoffe erhält.

Die beteiligten Unternehmen und Institute

Universität Kiel

Forschungsinstitut für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere

BioGlobe GmbH

LipoFit GmbH

imaGenes GmbH

Coastal Research & Management

A.C.T. Foods GmbH

Eine neue zweite Generation von funktionellen Lebensmitteln, die Übergewicht vorbeugen oder reduzieren soll, indem sie die langfristigen positiven Erfolge von Diäten nachahmt: das ist die "Vision Epifood". Unter der Leitung des Kieler Ernährungswissenschaftlers Frank Döring wollen deutsche Forscher in Kooperation mit  Industriepartnern diese Vision in den nächsten vier Jahren in die Realität umsetzen und in der Natur nach neuen Naturstoffen suchen, die Diätsignale senden. Von wirtschaftlicher Seite aus mit dabei sind die BioGlobe GmbH in Hamburg, LipoFit GmbH in Regensburg, imaGenes in Berlin sowie Coastal Research & Management und die A.C.T. Foods GmbH, beide in Kiel. Das Verbundprojekt wird an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel koordiniert und mit 2,9 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium gefördert.

Vision Epifood
Ernährungswissenschaftler, Biologen, Mediziner und Bioinformatiker untersuchen die langfristigen Effekte von Diäten in verschiedenen Tiermodellen (Fruchtfliege, Maus, Schwein) sowie beim Menschen. Betrachtet werden sowohl negative (Jojo-Effekt) als auch positive (anti-entzündliche) Aspekte einer reduzierten Energiezufuhr und alternativen Diätstrategien.
www.epifood.de

Die verschiedenen Beteiligten im Forschungsverbund haben dabei unterschiedliche Aufgaben. Forscher der Universität Kiel, des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein und des Leibniz-Instituts für die Biologie landwirtschaftlicher Nutztiere in Dummerstorf werden untersuchen, wie Kalorieneinschränkung die Lebensspanne, den Fettstoffwechsel sowie den Entzündungsstatus von Lebewesen beeinflusst. Ernährungswissenschaftler suchen gleichzeitig in Pflanzen und Algen nach Stoffen, die sich positiv auf die Erbsubstanz auswirken. Zoologen und Biologen betrachten dann an Modellorganismen wie Fruchtfliege, Maus und Schwein sowohl negative (Jojo-Effekt) als auch positive (anti-entzündliche) Aspekte einer reduzierten Energiezufuhr und alternativen Diätstrategien. Mediziner prüfen schließlich die Wirkung am Menschen.

Gesundheit von Übergewichtigen mit neuen Lebensmitteln verbessern

Wissenschaftler wissen schon lange, dass die Ernährung eine großen Einfluss auf dem menschlichen Organismus hat. Das beginnt bei Äußerlichkeiten wie Körpergröße und Körpergewicht, geht aber viel weiter. So beeinflusst Nahrung auch die Vorgänge innerhalb der Zelle wie den Stoffwechsel, auch Metabolom genannt, und die Gesamtheit der der Eiweiße, das Proteom. Darüberhinaus hat das, was wir essen, sogar Auswirkungen auf das Erbgut, das Genom. Projektleiter Frank Döring untersucht die komplexen Wechselwirkungen von Nahrung und Organismus am Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde der Universität Kiel. Dort leitet er die Abteilung für Molekulare Prävention. Ein Teil der Forschung, der in den vergangenen Jahren immer bedeutender geworden ist, ist dabei die Auswirkung der Ernährung auf die veränderlichen Teile des Erbguts, das sogenannte Epigenom.

Epigenomik ist ein noch junger Forschungszweig der Molekularbiologie. Die Disziplin gründet auf der Entdeckung, dass das Erbgut nicht für das ganze Leben fixiert ist, sondern einen veränderbaren Anteil besitzt, der beeinflusst werden kann. So könnten die funktionellen Lebensmittel, die der Forschungsverbund "Vision Epifood" entwickeln will, nicht nur auf den Zellstoffwechsel, sondern auch auf die zugrundeliegende Erbgutstruktur wirken. Dementsprechend werden in den nächsten drei Jahren auch Parameter wie die DNA-Methylierung und die Histonmodifikation, die die neu gefundenen Stoffe in der Zelle verursachen, eine Rolle spielen. Der epigenetische Effekt ist für Wissenschaftler hochinteressant. Das wichtigste Ziel von "Vision Epifood" ist aber handfester und näher am Alltag. "Unsere Forschung soll Personen helfen, die aufgrund von Übergewicht und damit einher gehenden hohen Entzündungswerten besonders gesundheitsgefährdet sind", resümiert Döring.

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