Genanalyse offenbart: Zu wenig Neandertaler

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Auch vor 40.000 Jahren dürften im Neandertal bei Düsseldorf nicht allzuviele Neandertaler anzutreffen gewesen sein. Quelle: Wikimedia

21.07.2009  - 

In Europa lebten viel weniger Neandertaler als bisher angenommen. Die geringe Bevölkerungsdichte hat die Population anfällig für Umweltveränderungen gemacht und könnte ein Grund für das Aussterben des Menschenverwandten gewesen sein. Das berichtet ein internationales Forscherteam um Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie im Fachblatt Science (Bd. 325, Ausg. 5938, S. 318-321). Die Leipziger setzten dazu eine eigens entwickelte Genanalyse-Methode, die sich speziell für die stark fragmentierte DNA aus fossilen Überresten eignet.


Hatte man bislang angenommen, dass vor rund 50.000 Jahren in Europa zumindest 50.000 Neandertaler zur gleichen Zeit lebten, gehen die Paläogenetiker nun davon aus, dass bereits lange vor ihrem Aussterben höchstens ein paar tausend dieser frühen Menschen gleichzeitig existiert haben dürften.

Sechs Skelette untersucht

Diese Erkenntnis ist ein Nebenprodukt der umfangreichen genetischen Untersuchungen an sechs Neandertaler-Skeletten, die  in Leipzig und in den USA stattfinden. 2006 hatte die Arbeitsgruppe um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig zusammen mit dem Team von Eddy Rubin am Joint Genome Institute erste Bruchstücke des Neandertaler-Genoms vorgelegt. 

Pääbo und Rubin hatten sich an die knifflige Auswertung der Jahrtausende alten Knochen gemacht, um eine unter Paläontologen heiß diskutierte Frage ein für allemal zu klären: Hat sich Homo neanderthalensis mit seinem modernen Vetter, dem Homo sapiens, gekreuzt? Tragen wir also ein bisschen Neandertaler in uns?

Verschmutzung mit moderner DNA verhindern

Bevor er an die Arbeit gehen konnte, musste Pääbo zusammen mit seinem Leipziger Kollegen Matthias Krings zurerst einmal Pionierarbeit leisten und die Paläogenomik erfinden.  Um die Neandertaler-DNA eindeutig aus den Knochenüberresten herauszulesen, entwickelten die Forscher eine Reinraumtechnik um die Verschmutzung des alten Erbguts mit genetischen Spuren der Wissenschaftler zu verhindern. Gleichzeitig etablierten sie ein Markierungsverfahren, mit dem sich alte und neue DNA voneinander unterscheiden lässt.

Die Fundorte der Neandertaler-Skelette reichen von Spanien bis in den Kaukasus.Lightbox-Link
Die Fundorte der Neandertaler-Skelette reichen von Spanien bis in den Kaukasus.Quelle: MPI für evolutionäre Anthroplogie

Nach der Entschlüsselung von einer Million Basen oder 0,04 Prozent des Neandertaler-Genoms konnte Pääbo in einer ersten Veröffentlichung im Jahr 2006 schon sagen, dass der Neandertaler tatsächlich der nächste Verwandte des Menschen ist (mehr...). Außerdem konnte bestätigt werden, dass sich die Entwicklungslinien zwischen Mensch und Neandertaler vor mindestens einer halben Million Jahre getrennt haben und eine Vermischung zumindest unwahrscheinlich gewesen ist.

Anfang 2009 konnten Pääbo und Rubin dann die erste Rohfassung des Genoms vorlegen (mehr...). Demnach gleichen sich die Genome von Homo sapiens und Homo neanderthalensis zu 99 Prozent. Allerdings sind die Ergebnisse noch vorläufig. Denn wegen der Zersplitterung des Erbguts haben die Forscher jeden Buchstaben der DNA im Schnitt erst ein einziges Mal gelesen - normalerweise sequenzieren Forscher solange, bis alle Stellen mehrmals gelesen sind, um Fehler zu verringern. Pääbo schätzte, dass auf diese Weise bislang wohl erst 60 Prozent des Neandertalergenoms ausgelesen wurde.

Untersuchung der mitochondrialen DNA

Die jetzt veröffentlichte Vermutung, die Bevölkerungsdichte der Neandertaler sei wohl außerordentlich gering gewesen, beruht auf der Untersuchung der mitochondrialen DNA. Pääbos Institutskollege Richard Green gab hier die Richtung vor. Er präsentierte im Jahr 2007 die vollständige Sequenz des mitochondrialen Genoms (mtDNA) eines Neandertalers aus der kroatischen Vindija-Höhle. Hierbei wird nicht das Erbgut aus dem Zellkern untersucht, sondern aus den Mitochondrien, den Energiekraftwerken der Zelle. Sie wird ausschließlich über die Mutter vererben, weshalb sich Verwandtschafsbeziehungen gut nachverfolgen lassen.

MPI-Forscher und Paläogenetiker Svante Pääbo mit dem Schädel eines Neandertalers. Lightbox-Link
MPI-Forscher und Paläogenetiker Svante Pääbo mit dem Schädel eines Neandertalers. Quelle: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Die Forscher wären aber noch nicht so weit, wenn nicht Adrian Briggs, ebenfalls vom Leipziger MPI, das genetische Handwerkszeug der Paläogenetiker erheblich verfeinert hätte. Die von Briggs' in den vergangenen Jahren entwickelte PEC-Methode (primer extension capture) erlaubt es nämlich, die mtDNA aus den Knochenüberresten nahezu vollständig zu rekonstruieren. Die PEC-Methode nutzt dabei so genannte Primer - spezifische Stellen im Erbgut, an denen Verdopplungsenzyme ansetzen - um schon bekannte Genabschnitte in der fossilen DNA zu identifizieren und mit Hilfe des Enzyms Polymerase zu vervielfältigen.

Skelette aus ganz Europa analysiert

Auf diese Weise gelang es, die 16 565 Basenpaare lange mtDNA von fünf Neandertalern nahezu vollständig nachzubauen. Unter ihnen befand sich das berühmte Individuum, das vor 150 Jahren in der Kleinen Feldhofer Grotte im Neandertal bei Düsseldorf entdeckt worden war. Ein weiterer Feldhofer sowie ein spanischer Neandertaler aus der Höhle El Sidron, ein russisches Exemplar aus der Mezmaiskaya-Höhle im nördlichen Kaukasus und ein etwas älteres Individuum aus der Vindija-Höhle gesellten sich dem bereits 2008 analysierten Kroaten hinzu. Alle sechs hatten vor 38 000 bis schätzungsweise 70 000 Jahren gelebt.

Neandertalerforschung in USA und Leipzig

In der genetischen Analyse des Neandertalers sind weltweit zwei Forschungsinstitute führend. Das Joint Genome Institute in Kalifornien unter Leitung von Eddy Rubin und das Max Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, das von Svante Pääbo geleitet wird.

Zum Joint Genome Institute: hier klicken

Zum MPI für evolutionäre Anthropologie: hier klicken

Vermischung von Homo sapiens und Neandertaler unwahrscheinlich

Die mtDNA der westeuropäischen Neandertaler ähnelte sich untereinander stark; nur das russische Individuum grenzte sich etwas ab. Ihr letzter gemeinsamer Vorfahr, so schätzen die Paläogenetiker, dürfte vor mehr als 100 000 Jahren gelebt haben. Obendrein gab es zwischen den Neandertaler-Variationen und den bei modernen Menschen auftretenden Typen keine Überschneidungen - ein erneuter Hinweis darauf, dass eine spätere Vermischung beider Menschenarten äußerst unwahrscheinlich ist.

Geringe Variationen lassen auf wenige Exemplare schließen

Es lässt sich aber noch weit mehr aus den Ergebnissen lesen: Denn im Vergleich zu mtDNA-Proben von 53 heutigen Menschen aus aller Welt zeigten die Neandertaler mit im Schnitt lediglich 20 veränderten Basenpaaren nur ein Drittel der zu erwartenden Variationen in ihrem Mitochondrien-Erbgut. Das heißt, die Neandertaler, die in verschiedenen Ecken Europas gelebt haben, unterscheiden sich erstaunlich wenig. Die Forscher schließen daraus, dass es nur wenige von ihnen gab. Aus den Variationen der von der Mutter übertragenen mtDNA konten die Wissenschaftler die weibliche Bevölkerungsdichte abschätzen. Die bewegte sie sich zwischen 268 bis 3510 Neandertalerfrauen - von Spanien bis nach Zentralasien.

Allerdings handelt es sich hierbei lediglich um die effektive Populationsgröße, also um die Anzahl der Menschen, die sich fortpflanzten. Die Gesamtbevölkerung wird auf höchstens 70 000 Individuen geschätzt. Die Neandertaler waren also schon sehr selten, als unsere direkten Vorfahren des Homo sapiens aus Afrika nach Europa einwanderten. Vielleicht musste Homo sapiens gar nicht mehr viel tun, um die alteingesessenenen Neandertaler zu ersetzen - diese hatten ihre Blütezeit schon hinter sich. 

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