50 Millionen Euro für Bioprozess-Zentrum in Leuna

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Leuna ist ein Chemiestandort mit Tradition. Die rund hundert Unternehmen vor Ort werden eng mit der geplanten Modell-Bioraffinierie zusammenarbeiten. Quelle: InfraLeuna GmbH

07.04.2009  - 

Die Biotechnologie wird für die Industrie immer wichtiger. Zellen und Mikroorganismen arbeiten oftmals effizienter, sparsamer und umweltfreundlicher als die üblichen chemischen Verfahren. Doch bisher gab es eine große Hürde: Eine Idee aus dem Labor muss vor ihrem Einsatz in der Industrie erst "hochskaliert" werden, so dass der gewünschte Stoff tonnenweise produziert weden kann. Dafür sind Pilotanlagen nötig, und die sind für viele kleine Biotech-Firmen viel zu teuer. Abhilfe schaffen soll das Chemisch-Biotechnologische Prozesszentrum (CBP) in Leuna, Sachsen-Anhalt. Betrieben von der Fraunhofer-Gesellschaft, wird das CPB allen offenstehen, die dort innovative biotechnologische Prozesse testen wollen. Das BMBF beteiligt sich mit rund zehn Millionen Euro an den Kosten für die europaweit einmalige Anlage.


Die chemische Industrie hat im Dreieck Halle-Bitterfeld-Leipzig eine lange Tradition. Bereits 1916 gründete die BASF hier ein Ammoniakwerk, um die kriegswichtige Versorgung mit Stickstoff aufrechtzuerhalten. Und auch in der ehemaligen DDR war der Standort für seine Chemie berühmt-berüchtigt. Zeitweise beschäftigten die VEB Leuna-Werke "Walter Ulbricht" bis zu 40.000 Arbeiter. In diesem Umfang konnte der Betrieb nach der Wende nicht mehr aufrechterhalten werden. Heute sind es noch rund 9000 Menschen, die in den hundert chemischen Betrieben vor Ort arbeiten.  

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In Leuna steht auch die modernste Erdöl-Raffinerie Europas, die durch die Schmiergeldaffäre beim früheren Betreiber Elf Aquitaine für Schlagzeilen sorgte. Sie ist aber auch ein Symbol für die Chemiebranche, die nach wie vor stark vom Mineralöl abhängig ist. Das soll sich jetzt ändern - mit dem Bau des Chemisch-biotechnologischen Prozesszentrums (CBP), das bis 2011 in Leuna entstehen soll. Damit soll bei der chemischen Industrie ein Rohstoffwandel einsetzen, weg vom Erdöl hin zur Nutzung von Biomasse. Derzeit beträgt der Anteil von Biomasse in der chemischen Industrie erst zehn Prozent. "Als klassischer Chemiestandort sind unsere produzierenden Unternehmen bisher weitgehend von fossilen Rohstoffen abhängig. Mit regenerativen Rohstoffen können wir sowohl diese Abhängigkeit als auch CO2-Emissionen weiter reduzieren. Das CPB ist ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung", sagt Andreas Hiltermann, Geschäftsführer der InfraLeuna GmbH, die den Chemiestandort Leuna betreibt. Im CPB sollen biotechnologische Ideen für die industrielle Produktion fitgemacht, also vom Labor zur Massenproduktion "hochskaliert" werden. "Wir bauen die grüne Chemie-Fabrik der Zukunft", betont der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Thomas Rachel. 

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Der Standort Leuna gehört zum Central European Chemical Network, in dem sich mehrere Chemiefirmen sowie Standortentwickeler zwischen Berlin, Bitterfeld, Halle, Leipzig und Schwarzheide zusammengetan haben.

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Biotechnologie hat Potenzial

Tatsächlich hat die Biotechnologie der Industrie einiges anzubieten. Die Fortschritte in der Genetik erlauben es, Mikroorganismen oder Zellen in immer größerem Umfang und an immer mehr Stellen im Herstellungsprozess einzubinden. Gentechnisch verändert eignen sie sich für einen Einsatz in den verschiedensten Bereichen, angefangen bei Nahrungsmittelzusatzstoffen, über Medikamente bis hin zur  Lederveredelung und Entrostung. Der Vorteil: Biotechnologische Methoden sind oft effizienter und umweltfreundlicher als ihre chemischen Pendants. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat in den vergangenen dreißig Jahren eine regelrechte "Biologisierung" der Produktionsverfahren in der Industrie eingesetzt. Der weltweite Umsatz der industriellen Biotechnologie wird mittlerweile auf rund 50 Milliarden Euro geschätzt.

Andreas Hiltermann, InfraLeuna, im Kurzinterview mit biotechnologie.tv.Quelle: biotechnologie.tv

Verschiedene Studien zum Potenzial der industriellen Biotechnologie gehen davon aus, dass der Anteil biotechnologischer Verfahren bei der Herstellung chemischer Produkte von derzeit rund fünf Prozent in den nächsten Jahren steil anstiegen wird. Einige Marktbeobachter rechnen 2010 gar mit einem Anteil von 15 Prozent. Allerdings gibt es einen guten Grund, warum sich biotechnologische Verfahren in der Industrie noch nicht in einem viel größerem Maße durchgesetzt haben. An der Grundlagenforschung liegt es nicht. Gene in Mikroorganismen oder Zellen zu transferieren, damit diese bestimmte Stoffe herstellen, das ist in Zweifelsfall knifflig, aber nicht unmöglich. Eine Idee der weißen Biotechnologie scheitert meistens an einem anderen Punkt: der Umsetzung in den industriellen Maßstab. Schließlich müssen die meisten Stoffe in der Industrie nicht im Mikrogramm-, sondern im Tonnen-Maßstab zur Verfügung stehen.

Das 2011 fertig gestellte Chemisch-Biotechnologische-Prozesszentrum soll die Lücke zwischen Labor und Industrie überbrücken.Lightbox-Link
Das 2011 fertig gestellte Chemisch-Biotechnologische-Prozesszentrum soll die Lücke zwischen Labor und Industrie überbrücken.Quelle: Linde-KCA

Lücke zwischen Labor und Industrie

Um die im Labor entwickelten Prozesse "fabrikreif" zu machen, ist es notwendig, eine Herstellungsanlage aufzubauen, die möglichst genau die Bedingungen der späteren Massenproduktion simuliert. Das ist aufwendig und teuer. Zu teuer für viele kleine und mittlere Unternehmen in der industriellen Biotechnologie-Branche. Die bisher von einigen großen Chemieunternehmen gebauten Biotech-Anlagen wurden nahezu ausschließlich zur Erzeugung spezifischer Produkte konzipiert. Sie unterstreichen das Potenzial der Technologie, sind aber reine Produktionsanlagen und nicht für die Prozessentwicklung geeignet.

Weiterhin gibt es eine Reihe von Aktivitäten auf der Ebene der universitären und institutionellen Forschung, die sich hauptsächlich im Labormaßstab abspielen und nicht die erforderliche industrielle Dimension erreichen. Deshalb gelingt es oft nicht, Prozesse zur Marktreife zu "skalieren", da die wenigen prinzipiell geeigneten Modellanlagen meist auf Grund von Konkurrenzsituationen nicht frei zugänglich sind. Darüber hinaus scheuen selbst große Unternehmen oft vor den für Pilotanlagen erforderlichen Investitionen und den mit dem Aufbau solcher Anlagen verbundenen langen Vorlaufzeiten oder komplexen technischen Fragestellungen zurück.

Thomas Hirth, Fraunhofer IGB, im Kurzinterview mit biotechnologie.tvQuelle: biotechnologie.tv

Europaweit einmalige Modellanlage
Bisher gibt es europaweit keine Pilotanlage, die von Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten gleichermaßen für derartige Zwecke benutzt werden könnte. "Es gibt hier eine regelrechte Lücke", sagt Markus Wolperdinger, der bei der InfraLeuna für die Standortentwicklung Biotechnologie zuständig ist. In Zusammenarbeit mit der Fraunhofer Gesellschaft entsteht in Leuna eine Modellanlage, in der biotechnologische Verfahren zum Einsatz in der Industrie weiterentwickelt und getestet werden können.

Das "Chemisch-Biotechnologische Prozesszentrum" (CBP) soll in einem modularen Anlagekonzept sechs unabhängig und individuell zu betreibende Prozesseinheiten aufweisen, mit Reaktorvolumen in mehreren Größenordnungen von mehreren hundert bis 10.000 Litern. Die Fraunhofer-Gesellschaft sorgt für den Betrieb der Anlage, in der mittelfristig 25 Mitarbeiter beschäftigt sein sollen. Die ersten Forschungsprojekte sind schon genehmigt, im Jahr 2010 wird der Grundstein für das Gebäude gelegt, im Jahr 2011 soll es schließlich in Betrieb gehen.

Reiner Haseloff, Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, im Kurzinterview mit biotechnologie.tv.Quelle: biotechnologie.tv

Die ersten fünf Jahre sind finanziert

Der Kern des CBP ist die allgemeine Zugänglichkeit. Jeder darf sich hier mit einem Projekt bewerben, grundsätzlich stehen die Modellanlagen allen offen. Wenn noch ein Platz frei ist. Schon vor dem ersten Spatenstich ist der Terminplan gut gefüllt. "Mit den sechs Projekten, die derzeit in Planung sind, werden wir für die ersten drei bis fünf Jahre gut beschäftigt sein", prophezeit Wolperdinger. 50 Millionen Euro stehen für die Anfangsphase des CBP zur Verfügung. Damit sollen die ersten Projekte, aber auch der Aufbau des Hauses sowie der Betrieb in den nächsten fünf Jahren finanziert werden.

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Das BMBF beteiligt sich mit zehn Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket sowie weiteren zwei Millionen, mit denen direkt Projekte gefördert werden. Größter Geldgeber ist das Land Sachsen-Anhalt, das  insgesamt 20,1 Mio Euro sowie die Anschubfinanzierung der Projektgruppe beitragen will. Auch diese Mittel stammen zu einem großen Teil aus dem Topf des Konjunkturpakets. Die federführende Fraunhofer-Gesellschaft steuert 9,6 Millionen Euro bei. Die restlichen Mittel sollen durch das Engagement der Industrie aufgebracht werden. Einige der schon beantragten Erstprojekte werden zudem von den Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF), für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) und für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) finanziert.

Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen steigern

Der Standort Leuna wurde nicht zuletzt wegen der Vernetzung mit der chemischen Industrie gewählt. Die im CBP entwickelten Prozesse müssen nämlich vor der Markteinführung noch einmal in einem "richtigen" Unternehmen ausprobiert werden. "Sonnst bleibt das trotz aller Industrienähe eine akademische Übung", sagt Leuna-Repräsentant Wolperdinger. Die am Standort Leuna vertretenen Unternehmen (wie Linde oder  Taminco) sollen nicht nur diese letzte Feuertaufe übernehmen, sondern die Methoden im besten Fall gleich dauerhaft in ihre Produktion einbinden. 

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