Nervenkrankheiten mithilfe von Pflanzen verstehen

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Die Ackerschmalwand mit und ohne Gendefekt: Wiederholungen eines Basen-Tripletts sorgen bei der linken Pflanze dafür, dass zu wenige funktionsfähige Proteine entstehen. Quelle: Marco Todesco / MPI

23.02.2009  - 

Wissenschaftler um Detlef Weigel am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen haben bei der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana einen Gendefekt gefunden, der auch für schwere neurodegenerative Krankheiten des Menschen verantwortlich ist. Die Erbkrankheiten entstehen, weil ein bestimmter Abschnitt der DNA in mehrfacher Kopie vorliegt. Bisher war unbekannt, dass ein derartiger Fehler auch bei Arabidopsis auftreten kann. Die überflüssigen Basenpaare sorgen hier dafür, dass die Pflanzen verkümmern, wie die Wissenschaftler in Science (2009, Vol. 323, Ausg. 5917, S. 1060-1063) berichten. Beim Menschen verursachen derartige Gendefekte zum Beispiel Chorea Huntington. Mithilfe der Ackerschmalwand wollen die Forscher jetzt besser verstehen, wie sich diese Erkrankungen vererben.





Es begann mit einer zufälligen Beobachtung. Warum, fragten sich die Wissenschaftler um Leibniz-Preisträger Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, verkümmerten einige ihrer Ackerschmalwand-Pflanzen, wenn der Thermostat im Gewächshaus nur ein wenig heraufgedreht wurde? Und warum traf es nur einige wenige, während der Rest prächtig gedeihte? Erst als sich die Forscher das Erbgut der Hitzeopfer ansahen, ließ sich das Phänomen aufklären. Die verkümmerten Pflanzen unterschieden sich von ihren Artgenossen in einem enzigen Genabschnitt.

400 mal die gleiche Base

Ein kurzer DNA-Abschnitt, ein sogenanntes Basentriplett, war mehr als 400-fach vorhanden. Die kleine Abweichung hat umfangreiche Folgen. Die Triplett-Wiederholungen führen nämlich dazu, dass das Gen nicht mehr korrekt abgelesen wird und nur noch wenige funktionsfähige Proteine entstehen. Da Triplett-Wiederholungen auch die Ursache für einige schwerwiegende Erbkrankheiten beim Menschen sind, macht die Entdeckung der Tübinger Forscher auch für die medizinische Forschung interessant.

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Mehrere Generationen innerhalb kurzer Zeit beobachten

So erkranken beispielsweise rund fünf von 100.000 Menschen jedes Jahr an Chorea Huntington, einem bislang unheilbaren Nervenleiden, das zunächst zu Bewegungsstörungen und schließlich zum Tod führt. Etwa eines von 50.000 Neugeborenen in Mitteleuropa leidet an der Friedreich-Ataxie, ebenfalls eine neurodegenerative Erkrankung, die im Laufe des Lebens zunehmend zu Bewegungsstörungen und Demenz führt.

"Mit Arabidopsis thaliana haben wir einen Modellorganismus gefunden, an dem wir die genetischen Ursachen und die Entstehung schwerer Erbkrankheiten des Menschen untersuchen können," sagt Detlef Weigel - ein Entwicklungsbiologe, der mit seinen Forschungsarbeiten immer wieder neue Wege beschreitet (mehr...). Prinzipiell kann man die genetischen Abweichungen auch genauso gut am Menschen untersuchen. Doch die Ackerschmalwand hat einige unschlagbare Vorteile. "Bei Arabidopsis können wir untersuchen, wie sich die Triplett-Wiederholungen über mehrere Generationen verändern. Dies ist beim Menschen wegen der langen Generationsfolge schwierig. Im Pflanzenmodell können wir nicht nur innerhalb kürzester Zeit mehrere Generationen betrachten, wir können auch genetische Untersuchungen machen, die beim Menschen unmöglich sind," sagt Marco Todesco, einer der Hauptautoren der Studie.

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Chloroplasten konnten nicht mehr gebildet werden

Im Einzelnen hatten die Wissenschaftler das Genom der sogenannten Bur-0 Sorte von Aradopsis untersucht, da diese Pflanzen beim Umsetzen in einen 27 Grad Celsius warmen Zuchtraum plötzlich verkümmerten, während sie bei 23 Grad Celsius gut gewachsen waren. Es stellte sich heraus, dass in dem Gen IIL1 ein Basentriplett mehr als 400-mal hintereinander vorkam. Bei Vergleichspflanzen lag diese Sequenz nur 20-mal vor. Das betroffene Gen enthält die Information für ein Protein, das für die Chloroplasten und damit das Überleben der Pflanzen wichtig ist. Durch die übermäßigen Triplett-Wiederholungen kann das Gen nicht korrekt abgelesen werden, was dazu führt, dass die Pflanzen klein und kümmerlich werden.

Wiederholungen entstehen schnell

Wiederholungen kurzer Genabschnitte treten bei vielen verschiedenen Organismen auf und haben nicht nur negative Folgen. Da die Variationen im Erbmaterial dazu führen, dass sich die Individuen sichtbar voneinander unterscheiden, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass dieses Phänomen eine Rolle bei der Evolution der Arten spielt. "Diese Wiederholungen können besonders leicht entstehen, aber auch wieder verschwinden. Dadurch sind sie besonders variabel und könnten zu kurzfristigen evolutionären Veränderungen beitragen", sagte Detlef Weigel.

Da die Variation in der Bur-0-Sorte im Prinzip nach dem gleichen Muster wie die krankhafte Veränderung im menschlichen Genom entsteht und sich dementsprechend vererbt, können die Aradopsis-Mutanten wertvolle Informationen zur Entstehung von Chorea Hungtington und ähnlichen Erkrankungen liefern. In Tübingen haben die Untersuchungen dazu schon begonnen.

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