Warum das Reetdach sich plötzlich auflöst

Eigentlich sollen Reetdächer Jahrzehnte lang Wind und Wetter abweisen. Dann werden sie wie auf diesem Bild von einem für Norddeutschland typischen Dachauge zwar grau, die Halme bleiben aber trocken und intakt. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Eigentlich sollen Reetdächer Jahrzehnte lang Wind und Wetter abweisen. Dann werden sie wie auf diesem Bild von einem für Norddeutschland typischen Dachauge zwar grau, die Halme bleiben aber trocken und intakt. Quelle: Klicker / pixelio.de

20.01.2009  - 

In Dänemark fing es an. Dort mussten Dachdecker und Hausbesitzer schon in den achtziger Jahren mit ansehen, wie einige Reetdächer plötzlich anfingen, zu verrotten – und das weit vor ihrem natürlichen Verfallsdatum. Reetdächer können mehr als fünfzig Jahre halten. In den Neunzigern sprang das Reetdach-Sterben auch auf Norddeutschland über. Schließlich schalteten die Rohrdachdecker das Institut für Marine Biotechnologie in Greifswald ein. Die Wissenschaftler untersuchten Hunderte von Bakterien- und Pilzarten und konnten nun einen überraschenden Übeltäter ausfindig machen: Weißfäulepilze können Holz und auch Reet abbauen – aber eigentlich kommen sie nur im Wald vor. Wie sie ins Dach kommen, weiß keiner.




Noch sind die verrottenden Reetdächer keine Epidemie. Einzelfälle sind es aber auch nicht mehr. Rund 200 Dächer sind betroffen, schätzt die in Kiel ansässige „Gesellschaft zur Qualitätssicherung Reet“, die Dunkelziffer könnte allerdings bis zu 1000 Dächer betragen.  Die Rohrdachdecker, die den unerklärlichen Verfall ihrer Konstruktionen mitansehen mussten, hatten von Anfang an Mikroorganismen im Verdacht. Allerdings herrschte zunächst die Überzeugung vor, die Verursacher müssten über Dänemark aus dem Ausland eingewandert sein. Denn das Problem war in Deutschland bisher noch nicht aufgetreten.

Bei einem mit Weißfäulepilzen befallenen Dach verrottet das Reet wie auf einem Komposthaufen. Binnen weniger Jahre kann das Dach instabil werden. Lightbox-Link
Bei einem mit Weißfäulepilzen befallenen Dach verrottet das Reet wie auf einem Komposthaufen. Binnen weniger Jahre kann das Dach instabil werden. Quelle: reetdachdeckung.de

Weißfäulepilze kommen eigentlich nur im Wald vor

Mit Unterstützung des Wirtschaftsministeriums Mecklenburg-Vorpommern wurde ein 120.000 Euro schweres Forschungsprojekt am Institut für Marine Biotechnologie e.V. aufgelegt. Die Forscher untersuchten Hunderte von Bakterien und Pilzen auf ihre Fähigkeit hin, Schilfrohr zu zersetzen. Nun konnten sie einen ersten Fahndungserfolg vermelden. Wie sich herausstellte, sind überhaupt nur einige wenige Pilzarten in der Lage, ein Reetdach zu zersetzen. Sie alle gehören zu den Weißfäulepilzen und sind eigentlich nur im Wald anzutreffen, wo sie in abgestorbenem Holz das Lignin abbauen, also den Stoff, der für die Verholzung zuständig ist.

Gesellschaft zur Qualitätssicherung Reet
Die verschiedenen Innungen der Reeetdachdecker betreiben einen gemeinsamen Internetauftritt. Einen großen Raum nehmen dabei Informationen über die bisher mysteriöse "vorzeitige Alterung" der Dächer ein, die die Handwerker in den letzten Jahren zunehmend beschäftigt.
www.reetdachdeckung.de

Was Weißfäulepilze aber auf dem Dach zu suchen haben, ist noch ungeklärt. Möglich ist, dass die Sporen der Pilze von Mardern übertragen werden, die den Pilz aus dem Wald ins Rohr oder den Dachstuhl tragen. Die Pilze sind auf jeden Fall auch in der für sie ungewohnten Umgebung sehr effizient. Im Labor konnten die Greifswalder Forscher nachweisen, dass unter optimalen Bedingungen ein besonders aktiver Weißfäulepilz aus einem Reetdach innerhalb von nur 35 Tagen 23 Prozent der Trockenmasse von vorher ungeschädigtem Reet zerstören kann.

Ein Weißfäulepilz auf zwei Reetrohren in der Kulturschale. Innerhalb von nur 35 Tagen können diese Mikroorganismen 23 Prozent der Trockenmasse von vorher ungeschädigtem Reet zerstören.Lightbox-Link
Ein Weißfäulepilz auf zwei Reetrohren in der Kulturschale. Innerhalb von nur 35 Tagen können diese Mikroorganismen 23 Prozent der Trockenmasse von vorher ungeschädigtem Reet zerstören.Quelle: Korinna Kordon / Universität Greifswald

50 Jahre und mehr kann ein Dach halten

"Trotzdem ist das kein Killerpilz“, sagt Frieder Schauer vom Institut für Mikrobiologie (Abteilung für Angewandte Mikrobiologie) an der Universität Greifswald. „Weißfäulepilze wurden nicht eingeschleppt; sie kommen in unserer Umwelt vor. Die holzabbauenden Pilze sind auch in Dächern, die bereits 50 Jahre und länger gehalten haben. Wir gehen davon aus, dass es darauf ankommt, welches Klima der Pilz im Reetdach vorfindet, welche Qualität das Reet hat und wie die Dachkonstruktion aussieht.“

Eine wichtige Rolle scheint die Qualität des Rohrs zu spielen, vor allem die Restfeuchte, die bei der Verarbeitung noch vorhanden ist. Offenbar sind Dächer, die nach hohen Qualitätsstandards auch bei den Baumaterialien errichtet wurden, seltener betroffen. Um zu verhindern, dass der Pilz eventuell schon beim Bauen aufs Dach gelangt, haben die Greifswalder Forscher einen Test entwickelt, mit dem das Reet vor dem Einsatz auf Weißfäulepilze untersucht werden kann. Der nächste Schritt besteht nun darin, Behandlungsmethoden für bereits befallenes Rohr zu finden.

Videos

Kurzfilme zur Biotechnologie in unserer Videorubrik

Ob Medizin, Landwirtschaft oder Industrie - in unserer Videorubrik finden Sie eine ganze Reihe von Kurzfilmen, die Sie leicht verständlich in die Welt der Biotechnologie einführen. 


Zur Rubrik Videos

TV-Glossar

Kreidezeit - Begriffe aus der Biotechnologie

Von A wie Antikörper bis Z wie Zellkultur - die Kreidezeit erklärt Begriffe aus der Biotechnologie kurz und knapp an der Tafel. Alle Videos finden Sie in unserem Filmarchiv.


Zur Rubrik Kreidezeit