Strukturbiologen klären Wirkungsweise von wichtigem Antibiotikum auf

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Das Antibiotikum Linezolid (gelb) blockiert die Eiweißproduktion im Ribosom (lila) unerwünschter, krankmachender Bakterien, so dass diese absterben. Quelle: Jörg Harms/ Universität Frankfurt

28.08.2008  - 

Als der Wirkstoff Linezolid 2002 für den deutschen Markt zugelassen wurde, waren die Hoffnungen groß: Zum ersten Mal seit über 20 Jahren gab es mit dem Vertreter der Oxazolidinone eine wirklich neue Klasse von Antibiotika. Und erstmals gab es eine Chance, sogenannten „Superkeimen“ in Krankenhäusern den Garaus zu machen, die bereits Resistenzen gegen herkömmliche Antibiotika entwickelt hatten. Sechs Jahre später ist der Wirkstoff noch immer die letzte Rettung, aber inzwischen treten auch hier erste Resistenzen bei Bakterien auf. Wissenschaftler des Genzentrums der Ludwig-Maximilians-Universtät in München haben nun gemeinsam mit Kollegen der Universität Frankfurt zeigen können, was das Antibiotikum eigentlich genau bei Bakterien bewirkt. Wie die Forscher im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS, 2008, 18. August) berichten, legt es einen zentralen Prozess in der Eiweißherstellung der Mikroorganismen lahm.

Um zu überleben und sich zu vermehren, besitzt jede Bakterienzelle Zehntausende von kleinen Eiweißfabriken: die Ribosomen. Ständig lagern sich dort Tausende von Bauteilen zu großen Komplexen, den Eiweißen, zusammen; jede Sekunde verlässt ein neues Eiweiß diese Produktionsstätte. Das Herzstück der Eiweißfabrik ist das katalytische Zentrum (Peptidyl-Transferase-Centre, PTC). Wie am Fließband wird hier die Boten-Ribonukleinsäurel (mRNA) hindurch geschleust. Das fadenförmige Boten-Molekül hat die in der Erbsubstanz festgeschriebene Bauanleitung der Eiweiße in einer Basensequenz gespeichert und wird nun an zwei Arbeitsplätzen Stück für Stück von Transfer-Ribonukleinsäuren (tRNA) abgelesen. Dazu dockt eine tRNA zunächst am Arbeitsplatz A an der für sie passenden Stelle der mRNA an. Der Eiweißbaustein (Aminosäure), den sie transportiert, verbindet sich daraufhin mit der bereits vorhandenen Kette von Aminosäuren und verlängert diese. Die tRNA wandert anschließend gemeinsam mit der Kette zu Arbeitsplatz B, das Fließband bewegt sich eine Stelle weiter. Dieser Prozess wiederholt sich, bis das Eiweiß in einer langen Kette von Aminosäure-Bausteinen fertig gestellt ist und sich zu einer dreidimensionalen Form falten kann.

Die Italienerin Paola Fucini ist Assissenzprofessorin an der Universität Frankfurt/Main und hat sich der Strukturbiologie verschrieben.Lightbox-Link
Paola Fucini: Die 38-Jährige will herausfinden, wie die wichtigsten molekularen Arbeitstiere lebender Organismen – die Eiweiße – eigentlich in ihrer dreidimensionalen Form entstehen. Schon früh in ihrer Karriere hat die Italienerin Deutschland für sich entdeckt.
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Viele Antibiotika attackieren Ribosom

Um gegen Infektionen mit Bakterien etwas auszurichten, richten sich viele Antibiotika nun genau gegen diese Eiweißherstellungsfabrik. Gerät diese Maschinerie ins Stocken, stirbt das Bakterium nämlich ab. Wie die Forscher um Daniel Wilson von der LMU München und Paola Fucini von der Universität Frankfurt im Fachmagazin PNAS (2008, 18. August) berichten, greift das Antibiotikum Linezolid genau im Herzen der Bakterien-Ribosomen an. „Wir konnten zeigen, dass das Antibiotikum Linezolid einen Teil der Stelle A im katalytischen Zentrum blockiert, so dass die tRNA dort nicht mehr richtig andocken kann“, erklärt Wilson. Die Folge: es kann keine weitere Aminosäure an die bereits bestehende Kette angehängt werden, die Proteinsynthese ist unterbrochen. „Überraschenderweise ist das aber noch nicht alles“, ergänzt Wilson. „Linezolid schafft es gleichzeitig, das gesamte Ribosom quasi abzuschalten – es hält also nicht nur das Fließband an, sondern schließt gleich die ganze Fabrik.“

Möglich wurde diese Beobachtung durch die Röntgenstrukturanalyse, für die Paola Fucini von der Universität Frankfurt eine Expertin ist (mehr...). Gemeinsam mit dem Team von LMU-Forscher Wilson wurden in Linezolid getränkte bakterielle Ribosomen zunächst kristallisiert und diese Ribosomen-Kristalle dann Röntgenstrahlen ausgesetzt. Aus dem Muster der an den Atomen gebeugten Strahlen konnten die Forscher dreidimensionale Bilder von der Wirkungsweise des Linezolids errechnen.

Mehr Informationen

zur Arbeit von Daniel Wilson an der LMU München: hier klicken

zur Arbeit von Paola Fucini an der Universtät Frankfurt: hier klicken

Rückwärtsgang bei Eiweißherstellung

Ähnlich wie Linezolid können auch andere Umwelteinflüsse in einem Ribosom Stress verursachen und das Weiterlaufen des Fließbandes in der Eiweißfabrik stören: Entweder wird dann eine falsche Aminosäure eingebaut oder das Ribosom ganz lahm gelegt. Um dies zu verhindern hat das Fließband in den Ribosomen von Bakterien eine Art Rückspulfunktion, die durch den Translokationsfaktor LepA in Gang gesetzt wird. So kann im Ribosom ein weiteres Mal versucht werden, den Prozess der Eiweißbildung entsprechend der vorliegenden Bauanleitung abzuschließen.

Wie die Gruppen um Wilson und Fucini zusammen mit Forschern um Professor Christian Spahn von der Charité Berlin und Professor Knud Nierhaus vom Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin im Fachblatt Nature Structural & Molecular Biology (NSMB, 2008, 17. August, Online-Vorabveröffentlichung) schreiben, konnten sie in einer zweiten Studie zeigen, wie dieses Zurückspulen vonstatten geht. Dabei entdeckten sie, dass für den durch LepA in Gang gesetzten Prozess noch ein weiterer, bisher unbekannter Platz im Ribosom zur Anlagerung von tRNA verwendet wird. Dieser Platz kommt noch vor der Stelle A. „Er gleicht dem nicht vollständigen Andocken der tRNA, wenn Linezolid einen Teil von A blockiert“, sagt Wilson. „Das erklärt auch, warum LepA diejenigen Ribosomen erkennt und an diese bindet, welche zuvor durch Linezolid lahm gelegt wurden.“

Für Antibiotika-Forscher sind all diese Erkenntnisse enorm wichtig. Denn obwohl Linezolid noch immer die letzte Rettung ist, wenn andere Antibiotika gegen multiresistente Erreger nichts mehr ausrichten können, treten inzwischen auch hier Resistenzen auf. „Umso wichtiger ist das Wissen darum, wie Linezolid genau wirkt. Nur so kann das Antibiotikum weiter verbessert werden“, so LMU-Forscher Wilson.

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