Gesundheitsministerium legt Entwurf für Gendiagnostikgesetz vor
31.07.2008 -
Die Fortschritte in der Genomforschung schreiten täglich voran, doch die einstige Euphorie ist verflogen. Hatten die Wissenschaftler zur Jahrtausendwende noch gedacht, mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms sei die meiste Arbeit getan, so stellt sich jetzt heraus, dass die Arbeit gerade erst beginnt. Zwar geht das Lesen im Erbgut inzwischen um ein Vielfaches schneller, doch die Zusammenhänge zwischen Genen und Krankheiten sind weitaus komplizierter als anfangs vermutet. Das Thema Gendiagnostik bewegt sich also in einem komplexen Umfeld. Dafür will die Regierung nun einen gesetzlichen Rahmen schaffen. Das Bundesgesundheitsministerium hat einen ersten Entwurf vorgelegt.
Derzeit können theoretisch etwa 3300 Krankheiten, für die das Vorhandensein einer oder mehrerer bestimmter Genvarianten im Menschen als typisch identifiziert wurde, mit gendiagnostischen Verfahren aufgespürt werden. Das hatte im September 2007 der Bericht „Gendiagnostik in Deutschland“ der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) festgehalten (mehr...). Das Fazit der Autoren war damals ernüchternd: Für die meisten Krankheiten lohnt der Blick ins Genom kaum. „Über den Beitrag genetischer Faktoren zu den großen Volkskrankheiten haben wir derzeit noch recht dürftige Erkenntnisse“, betonte damals Humangenetiker Jörg Schmidtke von der Medizinischen Hochschule Hannover und verwies auch darauf, dass die derzeit fast täglich publizierten neuen Erkenntnisse aus genomweiten Assoziationsstudien (SNP-Studien) oft genetische Zusammenhänge für große Krankheiten wie Diabetes oder Herzinfarkt identifizieren, deren Aussagekraft für klinische Zwecke aber noch nicht erwiesen ist und erst der Überprüfung und Validierung bedürfen. Anders sieht es bei Krankheiten aus, für die tatsächlich ein einzelnes Gen als ursächlich identifiziert wurde. Heute sind derzeit laut BBAW-Bericht (Stand Januar 2007) rund 2002 Gene für monogenetische Krankheiten bekannt.
Mitte Juli traf sich die Weltelite der Genomforschung in Berlin. biotechnologie.de hat ausführlich berichtet: Teil I: Eliteforschung zu Gast in Berlin |
Sinn und Unsinn von Gentests strittig
Doch nicht für alle diese Krankheiten gibt es auch eine Therapie – aus diesem Grund halten Fachleute Gentests nicht immer für zielführend. „Wenn sich durch einen Test Therapieoptionen ergeben, dann macht eine solche Diagnostik unter ärztlicher Aufsicht Sinn. Wenn es nur um das reine Wissen geht, ist es bereits schwieriger zu beurteilen“, sagt Schmidtke. Noch problematischer wird es, wenn sich gesunde Menschen auf ‚mögliche’ Krankheiten testen lassen wollen. Hierbei sind vor allem psychologische Belastungen zu beachten sowie eben die Tatsache, dass nicht für jede identifizierte Krankheit auch die passende Therapie zur Verfügung steht. In einer Stellungnahme verurteilt die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik (GfH) kommerzielle Gentests, bei der aus ihrer Sicht fälschlicherweise der Eindruck erweckt würde, man könne krankheitsrelevante Gene aufspüren. Um den klinischen Nutzen aktueller Tests zu beurteilen und Ärzten den Umgang mit solche Entscheidungen zu erleichtern, erarbeitet die GfH derzeit Leitlinien für die 50 bis 100 häufigsten Gentests. Zwölf von ihnen sind bereits erstellt und auf der Webseite abrufbar: www.gfhev.de
Im Netz gefunden... |
Die Süddeutsche Zeitung hat über die Diskussionen zum Gendiagnostikgesetz berichtet und findet, dass eine Regelung längst überfällig ist. |
Regierung nimmt neuen Anlauf zum Gendiagnostikgesetz
Nun nimmt die Regierung erneut einen Anlauf, für das komplexe Thema Gendiagnostik mit einem Gesetz zu fassen. Schließlich befinden sich derzeit Regelungen, die die genetische Diagnostik betreffen, in einer Vielzahl verschiedener Gesetze: Datenschutzgesetze, Berufsordnung der Ärzte, Krebsregistergesetze, Strafgesetzbuch, Transfusionsgesetz, Transplantationsgesetz, Stammzellgesetz, Embryonenschutzgesetzt, Krankenhausgesetz. Nachdem es ein Entwurf der rot-grünen Regierung nicht bis zur Umsetzung geschafft hat, versucht es das Bundesministerium für Gesundheit nun ein zweites Mal. Im April hatte die Koalition bereits erste Eckpunkte vorgestellt (mehr...). Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit wurde Ende Juni ein Gesetzesentwurf vorgelegt. Das Gesetz will vor allem unerwünschte Blicke ins Genom der Bürger verhindern und sicherstellen, dass durch Gendaten keine Benachteiligungen aufgrund von genetischen Eigenschaften erfolgen – etwa durch Versicherungen oder Arbeitgeber. Aus diesem Grund, so sieht es der Entwurf vor, sollen Gentests künftig nur noch von Medizinern durchgeführt werden dürfen. Darüber hinaus müssen sie ihre Patienten vorher umfassend aufklären: Darüber, dass das Wissen eine schwere Belastung sein kann, vor allem wenn es für die Krankheit noch keine Therapie gibt. Versicherern und Arbeitgebern soll es verboten sein, Informationen aus Gentests abzufragen oder zu verwerten.
Stellungnahmen zum Gesetzentwurf |
Bundesärztekammer: hier klicken BioDeutschland: hier klicken Verband der Diagnostica-Industrie e.V.: hier klicken |
Gesetz mit Lücken: viele Diskussionen um Details
Prinzipiell findet der Entwurf breite Zustimmung, doch im Detail gibt es etlichen Diskussionsbedarf. Dies zeigte auch eine Anhörung mit mit Vertretern von Krankenkassen, Ärzteverbänden, Unternehmen sowie Versicherungen, die am 30. Juli in Bonn stattfand. So wehrt sich der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft gegen einen gesetzlichen Verzicht auf die Verwertung von Gendaten und plädiert stattdessen für eine Selbstverpflichtungserklärung von Seiten der Versicherer. So verzichten Versicherungen bei Policen mit einer Versicherungssumme von bis zu 250.000 Euro schon jetzt auf den klassischen Gentest. Unberührt vom Gesetzesentwurf bleiben Standardeinstellungstests, um Schäden abzuwenden, wie etwa auf Rot-Grün-Blindheit bei Piloten sowie Versicherungsabschlüsse mit Policen von mehr als 250.000 Euro.
Das nationale Genomforschungsnetz (NGFN) hat sich zum Ziel gesetzt, die Funktion der Gene aufzuklären. Dafür arbeiten hunderte Arbeitsgruppen in ganz Deutschland zusammen. |
Die Bundesärztekammer kritisiert wiederum die einseitige Hervorhebung der Genetik als Untersuchungsmethode. Schließlich könne man mit einfachen Blutuntersuchungen ebenfalls Aussagen über genetische Veränderungen treffen. Während in einem früheren Entwurf der rot-grünen Regierung noch ein breiterer Ansatz vorhanden war, beschränkt sich der aktuelle Entwurf auf genetische Analysen. „Dieser genetische Exzeptionalismus stellt eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung dar“, heißt es in der Stellungnahme der Ärztekammer.
Der Unternehmensverband BioDeutschland sieht im vorliegenden Gesetzesentwurf zudem eine zu starke Bevormundung des Bürgers. Aus der Sicht der Biotechnologie-Unternehmen ist es nicht nötig zwischen genetischen Untersuchungen zu persönlichen und zu medizinischen Zwecken zu unterschieden. „Genetische Analysen, die den Körper und die Gesundheit betreffen, sind nicht automatisch genetische Analysen zu medizinischen Zwecken. Jeder Mensch sollte die Freiheit behalten, in Deutschland genetische Tests zu persönlichen Zwecken, das heißt zum Beispiel um seine Lebensführung zu planen, bei qualifizierten Laboratorien eigenverantwortlich beauftragen zu können“, heißt es in einer Stellungnahme. Darüber hinaus plädiert BioDeutschland für eine stärkere Abstufung des Arztvorbehaltes und die Zulassung weiterer Ärztegruppen.
Der Verband der Diagnostica-Industrie e.V. warnt indes vor zusätzlichen Hürden bei gentechnischen Reihenuntersuchungen. Die zusätzliche Einbindung einer gesonderten Gendiagnostik-Kommission sei entbehrlich, da über solche Dinge bereits der Gemeinsame Bundesausschuss entscheide, heißt es in einer Stellungnahme.
Bundesgesundheitsministerium |
Gesetzesentwurf: PDF-Download Eckpunktepapier: PDF-Download Fragen und Antworten: PDF-Download Web: hier klicken |
Ungeregelt bleiben Genanalysen zu Forschungszwecken und PID
Nachwievor ungeregelt bleiben genetische Untersuchungen und ihrer Daten, die im Rahmen von Forschungsvorhaben getätigt werden. Pharmakogenetische Tests, die Aussagen über die Verträglichkeit, Wirksamkeit oder das Ansprechen auf zugelassene Arzneimittel ermöglichen, fallen weiterhin in den Regelungsbereich der Arzneimittelzulassungsbehörden. Auch blutdiagnostische Tests, etwa zur HLA-Typisierung, sollen wie bisher gehandhabt werden, auch für Biobanken gibt es keine neuen Regelungen. Unberührt vom Gesetz bleibt auch die Präimplantationsdiagnostik.
Vor unseriösen Test-Angeboten ausländischer Anbieter über das Internet kann das geplante Gesetz aber nicht schützen. „Hier zeigen sich die Grenzen nationaler Gesetzgebung, und hier kann nur Information weiterhelfen“, hatte SPD-Gesundheitsexpertin und Biotechnologin Carola Reimann bereits im April bei der Vorstellung des Eckpunktepapiers betont. Demnach wird das Gesetz keinen Schutz vor einem grauen Markt aussageschwacher Gentests bieten können.