Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa: Neuer Schwung in Debatte

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Die Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa steht vor einer Reform. Quelle: BASF

10.07.2008  - 

Diskutiert wird das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen auf europäischer Ebene schon lange. Unter der französischen EU-Ratspräsidentschaft  scheint nun etwas Schwung in die Debatte zu kommen. Auf einem informellen Treffen der Umweltminister der EU-Mitgliedsstaaten Anfang Juli wurde beschlossen, eine Reform des Verfahrens in Angriff zu nehmen. Diese soll insbesondere die Arbeit der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) verändern – in welche Richtung, ist allerdings noch unklar. Es ist geplant, die Risikobewertung von gv-Pflanzen anders aufzustellen, gentechnikfreie Zonen zu erlauben sowie die Politik aus dem Prozedere zu nehmen. Wenn es nach dem Willen Frankreichs geht, sollen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten im Dezember über die Reform entscheiden.

Nachdem es monatelange Hin und Her ging, scheint eine Reform des europäischen Zulassungsverfahrens nun immer konkreter zu werden. Die französische Regierung, maßgeblich Frankreichs Umweltminister Jean-Louis Barloo und Umwelt-Staatssekretärin Nathalie Kosciusko-Morizet, haben das Thema zur Chefsache der französischen EU-Ratspräsidentschaft erklärt.

Wie läuft die Risikobewertung bei gv-Pflanzen bisher ab?
Jedes Lebens- oder Futtermittel besteht aus einer Mischung von hunderten Substanzen in wechselnden Anteilen und unterliegt natürlichen biologischen Schwankungen. Ein absoluter Sicherheitsbeweis ist deshalb für keine Pflanze möglich, ob sie konventionell gezüchtet oder gentechnisch verändert wurde. Mehr über die Sicherheitsbewertung von gv-Pflanzen erfahren Sie hier: klicken

Neugestaltung der EFSA-Arbeit gefordert

Im Zentrum einer künftigen Neugestaltung steht die Arbeit der EFSA, die bislang eine maßgebliche Rolle im Zulassungsprozedere spielt, aber deren Gutachten von gentechnik-kritischen Organisationen und Regierungen stark kritisiert wird. Bislang müssen Agrarunternehmen, die eine neue gentechnisch veränderte Pflanze als Futter- oder Lebensmittel auf den Markt bringen wollen, dort eine Zulassung beantragen. Ein auf Gentechnik spezialisiertes Expertengremium (GMO Panel) erarbeitet zunächst eine Stellungnahme. Dieses Gremium, das mit europäischen Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Fachbereichen (u.a. Medizin, Ernährung, Toxikologie, Biologe und Chemie) besetzt ist, prüft auf Basis der vom Antragsteller vorgelegten Daten, ob sich die Eigenschaften des gentechnisch veränderten Lebens- oder Futtermittels innerhalb üblicher biologischer Schwankungen nicht von vergleichbaren konventionellen Produkten unterscheidet.

Ist die EFSA zu einer Empfehlung gekommen, wird diese an die EU-Kommission als zentrale politische Entscheidungsinstanz auf europäischer Ebene überführt. Die Kommission leitet die Empfehlung wiederum an die entsprechenden Ausschüsse und Gremien weiter, in denen die 27 EU-Mitgliedsländer vertreten sind. Da Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden müssen, aber über das Thema Gentechnik keine Einigkeit herrscht, hat sich dieser wissenschaftlich-politische Prozess in den vergangenen Jahren als Hemmschuh entwickelt: Seitdem das Zulassungsverfahren für gv-Produkte existiert, kam es im Rat der EU-Agrarminister bislang immer zu einer Pattsituation, in der weder für noch gegen eine Zulassung genügend Stimmen zusammenkamen. Bislang sieht das Verfahren für solch einen Fall vor, dass die Entscheidungsbefugnis wieder zurück an die EU-Kommission delegiert wird. Dort wiederum ist man angewiesen, auf der Basis der EFSA-Empfehlung zu entscheiden. Erst im Mai kam es aus diesem Grund zu einem Eklat, weil sich EU-Umweltkommissar Dimas gegen die EFSA stellte (mehr...). Letztlich wurden die drei Anträge zu einer neuerlichen Bewertung an die Behörde zurückgewiesen. Seit 1998 hat es keine neue gv-Pflanzensorte zur Zulassung geschafft.

Mehr Informationen zu Umweltauswirkungen von gentechnisch veränderte OrganismenLightbox-Link

Sie wollen mehr über gentechnische veränderte Pflanzen und deren Einfluss auf die Umwelt erfahren? Das Portal biosicherheit.de informiert über Forschungsprojekte in Deutschland.

www.biosicherheit.de

Frankreich will diese Pattsituation nun unter der Ägide der französischen EU-Ratspräsidentschaft bis Ende 2008 aufheben und zu einem arbeitsfähigen Kompromiss kommen. „Viele Regierungen haben das Gefühl, dass es Unzulänglichkeiten bei der Autorisierung gibt“, sagte Frankreichs Umweltminister Jean-Louis Borloo beim Treffen mit seinen Amtskollegen vom 4. bis 5. Juli 2008 in Paris. Der EFSA wird vorgeworfen, sie stütze sich bei ihren Urteilen zu sehr auf die Gutachten der Hersteller. Bislang sei zudem kein Antrag der Industrie zurückgewiesen worden, heißt es. „Was die EFSA leistet, ist weit davon entfernt, akzeptabel zu sein“, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel.

Im Dezember soll über Reform entschieden werden

Unter französischen Vorsitz soll nun bis Dezember eine Reform des Zulassungsverfahrens durchgesetzt werden. Wie diese aussehen könnte, darüber herrscht jedoch noch Unklarheit. Gabriel fordert, dass bei der Analyse der EFSA auch gentechnisch-kritische Experten einbezogen werden sollen. Im Gegenzug solle bei einem positiven Urteil der EFSA automatisch eine Zulassung erfolgen. „Die Politik darf keine Wissenschaftsdiskussion mehr führen, hinter der sich jedes Land verstecken kann“, betonte Gabriel. Da jedoch eine solche automatische Zulassung bei gentechnik-kritischen Ländern wie Österreich oder Italien kaum durchsetzbar sein wird, wollen die Umweltminister zugleich gentechnikfreie Zonen erlauben.

Im Netz gefunden...

Die Süddeutsche Zeitung berichtet im Artikel "Jäger der versteckten Gene" über die Schwierigkeiten nichterwünschte Beimischungen von gv-Pflanzen überhaupt zu entdecken.

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Um Vorschläge für die Reform zu erarbeiten, wurden inzwischen zwei Arbeitgruppen ins Leben gerufen. Bereits im Juni hatte EU-Kommissionspräsident José Manuel Baroso die Bildung einer High-Level-Arbeitsgruppe auf Ministerebene initiiert, um den großen Rahmen einer möglichen Reform zu erarbeiten. Die französische Regierung hat nun Anfang Juli eine eigene ad-hoc Arbeitsgruppe gestartet, die sich „Gruppe von Freunden der französischen Ratspräsidentschaft“ nennt und mit schwierigen Detailthemen in der Auseinandersetzung befassen soll. Dabei geht es bespielsweise um die Frage, wie gentechnickfreie Zonen mit dem Handelsrecht der Welthandelsorganisation in Einklang zu bringen sind oder wie die Evaluierung der Anträge bei der EFSA noch besser langfristige, nich-vorhersehbare Auswirkungen von gv-Pflanzen berücksichtigen kann. Inwieweit beide Arbeitsgruppen tatsächlich zu einer Reform führen, bleibt abzuwarten. Am Ende müssen alle EU-Mitgliedsstaaten einstimmig entscheiden.

Höchstgrenze für nicht zugelassene GVOs einführen

Unterdessen setzt sich die neue EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou aus Zypern dafür ein, den Umgang mit Beimischungen nicht zugelassener gv-Pflanzen zu lockern. Anfang August will sie eine Höchstgrenze für Bestandteile nicht zugelassener gentechnisch veränderter Produkte in Futter- und Lebenmsmitteln vorlegen. Eine solche Höchstgrenze soll künftig vermeiden, dass bei Beimischungen dieser Art sofort alle Einfuhren des Produkts in die EU gestoppt werden müssen. Dies würde insbesondere zu Lieferengpässen bei Futtermitteln zur Folge haben, so die EU-Kommissarin.

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Schon 2007 stand die Zulassung der Stärke-Kartoffel kurz bevor. Der Antrag läuft seit 2003. Inzwischen liegt der Fall wieder bei der EFSA.

EFSA: Gutachten über Amflora

biosicherheit.de: Risikoforschung bei gv-Kartoffeln

Wie hoch der neue Toleranzwert sein wird, steht allerdings noch nicht fest. Experten gehen davon aus, dass man sich auf die Festlegung eines sogenannten Reference Point of Action einigt. Dieser legt die Konzentration einer nicht zugelassenen Substanz fest, die sich überhaupt mit einer analytischen Methode bestimmen lässt. Wie schwierig der Nachweis von Beimischungen ist, das haben Wissenschaftler erst Ende Juni im italienischen Como auf einer Konferenz zur GMO-Analyse diskutiert, zu der die Europäische Forschungsstelle IRC eingeladen hatte. Vor allem das nicht vorhandene Referenzmaterial macht es bei nicht zugelassenen gv-Produkten schwierig, danach zu suchen. Darüber hinaus sind Beimischungen innerhalb einer Transportladung nicht gleich verteilt, was mitunter zu großen Ungenauigkeiten führen kann. Heiß diskutiert wird auch die Frage, wie teuer und umfangreich solche Testmaßnahmen sein können.

BASF: Keine gv-Pflanze mehr allein für den europäischen Markt

Angesichts des schwierigen Zulassungsprozesses in der Europäischen Union hat die BASF inzwischen angekündigt, keine gentechnisch veränderten Pflanzenprodukte mehr rein für den europäischen Markt zu entwickeln. Mit der Entscheidung reagiert das Unternehmen auf mehrfache Verzögerungen bei seiner Stärke-Kartoffel Amflora, die für die europäische Stärkeindustrie entwickelt wurde und inzwischen auch fünf Jahre nach dem Antrag auf Zulassung immer noch nicht auf dem Markt ist, obwohl die EFSA ein positives Gutachten ausgestellt hat (mehr...). Wie eine BASF-Sprecherin im Juli gegenüber dem Nachrichtenmagazin transkript betonte, wird das Unternehmen jedoch nicht seine europäische Forschungsstrategie im Geschäftsfeld Grüne Gentechnik neu ausrichten. Man strebe auch weiterhin die Amflora-Zulassung an (mehr Informationen), und werde europäische Projekte wie eine gegen die Kraut- und Knollenfäule widerstandsfähige Kartoffel oder eine omega-3-Fettsäuren-reiche Rapssorte weiterführen.

Pflanzenforschung

Pflanzenforschung.de - die Webseite zur Pflanzenforschung in Deutschland

Sie wollen sich einen Überblick über die deutsche Pflanzenforschung verschaffen? Viele Informationen bietet die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Webseite pflanzenforschung.de.

www.pflanzenforschung.de


Biosicherheit

Mehr Informationen zu Umweltauswirkungen von gentechnisch veränderte Organismen

Sie wollen wissen, welche Umweltauswirkungen gentechnisch veränderte Organismen haben können? Mehr Informationen finden sie auf: www.biosicherheit.de