Bundeskabinett stellt Eckpunkte für ein Gendiagnostikgesetz vor

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Oberstes Prinzip bei der Durchführung von Gentests soll die freie Entscheidung des Bürgers sein. Quelle: Qiagen

18.04.2008  - 

Mit einem Gendiagnostikgesetz will die Bundesregierung Deutschlands Bürger vor unerwünschten Blicken in ihre ganz persönlichen genetischen Daten und damit verbundener Diskriminierung schützen. Mitte April stimmte das Bundeskabinett Eckpunkten für das bereits 2005 im Koalitionsvertrag  vereinbarte Gesetz zu, auf die sich die Gesundheitsexperten von CDU/CSU und SPD bereits vor Ostern geeinigt hatten. „Uns geht es darum, einen hohen Schutzstandard zu etablieren“, sagte die SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann. Aktuellen Regelungsbedarf sieht die Biotechnologin im Gegensatz zum Verband der Diagnostica-Industrie, der einen hohen Schutzstandard für alle medizinischen Daten und Proben fordert, nur bei den genetischen Vorhersagetests.

Nach den Eckpunkten wird jede genetische Diskriminierung verboten, Gentests mit Gesundheitsbezug ausschließlich in die Hände qualifizierter Ärzte gelegt und eine Pflichtberatung vor und nach pränatalen sowie prädiktiven Gentests eingeführt. Sie wird nur auf ausdrücklichen Wunsch nicht durchgeführt. Des Weiteren dürfen Versicherungen und Arbeitgeber weder vorhandene Ergebnisse  von Gentests mit Vorhersagecharakter nutzen, noch deren Durchführung verlangen. Unberührt davon bleiben Standardeinstellungstests, um Schäden abzuwenden, wie etwa auf Rot-Grün-Blindheit bei Piloten sowie Versicherungsabschlüsse mit Policen von mehr als 250.000 Euro.

Kontrovers ist noch, ob Abstammungstests, wie bislang bei der Familienzusammenführung von Asylbewerbern gefordert oder zur Feststellung der  Vaterschaft, nur nach Einwilligung der Probanden zulässig sein sollen. „Eine Strafbarkeit von diskreten Vaterschaftstest werden wir nicht mittmachen“, kündigte Jürgen Gehb, der rechtspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, bei der Vorstellung der Eckpunkte an.

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Keine Gentests gegen den Willen des Betroffenen

Oberstes Prinzip bei der Durchführung von Gentests soll die freie Entscheidung des Bürgers sein. Damit Ärzte einen Gentest durchführen dürfen, muss ihnen die schriftliche Zustimmung des Betroffenen vorliegen. Zudem kann der Getestete frei verfügen, ob er das Testergebnis erfahren will oder nicht und was mit seinen genetischen Daten und Proben geschieht. Mit diesen Regelungen wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleistet.

Untersuchungen an nicht einwilligungsfähigen Personen sollen nur bei erwiesenem medizinischen Nutzen und nicht gegen den Willen der Betroffenen durchgeführt werden. Auch vorgeburtliche Gentests, zum Beispiel zur Geschlechtsbestimmung, sind verboten, solange mit ihnen kein medizinischer Nutzen verbunden ist. Genetische Reihenuntersuchungen sollen nur zulässig sein, wenn eine behandelbare Erkrankung diagnostiziert wird. Welche Gentests und Reihenuntersuchungen sinnvoll sind, wer qualifiziert ist, Gentests durchzuführen und wie die genetische Beratung durchzuführen ist, soll eine Gendiagnostik-Kommission festlegen. Allerdings geben die Eckpunkte noch keinen Hinweis darauf, wer die unabhängigen Experten des Gremiums ernennen wird.

Freie Fahrt für Forscher

„Die Regelungen konzentrieren sich im Kern auf sogenannte prädiktive Gentests, also Gentests, die eine Wahrscheinlichkeitsaussage über künftige Krankheitsrisiken treffen“, erklärt die Biotechnologin Reimann. Pharmakogenetische Tests, die Aussagen über die Verträglichkeit, Wirksamkeit oder das Ansprechen auf zugelassene Arzneimittel ermöglichen, fallen dagegen laut der SPD-Politikerin weiterhin in den Regelungsbereich der Arzneimittelzulassungsbehörden. Auch blutdiagnostische Tests, etwa zur HLA-Typisierung sollen laut Reimann wie bisher gehandhabt werden, Bestimmungen für Biobanken für Forschungszwecke nicht neu geregelt werden.

Qualitätskontrolle fehlt

Vor unseriösen Test-Angeboten ausländischer Anbieter über das Internet kann das geplante Gesetz aber nicht schützen. „Hier zeigen sich die Grenzen nationaler Gesetzgebung, und hier kann nur Information weiterhelfen“, meint Reimann. Demnach wird das Gesetz keinen Schutz vor einem grauen Markt aussageschwacher Gentests bieten können. So gibt es eine Reihe von Firmen, die auf ihren Internetseiten Dienstleistungen vom einfachen 100 Euro-Gentest bis zu Microarray-Analysen im Angebot haben - mit zweifelhaftem Nutzen.

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Dass dabei selbst bekannte Namen nicht immer für Qualität stehen, zeigt das Beispiel der isländischen Biotechnologie-Firma DeCode Genetics (Reykjavik), die die Vorhersage des Risikos, an Altersdiabetes zu erkranken, auf eine einzige Genvariation zurückführt, obgleich zehn weitere dieser SNPs bekannt sind. Ähnliches gilt für die US-Firma Cygene, die einen Gentest auf Basis von drei Varianten des Myocillin-Gens anbietet, um zu ermitteln, wie wahrscheinlich eine Glaukom-Erkrankung ist – bis zu 100 Veränderungen des Gens werden mit dem Risiko in Verbindung gebracht. Nicht nur in Deutschland, auch in den USA gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen. Doch niemand ist zuständig, weil es keine rechtliche Grundlage für eine Qualitätskontrolle der Gentests gibt. Erste Forderungen nach einer vorwettbewerblichen Begutachtung der Gentest-Angebote kamen unlängst von der britischen Human Genetics Commission.

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