Erstes entschlüsseltes Moos-Genom: Vom Landeroberer zum Arzneiproduzenten

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Moospflanzen markieren den evolutionsgeschichtlichen Übergang der Pflanzen vom Wasser zum Festland. Quelle: Stefan Rensing/ Universität Freiburg

17.12.2007  - 

Moose sind für die Wissenschaft enorm interessant, denn sie markieren einen essentiellen Schritt in der Evolutionsgeschichte: Sie gelten als Stellvertreter der ersten Pflanzen, die vor 450 Millionen Jahren den Übergang vom Wasser zum Land vollzogen haben. Um zu überleben, mussten sie sich an extreme Temperaturschwankungen, Trockenheit und hohe UV-Strahlung anpassen. Jetzt ist der Moos-Forschung ein großer Coup gelungen: Wie ein Konsortium aus 70 Wissenschaftlern unter Leitung von Freiburger Forschern im Fachmagazin Science (2007,13. Dezember online) berichtet, liegt nun das vollständig entschlüsselte Genom des Kleinen Blasenmützenmooses (Physcomitrella patens) als erstes Modellgenom für eine Pflanze vor, die sich entwicklungsgeschichtlich zwischen Algen und Blütenpflanzen befindet. Die Erkenntnisse haben nicht nur Relevanz für die Wissenschaft, sondern auch für die Wirtschaft. Der Umgang der Moose mit klimabedingten Stressbedingungen ist auch für die heutige Pflanzenzüchtung vonnutzen. Zudem gibt es in Deutschland ein aus der Freiburger Universität vor acht Jahren ausgegründetes Biotech-Unternehmen, das eben dieses nun sequenzierte Moos als Produzent für Arzneimittel einsetzen will.

Bisher gibt es noch nicht viele vollständig entschlüsselte Genome von vielzelligen Organismen. Neben dem Menschen, der Maus und dem Fadenwurm haben es auch einige Pflanzen in die Liste der sequenzierten Organismen geschafft. Aufgrund der nach wie vor hohen Kosten der Sequenzierung sind bei Pflanzen derzeit nur wenige vollständige Genomsequenzen vorhanden. Bisher waren vor allem Blütenpflanzen wie  Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) oder Pappel von Interesse, aber auch einige Algen sowie Nutzpflanzen wie Reis oder Gerste, dessen Genomentschlüssleung erst jüngst unter deutscher Koordination gestartet ist. (mehr...) Während Algen ganz am Anfang der Entwicklung der Pflanzen stehen, befinden sich Blütenpflanzen ganz am Ende der Evolutionsgeschichte. Für den entwicklungsgeschichtlich entscheidenden Schritt des Übergangs der Pflanzen vom Wasser auf das Land und der Entwicklung der Mehrzelligkeit vor ca. 450 Millionen Jahren fehlte bislang jedoch ein Vertreter in der Liste der Modellgenome. Mit der jetzt von einem Konsortium aus 70 Wissenschaftlerteams im Fachmagazin Science (2007, 13. Dezember, Online) vorgelegten Entschlüsselung des Erbguts von Physcomitrella patens wurde diese Lücke nun geschlossen.

Ralf Reski von der Universität Freiburg: Einer der wissenschaftlichen Pioniere der Moos-Forschung.Lightbox-Link
Ralf Reski von der Universität Freiburg: Einer der wissenschaftlichen Pioniere der Moos-Forschung.Quelle: Reski

Neben Hochschuleinrichtungen aus den USA und Japan waren ingesamt sieben deutsche Forschungsgruppen an dieser Mammutaufgabe beteiligt. Maßgeblichen Anteil hatten dabei vor allem Wissenschaftler um Stefan Rensing von der Universität Freiburg, der zum Team von Moos-Forschungspionier Ralf Reski am Institut für Pflanzenbiotechnologie gehört. Bereits vor zwanzig Jahren suchte Reski sich das Kleine Blasenmützenmoos als Studienobjekt aus. "Als ich über Physcomitrella zu forschen begann, war das reine Nischenforschung. Ich hätte damals nie zu hoffen gewagt, dass wir eines Tages das gesamte Genom dieses Mooses entschlüsseln werden", sagt Professor Reski heute.

Moose: Komplizierter als Algen, aber weniger ausgeklügelt als Blütenpflanzen

Im Vergleich zu Algen sind Moose viel komplizierter aufgebaut, allerdings verfügen sie noch nicht über ein ausgeklügeltes Leitbündelsystem oder komplex geformte Fortpflanzungsorgane, wie sie Blütenpflanzen besitzen. Der Übergang vom Wasser zum Land war für die Pflanzen ein großer Schritt, der mit der Anpassung vieler zellulärer Prozesse verbunden war. Um zu überleben, mussten sie sich an extreme Temperaturschwankungen, Trockenheit und hohe UV-Strahlung anpassen, die es im Wasser in dieser Form nicht gab. All diese veränderten Anforderungen spiegeln sich nun auch in den Genen wieder, wie die Wissenschaftler anhand von ersten Vergleichen mit anderen Genomen festgestellt haben.

Dabei gab das Moos einige Geheimnisse preis, z.B. wie sich die Toleranz gegen das Austrocknen oder wie sich die Wirkungsweise von Pflanzenhormonen entwickelt haben. Jeder, der schon einmal eine Zimmerpflanze hat vertrocknen lassen, hat quasi den Nachweis erbracht, dass Trockentoleranz - obschon eine wichtige Eigenschaft - bei den meisten Blütenpflanzen nicht mehr vorhanden ist. Denn die Sequenz des Kleinen Blasenmützenmoos zeigt, dass die ursprünglichen Landpflanzen wahrscheinlich noch tolerant gegen Austrocknen waren und dass diese Eigenschaft erst in unseren modernen Pflanzen verlorenging. Darüber hinaus belegt das Moos-Genom, dass es bei den ersten Landpflanzen offenbar bereits Pflanzenhormone gab, die entscheidende Schritte in der Entwicklung und beim Wachstum steuern. Bei den Algen hingegen gab es solche Hormone noch nicht.

Die Forscher am Kölner Max-Planck-Institut, die ebenfalls am Sequenzprojekt beteiligt waren, interessierten sich vor allem für die Reparatur von DNA-Schäden in Physcomitrella. Dieser Prozess ist für die Abwehr schädlicher Umwelteinflüsse von Bedeutung und beim Menschen auch in die Entstehung von Krebs und das Altern involviert. "DNA-Schäden werden in Physcomitrella präzise repariert, was unzweifelhaft zu der hohen Stabilität des Physcomitrella-Genoms beiträgt", erläutert Bernd Reiss, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut in Köln die Forschungsergebnisse. "Aus der humanmedizinischen Forschung wissen wir, dass Fehler im Genom zu Krankheiten führen können. Von daher ist es von großem Interesse, die Mechanismen zu verstehen, die zu dieser Genomstabilität führen."

Auch Wirtschaft hat Interesse an Moosen

Das Moos ist inzwischen in vielerlei Hinsicht von Interesse, insbesondere weil es sich leicht genetisch verändern und platzsparend kultivieren lässt. Als erste Firma weltweit erkannte die BASF AG das große Potenzial dieser Forschung und investierte von 1999 an einen zweistelligen Millionenbetrag in die Arbeiten von Ralf Reski an der Universität Freiburg. "Diese Zusammenarbeit gab vermutlich den Anstoß, dass auch die nationalen Förderorganisationen in den USA, England und insbesondere Japan in großem Maßstab die Moosforschung finanzieren", sagt Reski rückblickend.

Photobioreaktor: Moose als Medikamentenproduzent.Lightbox-Link

Zusammen mit seinem Kollegen Neuhaus hat Reski zudem im Jahr 1999 das Unternehmen greenovation Biotech ausgegründet – aufbauend auf der Entwicklung eines Moosbasierten Bioreaktors (Photobioreaktor). Hiermit sollen künftig eiweißbasierte Medikamente hergestellt werden und in Konkurrenz zu bislang verwendeten Verfahren auf der Basis von Mikroorganismen oder tierischen Zellen treten. Die Nutzung von Bakterien stößt  schließlich an Grenzen, denn bestimmte biochemische Reaktionen können diese Lebewesen nicht durchführen – so sind sie nicht in der Lage, an Eiweißmoleküle Zuckerbausteine anzuhängen. Dieser Prozess der Glykosylierung ist eukaryontischen Zellen vorbehalten, die über ein endoplasmatisches Retikulum (ER) und einen Golgi-Apparat verfügen. Da der Zuckercode von Eiweißen für immer mehr therapeutische Ansätze eine wichtige Rolle spielt, ist die Glykosylierung inzwischen auch in der Medikamentenproduktion ein wichtiges Thema, um Eiweiße mit einer ‚menschlichen‘, natürlichen Zuckerstruktur und auf diese Weise wirksamere Medikamente zu erhalten. Viele Forschergruppen arbeiten daran, diesen Zuckerguss in Säugetierzellen zu optimieren, aber auch ein pflanzliches System, wie Moose es bieten, kann zum zielgerichteten Glykodesign genutzt werden.

Diese Nische hat nun greenovation Biotech besetzt und inzwischen ein gutes Dutzend Kooperationen aufgebaut  - sowohl mit Biotechnologie-Unternehmen als auch mit Pharmakonzernen. Ziel ist, sich schon früh im Entwicklungsstadium einer Arznei als Produktionssystem zu etablieren. Bis zu einer klinischen Phase II will greenovation dabei die Produktion selbst übernehmen, die dritte klinische Prüfungsphase ist dann in Kooperation mit anderen Produktionspartnern geplant.

Ein Eiweiß mit angehängten Zuckerstrukturen.Lightbox-Link
Ein Eiweiß mit angehängten Zuckerstrukturen.Quelle: Glykostrukturfabrik

Themendossier: Zuckeroptimierte Biotech-Medikamente in Moosen sind nur ein Aspekt der Glykobiotechnologie. Darüber hinaus gibt es etliches mehr, was die Wissenschaft mit Zuckermolekülen alles anstellen kann mehr...


Gute Nachrichten für Moose als Arzneiproduzenten
Die Verdrängung etablierter Produktionsysteme in der Arzneimittelbranche ist kein einfaches Geschäft, doch erst im Oktober konnte die greenovation Biotech gute Nachrichten vermelden: Mit Sartorius Stedium Biotech aus Göttingen beteiligt sich ein industriell angesehender Anbieter von Prozess- und Labortechnologien in der biopharmazeutischen Produktion am Aufbau des ersten Photobioreaktors im Industriemaßstab in Heilbronn. Die Anlage soll 2010 betriebsbereit sein. Sie wird finanziert durch die im Jahr 2006 abgeschlossene Finanzierungsrunde in Höhe von 5,4 Millionen Euro, an der sich der Zukunftsfonds Heilbronn mit 3,5 Millionen Euro maßgeblich beteiligt hat.

In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützten BiochancePlus-Projekt zwischen dem Unternehmen  und den Universitäten Freiburg und Karlsruhe wird zudem an der Optimierung der Produktionstechnologie weiter gearbeitet. "Mit dem entschlüsselten Moosgenom haben wir nun die Blaupause in Händen, die uns helfen wird, die Pflanzenbiotechnologie noch sicherer und effizienter zum Nutzen der Menschen einzusetzen", führt Reski aus. Und Rensing ergänzt: "Das entschlüsselte Moosgenom ist eine elementare Vorraussetzung, um die Lebensprozesse dieser einfach gebauten Pflanze zu modellieren." Auch diese Forschungsrichtung wird vom BMBF unterstützt, und zwar im Rahmen der Freiburger Initiative für Systembiologie (FRISYS).

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