Streit über Zulassungsverfahren gentechnisch veränderter Pflanzen entbrannt

EU-Umweltkommissar Stavros Dimas will die Zulassung von zwei gv-Maislinien verhindern. <ic:message key='Bild vergrößern' />
EU-Umweltkommissar Stavros Dimas will die Zulassung von zwei gv-Maislinien verhindern. Quelle: Monsanto

30.11.2007  - 

Am Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen hat sich auf europäischer Ebene ein heftiger Streit entzündet. Erstmals setzt sich ein EU-Kommissar über das Gutachten der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hinweg und schlägt der Kommission die Ablehnung von gv-Maislinien vor, deren Anbau von der EFSA als sicher eingestuft wird. Da diese Haltung aber nicht von allen EU-Kommissaren geteilt wird, muss nun über eine gemeinsame Lösung verhandelt werden. Vor diesem Hintergrund hat sich Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer beim Treffen der EU-Agrarminister am 26. November für eine grundsätzliche Änderung des Zulassungsverfahrens ausgesprochen: Aus seiner Sicht soll die Entscheidung über gv-Produkte allein wissenschaftsbasiert ohne Beteiligung der Politik stattfinden. Würde eine solche Änderung tatsächlich in Angriff genommen, wäre ein vorläufiger Zulassungsstopp wahrscheinlich.

Wenn ein Agrarunternehmen eine neue gentechnisch veränderte Pflanze als Futter- oder Lebensmittel auf den Markt bringen will, braucht es dafür zwei Zulassungen:  eine Genehmigung des Inverkehrbringens nach der Freisetzungs-Richtlinie 2001/18 (Schwerpunkt: Umweltverträglichkeitsprüfung) und eine Genehmigung nach der Verordnung für gv-Lebens- und Futtermittel (1829/2003) (Schwerpunkt: gesundheitliche Unbedenklichkeit für Mensch und Tier). Der direkteste Weg ist dabei ein integrierter Antrag für beide Zulassungen über die nationale Behörde bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die im italienischen Parma angesiedelt ist.  

Auf der Grundlage der eingereichten Daten erarbeitet die EFSA eine Stellungnahme, die auf einem wissenschaftlichen Gutachten des für Fragen der Gentechnik zuständigen Expertengremiums (GMO Panel) basiert. Dieses Gremium, das mit europäischen Wissenschaftlern aus den unterschiedlichsten Fachbereichen (u.a. Medizin, Ernährung, Toxikologie, Biologe und Chemie) besetzt ist, prüft auf Basis der vom Antragsteller vorgelegten Daten, ob sich die Eigenschaften des gentechnisch veränderten Lebens- oder Futtermittels innerhalb üblicher biologischer Schwankungen nicht von vergleichbaren konventionellen Produkten unterscheidet.

Wie läuft die Bewertung bei gv-Pflanzen ab?

Jedes Lebens- oder Futtermittel besteht aus einer Mischung von hunderten Substanzen in wechselnden Anteilen und unterliegt natürlichen biologischen Schwankungen. Ein absoluter Sicherheitsbeweis ist deshalb für keine Pflanze möglich, ob sie konventionell gezüchtet oder gentechnisch verändert wurde. Mehr über die Sicherheitsbewertung von gv-Pflanzen erfahren Sie hier: klicken

Seit 1998 keine gv-Pflanze mehr in EU zugelassen

Ist die EFSA zu einer Empfehlung gekommen, wird diese an die EU-Kommission als zentrale politische Entscheidungsinstanz auf europäischer Ebene überführt. Die Kommission leitet die Empfehlung wiederum an die entsprechenden Ausschüsse und Gremien weiter, in denen die 25 EU-Mitgliedsländer vertreten sind. Da Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden müssen, aber über das Thema Gentechnik keine Einigkeit herrscht, hat sich dieser wissenschaftlich-politische Prozess in den vergangenen Jahren als Hemmschuh entwickelt: Seitdem das Zulassungsverfahren für gv-Produkte existiert, kam es im Rat der EU-Agrarminister bislang immer zu einer Pattsituation, in der weder für noch gegen eine Zulassung genügend Stimmen zusammenkamen. Bislang sieht das Verfahren für solch einen Fall vor, dass die Entscheidungsbefugnis wieder zurück an die EU-Kommission delegiert wird. Dort wiederum ist man angewiesen, auf der Basis der EFSA-Empfehlung zu entscheiden.

Nachdem seit 1998 in der EU keine einzige gv-Pflanze mehr zum Anbau zugelassen wurde, liegen nun nach jahrelangen Beratungen und Prüfungen drei Anträge auf dem Tisch der EU-Kommission, die einen Entscheidungsvorschlag ausarbeiten muss: Es geht um zwei gv-Maislinien (Bt11 und 1507) und eine gv-Kartoffel für den industriellen Einsatz. Zuständig dafür ist der griechische EU-Umweltkommissar Stavros Dimas.

Amflora: gentechnisch veränderte StärkekartoffelLightbox-Link

Mitte Juli stand die Zulassung der Stärke-Kartoffel kurz bevor. Der Antrag läuft seit 2003. Noch ist keine Entscheidung gefallen:

News:Entscheidung über gv-Stärkekartoffel vertagt

EFSA: Gutachten über Amflora

EU-Umweltkommissar setzt sich über EFSA-Gutachten hinweg

Dieser hat sich jetzt im Fall der beantragten gv-Maislinien Bt11 und 1507 erstmals über das wissenschaftliche Gutachten der EFSA hinweggesetzt und der Kommission die Zulassung nicht empfohlen, obwohl die EFSA den Anbau dieser Maislinien als genauso sicher eingestuft hat wie den Anbau von konventionellem Mais. Dimas stützt seine Entscheidung auf elf wissenschaftliche Publikationen, die aus seiner Sicht von der EFSA nicht ausreichend berücksichtigt worden sind und Zweifel an der Umweltverträglichkeit belegen würden. Diese Praxis wiederum hat Marc van Montagu, Präsident der European Federation of Biotechnology (EFB) bereits veranlasst, einen offenen Brief (PDF Download) an Dimas zu formulieren, in dem er die „wissenschaftliche Basis“ seiner Argumentation anzweifelt. Ähnliche Kritik äußerte die europäische Biotechnologie-Unternehmerorganisation EuropaBio. "Dimas recycelt alte und zum Teil bereits widerlegte Argumente", wird EuropaBio-Generalsekretär Johan Vanhemelrijck in einem Pressestatement zitiert. Gentechnik-Gegner wie die Umweltschutzorganisation Greenpeace befürworten hingegen Dimas' Haltung und sehen die Arbeit der EFSA ebenfalls kritisch.

EU-Kommission zu Bt11 und 1507

EU-Umweltkommissar Stavros Dimas hat Entscheidungsvorlagen für zwei beantragte Maislinien vorgelegt:

PDF-Download (Bt11)

PDF-Download (16507)

Da die Mehrheit der übrigen EU-Kommissare die Haltung von Dimas allerdings ebenfalls nicht teilt, wird derzeit über eine gemeinsame Linie verhandelt – Ausgang offen. Dabei soll auch über die dritte gv-Pflanze abgestimmt werden, deren Anbau in der EU zur Genehmigung ansteht: die Amflora-Kartoffel mit veränderter Stärkezusammensetzung, die für den industriellen Einsatz als Stärkelieferant genutzt werden soll (mehr...).

Seehofer: Zulassungsverfahren muss sich grundsätzlich ändern

Vor dem Hintergrund dieses Streits hat sich nun Deutschlands Landwirtschaftsminister Anfang dieser Woche mit einem neuen Vorschlag zur Änderung des Zulassungsverfahrens eingebracht. „Der eine Kommissar sagt, es ist in Ordnung, der andere nicht. Es ist nicht hinnehmbar, dass wir Politiker nach Mehrheiten und aktuellen Stimmungen entscheiden. So können wir nicht verfahren," sagte Seehofer gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters und regte am Rande des Treffens der EU-Agrarminister vom 26. bis 27. November eine Neuausrichtung an: Ähnlich wie bei Arzneimitteln soll seiner Meinung nach eine zentrale Fachbehörde über die Zulassung von GVO-Produkten entscheiden, ohne dass politische Gremien einen Einfluss auf die Entscheidung hätten.

EU-Landwirtschaftskommissarin Fischer Boel hier mit dem portugiesischem Agrarminister Jaime Silva beim EU-Agrarministertreffen am 26. November.Lightbox-Link
EU-Landwirtschaftskommissarin Fischer Boel hier mit dem portugiesischem Agrarminister Jaime Silva beim EU-Agrarministertreffen am 26. November.Quelle: EU

Während der französische Landwirtschaftminister Michel Barnier Seehofer unterstützt, warnt EU-Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel vor einem neuen Zulassungsmoratorium, das durch die Schaffung eines neuen Verfahrens zunächst wahrscheinlich wäre und von Seehofer auch gefordert wird, bis eine gemeinsame Neuausrichtung beschlossen ist.

Ein Zulassungsstopp wäre aus Sicht von Fischer Boel zum jetzigen Zeitpunkt allerdings fatal, stattdessen sei vielmehr eine Beschleunigung gefragt. Laut Angaben der Kommission bezieht Europa heute 45 Prozent seiner Maisimporte aus Ländern wie USA, Argentinien und Brasilien und 95 Prozent der Sojaimporte stammen ebenfalls aus Argentinien und Brasilien. Diese Länder setzen jedoch stark auf gv-Produkte in der Landwirtschaft und werden künftig immer mehr neue gv-Produkte zulassen. Wenn nun dort in rascher Folge neue gv-Pflanzen auf den Markt kommen und hier für deren Zulassung Jahre in Anspruch genommen werden, dann müssten sich Europas Bauern auf einen Engpass bei Futtermitteln und die Verbraucher auf steigende Fleischpreise einstellen, so Fischer Boel.

Video

Auf Youtube: Kurzfilm über die Arbeit von Unternehmen in der Agrobiotechnologie

Sie wollen wissen, woran in Unternehmen der Agrobiotechnologie gearbeitet wird? Ein Kurzfilm auf dem Videoportal YouTube illustriert diese Fragen am Beispiel von deutschen Firmen. Mehr


Grüne Gentechnik

Mehr Informationen zur Grünen Gentechnik auf biotechnologie.de

Sie wollen sich über Grüne Gentechnik informieren? Auf biotechnologie.de finden Sie dazu mehrere Gelegenheiten.

Gesetz: Streit um gv-Zulassung auf EU-Ebene mehr

Umfrage: Landwirte zur Nutzung der Gentechnik befragt mehr

Anbau: Daten zur weltweiten Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen mehr

In unserer Rubrik Daten und Fakten haben wir eine Übersicht an Zahlen zur Anwendung der Grünen Gentechnik in der Landwirtschaft für Sie zusammengestellt: mehr

In unserer Rubrik Förderporträt berichten wir über die Pläne des Forscherbündnis BioOK von der Ostseeküste, das das Zulassungsprozedere von gentechnisch veränderten Pflanzen verbessern und künftig aus einer Hand anbieten will: mehr