Sorangium cellulosum: Genom eines vielseitigen Naturstoff-Produzenten entschlüsselt

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Das Bodenbakterium Sorangium cellulosum zeichnet sich durch die Bildung von Kolonien aus. Quelle: Müller/ Universität des Saarlandes

01.11.2007  - 

Myxobakterien sind kleine Wunderwerkzeuge in der Mikrobenwelt. Sie stellen Wirkstoffe gegen Pilze, Bakterien und auch Zellgifte her – und liefern der Wissenschaft damit die Basis für die Entwicklung von Krebsmitteln, Antibiotika und Pflanzenschutzmitteln. Rolf Müller von der Universität des Saarlandes hat sich dabei schon seit Jahren dem Bodenbakterium Sorangium cellulosum gewidmet – unter anderem als Preisträger des BMBF-Wettbewerbes BioFuture und unter dem Dach der BMBF-Programme GenoMik und GenoMikPlus. Wie Müller gemeinsam mit Kollegen der Universität Bielefeld, des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig sowie der Universität Gießen im Fachmagazin Nature Biotechnology (2007, 28. Oktober, online) berichtet, konnte jetzt das komplette Genom von Sorangium cellulosum  entschlüsselt werden. Darauf aufbauend, so die Hoffnung, lässt sich künftig gezielter nach neuen Wirkstoffen suchen sowie deren Produktion verbessern.

Sorangien gehören zu den talentiertesten Vertretern der Myxobakterien, sie produzieren fast die Hälfte der myxobakteriellen Naturstoffe. Etwa 500 dieser Sekundärmetabolite kennt man heute. Als bekannteste Vertreter gelten die Epothilone. Mikrobiologen entdeckten diesen Schatz in Sorangien aus Sambesi, der genauso wirkt, wie ein gängiges Krebsmittel: Epothilon stört die Zellteilung. Es hemmt den Abbau von sogenannten Mikrotubuli, die im weiteren Sinne dazu dienen, die Chromosomen bei der Zellteilung gleichmäßig auf zwei Zellen zu verteilen. Nach dem die Struktur dieses Stoffes aufgeklärt wurde, befinden sich nun einige der synthetisch hergestellten Derivate in fortgeschrittenen klinischen Prüfungen. Ihr entscheidender Vorteil: Auch Krebszellen, die gegen das herkömmliche Krebsmittel resistent sind, sprechen auf die mikrobielle Variante an.

GenoMik-Förderung durch das BMBFLightbox-Link
Genomforschung an Mikroorganismen wird seit Jahren vom BMBF unter dem Dach des GenoMik-Programms unterstützt. Dadurch haben sich in Göttingen, Bielefeld und Würzburg Kompetenzzentren gebildet. Mehr Informationen

Interessanter Wirkstoff-Produzent mit entscheidendem Nachteil

Myxobakterien wären also geradezu prädistiniert, als Minifabriken in der industriellen Produktion von Naturstoffen eingesetzt zu werden. Bis sie aber genug Masse erreicht haben, vergeht aus wirtschaftlicher Sicht eine halbe Ewigkeit. Schnelle Sorangien benötigen bis zu sieben, langsame sogar 16 Stunden, um sich zu teilen. Im Vergleich dazu: Bislang genutzte bakterielle Fabriken wie Escherichia coli brauchen dafür gerade 20-30 Minuten. Um den Wachstums- und Teilungsprozess künftig gezielt beeinflussen zu können bzw. kommerziell interessante Gene in etablierte Produktionsorganismen übertragen zu können, müssen Wissenschaftler zunächst alle genetischen Details des Bakteriums kennen.

Vor Jahrzehnten legten Wissenschaftler an der Gesellschaft für biotechnologische Forschung (GBF), heute Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) ein Myxobakterien-Archiv an, das heute etwa 7000 Stämme umfasst. Rolf Müller ist inzwischen einer der prominentesten deutschen Wissenschaftler auf diesem Gebiet, der von Beginn an durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt wurde.  So konnte sich der Forscher im Jahr 2003 beim BioFuture-Wettbewerb durchsetzen, durch den er über fünf Jahre hinweg eine eigene Arbeitsgruppe finanzieren kann. Darüber hinaus entstand ein Myxobakterien-Forschungsschwerpunkt unter dem Dach des BMBF-Programms „Genomforschung an Mikroorganismen" (GenoMik), das aufgrund des kommerziellen Potenzials inzwischen als GenoMikPlus-Projekt fortgesetzt wird. Müller arbeitet hier eng mit Alfred Pühler von der Universität Bielefeld sowie Klaus Gerth vom HZI in Braunschweig zusammen.

Das obere Bild zeigt das Ausbreitungsmuster von Sorangium cellulosum, unten sind die Fruchtkörper des Bodenbakteriums zu sehen.Lightbox-Link
Das obere Bild zeigt das Ausbreitungsmuster von Sorangium cellulosum, unten sind die Fruchtkörper des Bodenbakteriums zu sehen.Quelle: Müller/ Univeristät des Saarlandes

Sorangien als talentierteste Myxobakterien im Visier der Genomforscher

Sorangium cellulosum, eine Zellulose zersetzende Variante der Sorangien, dient Müller und seinen Kollegen dabei als Modellorganismus, weil es mit rund 10.000 Genen, die aus 13,1 Millionen Basenpaaren aufgebaut sind, das mit Abstand größte Bakteriengenom aufweist. Darüber hinaus wächst Sorangium cellulosum vergleichsweise schnell ohne zu verklumpen und behält auch seine Fähigkeit, Fruchtkörper zu bilden. Von den 1800 Sorangien-Stämmen, die bei der GBF/HZI liegen, lassen sich bisher nur die wenigsten gentechnisch bearbeiten. Ihre Fähigkeit, Sporen zu bilden, verlieren die meisten unter Laborbedingungen. Nun dient der Stamm Sorangium cellulosum So ce56 als genetische Blaupause für diese Unterordnung der Myxobakterien.

Wie die Wissenschaftler um Rolf Müller jetzt in Nature Biotechnology berichten, konnten für rund 4800 der identiziferten Gene mögliche Funktionen zugeordnet werden – ein Großteil enthält Baupläne für regulative Eiweißmoleküle, deren Zusammenspiel äußerst komplex ist. Bei mehr als 3000 Genen fanden die Wissenschaftler keine entsprechende funktionelle Zuordnung in bestehenden Datenbanken. Ein Vergleich mit dem ebenfalls bereits sequenzierten Genom des Myxobakteriums M. xanthos zeigte, dass sie nur knapp 3000 ähnliche Gene aufweisen und im Genomaufbau sowie in der Genomorganisation erstaunlich unterschiedlich sind. Allerdings konnten die Wissenschaftler auch übereinstimmende Gensequenzen identifzieren, von denen sie ausgehen, dass es sich hierbei um für alle Myxobakterien spezifische Sequenzen handelt.

Biotechnologisches Potenzial noch unausgeschöpft

Aus biotechnologische Sicht zeigt die Genanalyse von Sorangium cellulosum vor allem das noch ungenutzte Potenzial des Bakteriums: die Wissenschaftler konnten weit mehr Gensequenzen aufspüren, die für die Produktion von Naturstoffen veranwortlich sind, als durch bisherige Studien aufgedeckt wurde. Sie fanden zudem heraus, dass Sorangium cellulosum viele kommerziell interessante Enzyme herstellt und konnten erste Einblicke in molekulare Details des Cellulose-Abbaus gewinnen.

Interessant ist zudem eine weitere Besonderheit von Sorangium cellulosum: Es zeigt ein sogenanntes pseudosoziales Verhalten. Darunter verstehen Wissenschaftler die Fähigkeit der Mikroorganismen, gemeinsam Strukturen aus zahlreichen Bakterien zu bilden. Diese als Fruchtkörper bezeichneten Formen dienen dem Überleben der Art bei Nahrungsmangel und erinnern an echte Fruchtkörper niederer Pilze.

Die Fähigkeit von Sorangium cellulosum zur Fruchtkörperbildung fasziniert gerade Grundlagenwissenschaftler ganz besonders. Sie zeigt, dass auch vergleichsweise einfache Organismen wie Bakterien die Fähigkeit zur Kommunikation und zu koordinierter Aktion haben. Die dafür verantwortlichen chemischen Substanzen können ebenfalls in Medizin und Pharmazie von Bedeutung sein. „Das Verständnis der genetischen Grundlagen der Naturstoffbildung“, so hofft Müller, „kann zur Entdeckung neuer Wirkstoffe und damit zur Entwicklung neuer Medikamente beitragen.“

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