Lesen im Erbgut unserer nächsten Verwandten

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Vor genau 150 Jahren wurden zum ersten Mal Neandertaler-Überreste gefunden. Das Bild zeigt eine Rekonstruktion eines Neandertalers. Quelle: Rheinisches LandesMuseum Bonn (Ausstellung Roots 2006)

20.11.2006  - 

Was macht den Menschen eigentlich zum Menschen und wie unterscheidet er sich von seinem nächsten Verwandten, dem Neandertaler? Dieser Frage gehen Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten nach – meist unter dem Blickwinkel der Archäologie oder der Paläontologie. Erst seit kurzem haben sich Genomforscher der Sache angenommen und Svante Pääbo vom Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig (MPI Eva) ist einer der prominentesten Vertreter dieses Fachs. Jetzt hat sich der Paläogenetiker gemeinsam mit amerikanischen Kollegen das Genom des Neandertalers vorgenommen, um auf diese Weise die genetische Entwicklung des Menschen besser zu verstehen. Wie das Team zeitgleich in den beiden großen Wissenschaftsmagazinen Nature (Vol. 444, S. 330-336) und Science (Vol. 314, S.1113-1118) berichtet, ist ein erstes Erbgut-Bruchstück nun analysiert. Es zeigt, dass die genetischen Unterschiede zwischen Mensch und Neandertaler nur minimal sind.

Die Rolle der Neandertaler im Geflecht der Entwicklung des modernen Menschen war lange Zeit schlichtweg unbekannt: Erst vor genau 150 Jahren, im Jahr 1856, wurden erste fossile Skelettteile im Neandertal gefunden – einem Gebiet in der Nähe vom heutigen Düsseldorf. Damals passte der Fund jedoch noch nicht ins Weltbild. Eine Abstammung des Menschen von primitiveren Vorfahren galt als unmöglich.

Inzwischen hat sich dieses Bild gewandelt und der Neandertaler ist als europäischer Ureinwohner akzeptiert. Funde auf der Iberischen Halbinsel, in Frankreich, auf dem Balkan bis ins westliche Asien und den Vorderen Orient belegen zudem, dass sein Reich ziemlich ausgedehnt gewesen sein muss. Die Herkunft der Neandertaler blieb bisher jedoch ebenso rätselhaft wie die Tatsache, dass er vor etwa 45.000 Jahren von der Bildfläche verschwand und sich aus der Gattung Homo lediglich der moderne Mensch durchsetzte. Offensichtliche Gründe dafür gibt es nicht: Das Neandertaler-Hirn ist genauso groß wie das des Menschen, das Schädeldach allerdings flacher, der Hinterkopf runder. Typisch sind zudem Überaugengeschwülste und das fehlende Kinn.

Analyse der Neandertaler: Von dunklen Höhlen ins High-Tech-Labor

Seit Jahrzehnten suchen Wissenschaftler nun Antworten auf die rätselhafte Rolle des Neandertalers und lange Zeit haben sich hauptsächlich Archäologen damit beschäftigt. Sie waren auf Funde aus dunklen Höhlen angewiesen und versuchten, das Puzzle der Vergangenheit mithilfe von Spaten, Zirkel und Pinzette zu klären. So entdeckten sie eine ganze Reihe von interessanten Details – etwa dass Neandertaler ihre Toten beerdigt haben, sich mit versierten Waffen bekämpften, aber bei Verletzungen auch pflegten. Mithilfe neuester Techniken der Genomforschung sind die Knochen und damit das Erbmaterial des Neandertalers nun jedoch in den hochsterilen Laboren von Paläogenetikern wie Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig angelangt. Von der genetischen Analyse erhoffen sich die Forscher vor allem eines: Die Frage der Frage zu klären, was den Menschen zum Menschen macht und welche Gene sich im Laufe der Entwicklung der Gattung Homo besonders stark verändert haben.

Analyse der 38.000 Jahre alten DNA

Die Analyse eines fossilen Ur-Genoms ist allerdings keine einfache Angelegenheit, da das Erbgut nicht mehr intakt vorliegt. Ähnlich wie bei alten Schriften, deren Seiten mit der Zeit verfallen, müssen auch die Erbgut-Moleküle mühsam wieder zusammengesetzt werden. Aus vielen kleinen Stückchen Desoxyribonukleinsäure (DNA) bauen sich Paläogenetiker Schritt für Schritt das ganze Genom zusammen. Darüber hinaus sind fossile Funde mit unzähligen fremden Erbgutschnipseln übersäht. Sie stammen von Bakterien und Pilzen, die den Körper des Ureinwohners nach seinem Tod besiedelt haben oder von Menschen, die mit den Fossilien arbeiten.

Steriles Arbeiten in Reinräumen hilft Kontaminationen vorzubeugen: Forscher entnehmen diesem 38.000 Jahre alten Neandertaler-Knochen eine Probe für Sequenzierungen.Lightbox-Link
Steriles Arbeiten in Reinräumen hilft Kontaminationen vorzubeugen: Forscher entnehmen diesem 38.000 Jahre alten Neandertaler-Knochen eine Probe für Sequenzierungen.Quelle: MPI-EVA

Steriles Arbeiten in Reinräumen hilft Kontaminationen vorzubeugen: Forscher entnehmen diesem 38.000 Jahre alten Neandertaler-Knochen eine Probe für Sequenzierungen des Erbguts. Quelle: MPI-EVA

Der Schwede Svante Pääbo ist ein Experte auf diesem Gebiet und gemeinsam mit Edwar Rubin vom Joint Genome Institute aus den USA hat er zunächst die verschiedensten fossilen Knochen und Zähne von Neandertalern auf ihre Tauglichkeit für die Genomforschung untersucht. Aus 70 Proben fischten sie schließlich vor zwei Jahren eine heraus, bei der sich zu 99% Neandertaler-Erbgut fand – sie wurde in der Vindija-Höhle in Kroatien entdeckt und ist 38.000 Jahre alt. Dank neuester Techniken konnten die Knochen nun so aufbereitet werden, dass sich besonders aussagekräftige DNA-Schnipsel für die Genomanalyse herausfiltern ließen. Bis dato konnten Wissenschaftler aus Fossilien nämlich nur die DNA von Mitochondrien untersuchen, den Energiekraftwerken der Zelle. Diese sogenannte mtDNA ist aus fossilen Funden leichter herauszufischen, liefert aber kein vollständiges Bild einer Probe, da sie nur über die Mutterseite weitervererbt wird. Von der DNA aus dem Zellkern ist hingegen viel weniger vorhanden - nur etwa 0,05% der Menge der mtDNA. Dank der Kooperation mit den amerikanischen Kollegen gelang es nun, diese Kern-DNA erstmals zu vervielfältigen und anschließend zu sequenzieren. Beide Forscherteams teilten sich dabei die Probe auf und jede Gruppe versuchte, die Neandertaler-DNA auf eine andere Weise zu analysieren.

Noch nicht geklärt: Kreuzung zwischen Mensch und Neandertaler?

Wie Pääbo und seine amerikanischen Kollegen zeitgleich in den Fachmagazinen Science und Nature berichten, haben sie nun rund eine Million Basen des Neandertaler-Genoms entschlüsselt. Dies entspricht zwar nur 0,04% des gesamten Erbguts, aber dennoch haben die Wissenschaftler schon einiges aus den Bruchstücken herauslesen können. So ist der Neandertaler dem modernen Menschen sehr viel ähnlicher als der bereits sequenzierte Schimpanse – also tatsächlich unser nächster Verwandter. Außerdem haben beide Forschergruppen bestätigt, dass sich die Entwicklungslinien zwischen Mensch und Neandertaler vor mindestens einer halben Million Jahre getrennt haben, nach der Schätzung des amerikanischen Wissenschaftlers Rubin ist dies sogar 700.000 Jahre her.

Darüber hinaus hat Pääbo im Gegensatz zu seinem amerikanischen Kollegen Rubin nun Hinweise darauf entdeckt, dass Neandertaler und Mensch gemeinsame Nachkommen gezeugt haben. Damit liefern seine Erkenntnisse Zündstoff für eine seit langem umstrittene Frage: Haben sie oder haben sie nicht? Aufgrund von Genanalysen- und vergleichen der mitochondrialen DNA hatten die meisten Experten diese Frage bisher eher mit Nein beantwortet. Pääbos Analyse hat nun gezeigt, dass es Romanzen zwischen Neandertalerfrauen und Menschenmännern gegeben haben könnte. Allerdings, so der Experte, dürften sie eher selten gewesen sein.

Ganzes Neandertalergenom in etwa zwei Jahren

In etwa zwei Jahren wollen die Forscher eine Rohfassung des ganzen Genoms liefern. Dazu müssen sie allerdings Neandertaler-Knochenmaterial von insgesamt 20 Gramm analysieren, um genügend Erbgut zur Verfügung zu haben. „Die Genom-Sequenz des Neandertalers könnte dann nicht nur neue Informationen über unsere ausgestorbenen Verwandten liefern“, so Pääbo, „sondern auch Hinweise auf Regionen in unserem eigenen Genom, die sich seit der Abspaltung vom Neandertaler besonders stark verändert haben.“ Nach Ansicht der Experten standen diese Regionen mit großer Wahrscheinlichkeit unter positiver Selektion und könnten von daher eine entscheidende Rolle bei der Entstehung des modernen Menschen gespielt haben.

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