Neuer Bluttest sagt Brustkrebs-Risiko voraus

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Der neue Test der Henningsdorfer Firma Sphingotec misst die Proneurotensin-Konzentration im Blut und soll die Brustkrebsrisikoabschätzung signifikant verbessern. Quelle: Sphingotec GmbH

06.02.2014  - 

Je früher Brustkrebs behandelt wird, desto größer gelten die Heilungschancen. Vorsorgeuntersuchungen zielen deshalb darauf ab, Tumore so früh wie möglich zu erkennen. Ein seit Januar von der Hennigsdorfer Firma Sphingotec GmbH angebotener Test setzt noch davor an. Er misst die Konzentration eines bestimmten Eiweißes im Blutplasma. Daraus lässt sich das Risiko ableiten, einmal an Brustkrebs zu erkranken. Diese neue Medizin, die eingreift, bevor die Krankheit überhaupt in Erscheinung tritt, ist gleichermaßen eine Herausforderung für Ärzte wie Patientinnen.

Früherkennungsprogramme wie die Mammographie zielen darauf ab, den Brustkrebs möglichst früh in seiner Entstehung zu erkennen. Doch bringt die Röntgenuntersuchung für Frauen mit altersbedingt erhöhtem Brustkrebsrisiko nicht immer den erhofften Nutzen. Nach Auskunft der Krebsinformationsdienstes ergibt das Diagnoseverfahren bei immerhin fünf Prozent der routinemäßig untersuchten Frauen zwischen 50 und 69 Jahren ein „falsch-positives“ Ergebnis: nach verdächtigen Mammographie-Befunden entnommene Gewebeprobe stellen sich später als unauffällig heraus. Die dadurch ausgelösten Ängste und Sorgen hängen lange nach, selbst wenn sie sich im Nachhinein als unbegründet erweisen, sagt Anton Scharl, einer der führenden Brustkrebsexperten in Deutschland. Deshalb wäre ein Test sinnvoll, der hilft, Frauen mit niedrigem Brustkrebsrisiko vorab auszusortieren, so der Chefarzt am Klinikum St. Marien in Amberg.

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Protein im Blutplasma als Anzeiger

Einen solchen Vorhersagetest, der Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko erkennen soll, noch bevor überhaupt ein Tumor entstanden ist, bietet seit Mitte Januar die Firma Sphingotec in Hennigsdorf bei Berlin Ärzten an. Der Test misst die Konzentration von Proneurotensin im Blutplasma von Frauen – einer Proteinvorstufe des im Blut schnell zerfallenden Sättigungshormons Neurotensin. Ist die Proneurotensin-Konzentration auf nüchternen Magen erhöht, nimmt auch die Wahrscheinlichkeit zu, an Brustkrebs zu erkranken. Normalerweise erkrankt jede achte Frau in Deutschland an Krebs, pro Jahr insgesamt 71.000. Bei Frauen mit hohem Proneurotensin-Spiegel ist das Risiko mehr als doppelt so hoch wie bei solchen mit niedriger Konzentration des Biomarkers, so die Angaben der Firma. Der rund 70 Euro teure Test soll eine deutliche Verbesserung der Risikoeinstufung herbeiführen. „Proneurotensin zeigt eine erhöhte Anfälligkeit für Krebs, Jahre bevor Tumore entstehen“, erklärt Olle Melander, Professor an der Universität Malmö, der in klinischen Studien mit Sphingotec kooperierte.

Belege aus zwei klinischen Studien

Vor dem Vermarktungsstart hatte Melander zwei Studien vorgelegt, die Malmö Diet and Cancer (MDC)-Studie und die Anfang Dezember 2013 zur Veröffentlichung eingereichte Malmö Preventive Project-Studie (MPP). In der MDC-Studie zeigte ein besonders hoher Proneurotensin-Blutspiegel bei Frauen zwischen 40 und 70 Jahren eine Erhöhung des Brustkrebsrisikos um den Faktor 2,44 an (JAMA, 2012, Bd. 308, S. 1469-1475). Die Ergebnisse der MPP-Studie, in die durchschnittlich um zehn Jahre ältere Frauen eingeschlossen waren, belegen diese Daten. „Das Viertel der Frauen mit den höchsten Proneurotensin-Blutspiegeln zeigte gegenüber den 25 Prozent der Frauen mit niedriger Blutkonzentration sogar eine neunfach höhere Erkrankungswahrscheinlichkeit“, so Melander. Durch Mutationen in bestimmten Genen kann die Bildung von Krebs ausgelöst werden. Solche Gene sind beispielsweise Onkogene oder Tumorsuppressor-Gene.Quelle: biotechnologie.tv

Den stärkeren Effekt bei den älteren Frauen erklärt er damit, dass diese „näher am Krebs“ waren. Sie entwickelten durchschnittlich bereits nach drei Jahren Tumore. Melander ist überzeugt: „Proneurotensin zeigt eine erhöhte Anfälligkeit für Krebs, Jahre bevor Tumore entstehen.“ Auch Sphingotec-Chef Andreas Bergmann sieht die Ergebnisse der Studien, als gute Grundlage für die Vermarktung. „Die Ergebnisse belegen: Anerkannte Risikofaktoren wie das Rauchen, Übergewicht, die Anzahl der Schwangerschaften, der Zeitpunkt der Wechseljahre oder eine Hormon-Ersatztherapie geben weit weniger Auskunft über die Wahrscheinlichkeit, an Brustkrebs zu erkranken, als die Proneurotensin-Konzentration.“ Bisher sei der Test für weiße, europäische Frauen erprobt, die älter als 50 Jahre seien, sagt Bergmann. Wissenschaftlich blieben indes noch sehr viele Fragen offen. „Deshalb führen wir in Europa und den USA zahlreiche weitere Studien durch.“ Allein in diesem Jahr erwartet der Mitgründer der 2009 für 330 Millionen Euro an Thermo Fischer verkauften Diagnostikfirma Brahms Ergebnisse aus drei weiteren Studien.

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Geteilte Meinungen bei Brustkrebs-Spezialisten

Ob oder für welche Frauen das neue Testangebot sinnvoll ist, darüber gehen die Meinungen von Krebsexperten auseinander. Aus der Sicht von Anton Scharl deuten die bisher bekannten Studienergebnisse zwar darauf hin, dass der Test Frauen mit höherem Risiko und solche mit niedrigem Risiko unterscheiden kann. Doch hieße dies längst nicht, dass er für alle Frauen sinnvoll sei. „Ein Test macht erst dann Sinn, wenn sich daraus eine Handlungsmöglichkeit ableitet“, so Scharl, „zum Beispiel die medikamentöse Senkung des Brustkrebsriskos.“ Da diese nicht ohne Nebenwirkungen seien, müsse ihr Einsatz wohlüberlegt sein. Auch der Einsatz des Vorhersagetests solle wegen der Möglichkeit falsch-positiver Ergebnisse nur bei Frauen erfolgen, deren Risiko erhöht sei. „Eine Möglichkeit wäre, Marker wie Proneurotensin bei den Frauen zwischen 50 und 70 einzusetzen, die wegen ihres altersbedingt ohnehin erhöhten Brustkrebsrisikos zum Mammographiescreening kommen“, meint Scharl. „Wenn ich nur die Frauen zur Mammographie schicke, die für den Marker auffällig sind, ließe sich die Zahl an Frauen, die sich unnötig Sorgen machen, vielleicht verringern.“ Scharls Vorsicht ist grundsätzlicher Natur und betrifft nicht nur den Proneurotensin-Test. „Wenn ich bei einer Krankheit, die bei einem von tausend Menschen auftritt, nur eine Wahrscheinlichkeit von einem Prozent habe, dass ein Marker zwar erhöht ist, aber der Mensch gesund, dann finde ich zehn Gesunde mit Auffälligkeiten und einen Kranken. Das heißt, selbst ein sehr genauer Marker findet mehr Gesunde als Kranke“, rechnet der Onkologe vor. „Je höher das Erkrankungsrisiko, desto wahrscheinlicher finde ich wirklich einen Kranken und versetze niemanden unnötig in Sorge.“

Was tun bei einem positiven Testergebnis?

Marion Kiechle, Direktorin der Frauenklinik am Klinikum rechts der Isar in München, hält den neuen Test in jedem Fall für eine Option für Frauen, die ihr Brustkrebsrisiko kennen wollen: „Ich persönlich würde den Test schon machen wollen und würde dann im Falle des Falles jedes Jahr statt alle zwei Jahre zur Vorsorge gehen.“ Doch für eine Routineanwendung des Tests fehle sicher noch der Kontext: Denn was tun bei einem positiven Testergebnis? „Wir überprüfen derzeit bei Frauen mit erblich bedingt höherem Erkrankungsrisiko, inwieweit sich die Blutkonzentration von Proneurotensin durch eine Änderung des Lebensstils, also eine bestimmte Ernährung und ein Sportprogramm, verändern lässt.“ Erste Studiendaten erwartet Kiechle Ende 2014. Auch Sphingotec-Chef Bergmann räumt ein, dass es für Frauen mit positivem Testergebnis keine wissenschaftlich gesicherten Handlungsempfehlungen gebe. Diese müssten in weiteren Studien erst erprobt werden.

© biotechnologie.de/tg

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