Neues Haar und kräftige Beißer aus der Kulturschale

Die Entwicklung eines Haarfollikels unter dem Elektronenmikroskop. Nach einigen Tagen bildet die Neopapille (links) Pole. Aus dem oberen sprießt nach wenigen Wochen ein Haar. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Die Entwicklung eines Haarfollikels unter dem Elektronenmikroskop. Nach einigen Tagen bildet die Neopapille (links) Pole. Aus dem oberen sprießt nach wenigen Wochen ein Haar. Quelle: Gerd Lindner/TU Berlin

26.11.2013  - 

Einem Forscherteam von der TU Berlin ist es gelungen, die zelluläre Kommandozentrale, in der das Haarwachstum induziert wird, im Reagenzglas herzustellen. Pflanzt man das körpereigene Zellaggregat in die Haut ein, sprießen neue Haare von alleine. Nicht nur Kahlköpfe könnten künftig davon profitieren. Die sogenannten Haarfollikel aus der Kulturschale sollen In Vitro-Testmethoden revolutionieren. Ähnliche Fortschritte haben die Wissenschaftler auch bei Zähnen gemacht: Sie forschen derzeit an den Dritten, die nachwachsen.

Menschen, die nach einer Chemotherapie die Kopfbehaarung einbüßen mussten, oder aus anderen Gründen Haare gelassen haben, könnten bald ihre Haarpracht wiedererlangen. Ein Forscherteam um Roland Lauster und Uwe Marx von der Technischen Universität Berlin hat die zellulären Kommandozentralen für die Haarbildung erstmals aus adulten Hautzellen in seinen Labors hergestellt. Die künstlich hergestellten Haarfollikel, sogenannte Haarorganoide, sind von besonderer Bedeutung für die Forschung, weil die Miniorgane die Fähigkeit besitzen, Haare zu bilden, schnell zu wachsen und sich im Falle einer Beschädigung wieder zu regenerieren. Ebenfalls im Portfolio der Forscher: Kommandozentralen für die Zahnbildung. Erste Erkenntnisse aus ihren Experimenten hatten die Forscher im Fachmagazin Journal of Biotechnology (2011, Online-Veröffentlichung) publiziert.

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Haarfollikel-Zellen finden sich selbst

Zunächst wollten die Forscher bei ihren Versuchen lediglich etwas über die Organogenese in der Haut lernen. Die Zellen der sogenannten dermalen Papillen formen unter bestimmten Voraussetzungen die Haarfollikel. Die Wissenschaftler entnahmen diese Zellen aus der Haut von Spendern und kultivierten sie in speziellen Kulturschalen, wo sie sich nicht an die Gefäßwände anheften konnten. „Weil sie keine Möglichkeit zur Anheftung im Reagenzglas gefunden haben, aggregierten die Zellen miteinander zu größeren Zellgewebe-Klumpen", sagt der Mediziner Uwe Marx.

Überraschender Fund

„Bei dieser sogenannten mesenchymalen Kondensation finden sich die Zellen binnen weniger Stunden ganz automatisch“, erklärt die Biotechnologin Jennifer Binder, die ihre Doktorarbeit in der Arbeitsgruppe anfertigt. Das war allerdings nicht alles: Die Zellen der dermalen Papillen begannen ihre eigene Extrazelluläre Matrix - das Umgebungsmedium für Körperzellen - zu bilden. Beträufelten die Forscher die Zellen mit den Bausteinen für diese Matrix, wie etwa dem Strukturprotein Kollagen, beschleunigte das die Produktion. Sobald die Zellen ausreichend ummantelt waren, organisierten sie sich in Miniausführungen von Papillarkörperchen, die die Forscher „Neopapillen“ tauften. „Nach einigen Tagen entdeckten wir mehr oder minder zufällig, dass einige der Neopapillen echte Haare ausgebildet hatten“, berichtet Binder. „Das sind unsere Kommandozentralen für die Haarbildung, die wir bei einer Transplantation einsetzen wollen", fügt Marx hinzu.

Aus Zahnstammzellen (grün) und Zellen aus der Haut (rot) bildet die Zahnkommandozentrale.Lightbox-Link
Aus Zahnstammzellen (grün) und Zellen aus der Haut (rot) bildet sich eine Zahnkommandozentrale.Quelle: TU Berlin

Revolution in der Kosmetiktestung

Nicht nur kahle Köpfe könnten so frisiert werden. Was der Kosmetikindustrie lange ein Haar in der Suppe war, kann vielleicht bald gelöst werden: „Sollte es uns gelingen, unsere Haarfollikel mit künstlichen Hautkulturen zu kombinieren, könnte die Kosmetiktestung revolutioniert werden“, ist sich Marx sicher. „Den bisherige Hautmodelle in der Kosmetikindustrie haben  keinen Haarfollikel. Dieser ist allerdings ein wichtiger Eintrittspunkt für Kosmetika“, so der Forscher.

Nachwachsende Dritte

Aber nicht nur in Sachen Haaren sind die Berliner Forscher unterwegs. Nach dem gleichen Prinzip der Zell-Kondensation züchteten sie Kommandozentralen für die Zahnbildung. Der wesentliche Unterschied: die Quelle der Zellen. „Hierfür isolieren wir zunächst Vorläuferzellen aus Weisheitszähnen. Im Reagenzglas bieten wir ihnen durch das Milieu Rahmenbedingungen, die typisch für die frühkindliche Entwicklung sind“, erläutert Marx. Den Zellen der Zahn-Kommandozentrale wird so signalisiert, wie bei einem Kleinkind die Zahnentwicklung zu starten. Nun tüfteln die Forscher an den Feinheiten: „Zwar können wir die Kommandozentralen gut im Reagenzglas bilden, wir überlegen allerdings noch, ob wir sie nicht mit anderen Zahn-Zelltypen kombinieren müssen, um die Induktion der Zahnbildung im Kiefergewebe besser zu stimulieren.“

In Kürze...

Sehen Sie in der nächsten Ausgabe von biotechnologie.tv am 9. Dezember einen Beitrag zu den Forschungsarbeiten der Berliner Arbeitsgruppe. 

Haare, Zähne, Milchdrüsen und Fingernägel

Die Idee, eines Tages Dritte zu züchten, ist nicht ganz abwegig: Bioingenieuren aus Japan ist es bereits gelungen, eine solche Zahn-Kommandozentrale in das Kiefergewebe von Mäusen zu transplantieren. Das Ergebnis: Ein vollständiger Zahn wuchs binnen weniger Wochen. „Theoretisch funktioniert das auch bei Brustdrüsengewebe oder Fingernägeln. Bis das Prinzip beim Menschen angewendet werden kann, werden allerdings noch einige Jahre vergehen“, gibt Marx zu Bedenken. Bei den Haaren wird es schneller gehen. Schon im kommenden Jahr wollen die Berliner in klinischen Studien ihre Haarkommandozentralen am Menschen erproben.

© biotechnologie.de/bs

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