Nur noch Kosmetik ohne Tierversuche

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Künftig dürfen in der EU keine Kosmetikprodukte mehr verkauft werden, deren Inhaltsstoffe an Tieren getestet wurden. Quelle: Rama / Wikimedia Commons

14.03.2013  - 

Seit 11. März sind an Tieren getestete Kosmetika verboten – und zwar unabhängig davon, ob das Produkt aus einem der EU-Mitgliedsländer oder einem Drittstaat kommt. Galt dieses Verbot bisher nur für in der EU hergestellte Kosmetika, ist nun die letzte Übergangsfrist abgelaufen, die Produkte aus Ländern außerhalb der EU von der Regelung ausnahm. Tierschützer begrüßen das Verbot.  Hersteller von alternativen Testmethoden zeigen sich zuversichtlich. Aus der Wissenschaft kommt aber auch Kritik an der Regelung, da etliche Probleme noch ungelöst sind.

Löst eine Hautcreme eine Allergie aus? Ist ein Shampoo schädlich für die Kopfhaut? Fragen wie diese wurden lange Zeit vor allem mit Tierversuchen geklärt. Bereits seit 2004 dürfen fertige Kosmetikprodukte in der Europäischen Union allerdings nicht mehr an Tieren getestet werden. Im Jahr 2009 ist zudem ein Verbot in Kraft getreten, das europaweit verbietet, einzelne Kosmetikinhaltsstoffe mithilfe von Tierversuchen zu überprüfen. Ausnahmen bestanden allerdings für die drei Endpunkte Allergie, Krebs oder Fortpflanzungsschäden, wenn der Tierversuch außerhalb der EU durchgeführt wurde. Ein neuer Beschluss der EU-Kommission macht damit nun Schluss. Ab sofort sind an Tieren getestete Kosmetika verboten. „Ich bin mir sicher, dass diese Nachricht vielen Europäern gefallen wird, die mit uns die Ansicht teilen, dass Tiere niemals für die Herstellung von Kosmetika leiden dürfen“, kommentierte EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg die Umsetzung der EU-Kosmetikverordnung 1223/2009.

Zellkulturtests als Alternative

Tierschützer begrüßen diesen Schritt ebenfalls. „Die EU-Kommission hat sich konsequent verhalten und erhöht dadurch den Druck auf Wissenschaft und Kosmetikindustrie, die noch fehlenden Tests zu entwickeln“, sagte Kurt Simons, Vorsitzender des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte, mit Blick auf den Einsatz von alternativen Testmethoden zum Tierversuch. Als Ersatz kommen neben Computersimulationen vor allem Zellkulturtests in Frage. Ziel dabei ist es, die Funktion von menschlichen Organen wie der Haut oder der Leber möglichst naturgetreu in Form von komplexen dreidimensionalen Zell- und Gewebekulturen nachzuahmen. Eine ganze Reihe von Forschern in Deutschland ist damit beschäftigt, entsprechende Tests zu entwickeln. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt diese Forschung zudem im Rahmen der Förderinitiative „Ersatzmethoden zum Tierversuch“. In den vergangenen 30 Jahren sind mehr als 120 Millionen Euro in 400 Forschungsprojekte geflossen. Für die meisten Verträglichkeitstests von Kosmetika gibt es daher inzwischen gute Alternativen zu Tierversuchen - etwa bei der Untersuchung von Hautreizungen. So haben Forscher der Fraunhofer-Institute für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen und für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart beispielsweise eine  vollautomatische Produktionsanlage für 3D-Hautmodelle entwickelt. 2011 ging die Gewebefabrik in Betrieb. Pro Monat sollen in der Stuttgarter „Tissue Factory“ bis zu 5.000 daumennagelgroße Hautstückchen vom Stapel gehen (mehr…).

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Einige Alternativen noch nicht validiert

Für einige wichtige Fragestellungen fehlen allerdings noch immer entsprechend zugelassene Alternativverfahren – etwa bei Toxizitätstests mit wiederholter Gabe der Testsubstanz und Untersuchungen zur Toxokinetik. Die EU-Kommission selbst hatte erst 2010 in einer Expertenkommission festgestellt, dass es noch mehr als zehn Jahre dauern werde, bis hierfür entsprechende Methoden bereitstünden und diese von der zuständigen Behörde ECVAM auch validiert seien. Eine weitere EU-Studie weist zudem aus, dass pro Jahr europaweit ohnehin nur noch knapp 4000 Tierversuche in der Kosmetikindustrie durchgeführt werden – ein Bruchteil der pro Jahr in der Forschung insgesamt eingesetzten 12 Millionen Tiere.

Ob ein Alternativverfahren vorliegt oder nicht – danach richtet sich das aktuelle Verbot jedoch nicht. Aus Sicht von Experten könnte es nun dazuführen, dass Stoffe eingesetzt werden, deren Unbedenklichkeit nicht erwiesen ist. Ein anderes Szenario: Neue Substanzen haben eine deutlich geringere Chance, überhaupt zum Zuge zu kommen. So sagte Axel Schnuch vom Informationsdienst Dermatologischer Kliniken (IVDK), der bis 2010 Mitglied der Kosmetikkommission am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) war, gegenüber Spiegel Online: „In den EU-Staaten, auch in Deutschland, findet ein Humanexperiment im großen Stil statt. Niemandem wird es auffallen, wenn etwa die Krebs- oder Allergiezahlen durch mangelhaft geprüfte Produkte steigen.“

Testhersteller zuversichtlich
Die Testhersteller geben sich wiederum zuversichtlich, die Tierversuche tatsächlich durch alternative Methoden ersetzen zu können. „Lifescience-Technik wird zur Herstellung künstlicher Haut, Atemwegsgewebe und der Hornhaut des Auges verwendet“, betont etwa Ralf Hermann, Vorstandsvorsitzender der Fachabteilung Life Science Research (LSR) im Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH). „So ist es möglich, Tierversuche zu umgehen und Produkte für den Verbraucher sicher zu testen.“

Zulassung künftig komplizierter

Viele Unternehmen haben zudem bereits die teilweise seit 2004 laufenden Übergangsfristen genutzt, um auf alternative Testverfahren umzustellen. So hat Henkel bereits 2006 seine Hautforscher in einem Zentrum in Düsseldorf konzentriert, um an Hautmodellen zu forschen, die allergieauslösende Stoffe erkennen können. Dennoch geht bei dem Mischkonzern die Sorge um, dass das Verbot der Tierversuche für Kosmetikausgangsstoffe den Export des Konzerns belasten könnte. Der Grund: Die Behörden in China schreiben beispielsweise für einige Kosmetikprodukte ausdrücklich Tierversuche vor. Im Einzelfall könnte das bedeuten, dass sich ein Hersteller entscheiden muss, ob ein Produkt für China oder die EU entwickelt wird – also entweder mit Tierversuchen oder ohne.

Darüber hinaus bleibt den Firmen ein juristisches Schlupfloch. So schätzt der Bundesverband der Tierversuchsgegner, dass ein Großteil der Inhaltsstoffe von Kosmetika gar nicht unter die EU-Kosmetikrichtlinie fällt, sondern stattdessen unter das ganz normale Chemikalienrecht (REACH). Das allgemeine Chemikalienrecht sieht hier im Rahmen der toxikologischen Prüfung zur Sicherstellung der menschlichen Gesundheit sogar noch explizit Tierversuche vor. Wie dieser Widerspruch gelöst wird, ist derzeit noch offen.

© biotechnologie.de/sw

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