Die Macht der Epigenetik

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Die Sprecher und Organisatoren des 16. Berliner Kolloquiums der Daimler und Benz Stiftung. Quelle: Daimler und Benz Stiftung

08.05.2012  - 

Die Diskussion, wie stark das Erbgut die Eigenschaften eines Menschen festlegt und wie groß der Einfluss der Umwelt ist, wird unter Forschern schon seit vielen Jahren geführt. Sahen sich einige Wissenschaftler nach der vollständigen Sequenzierung der menschlichen DNA 2001 schon am Ziel einer allumfassenden Antwort, machte sich kurz darauf Ernüchterung breit. Neue Erkenntnisse im aufstrebenden Forschungszweig der Epigenetik haben gezeigt, dass das Zusammenspiel von Umwelt und Erbgut bedeutend komplexer ist als bisher angenommen. Auf einem Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung trafen sich am 2. Mai in der Berliner Charité mehr als 100 Teilnehmer, um sich über die jüngsten Forschungsergebnisse auszutauschen.

 

Eigentlich könnte es so einfach sein: Mit dem Ausspruch „Du bist deine Fleisch gewordene DNA“, brachte der britische Biologe Jack Cohen die damals unter Naturwissenschaftlern herrschende Stimmung auf den Punkt. Demnach seien grundlegende Charaktereigenschaften bereits in den Genen festgeschrieben. Nicht zuletzt die vollständige Sequenzierung des menschlichen Erbguts durch das Human Genome Project und das US-Unternehmen Celera im Jahr 2001 weckte zunächst große Erwartungen (mehr...). Inzwischen ist ein neuer Realismus eingekehrt. „Die junge Wissenschaft der Epigenetik zeigt an immer mehr überzeugenden Beispielen, dass schon die Frage – entweder genetische Anlagen oder Umwelt – falsch gestellt ist“, stellte der Biologe und Schriftsteller Bernhard Kegel nun beim 16. Berliner Kolloquium mit dem Titel „Gene und Umwelt“ fest. Mindestens genau so bedeutsam wie die in der DNA kodierten Proteine sei die Steuerung des Genoms. Während die DNA-Sequenz in jeder menschlichen Zelle gleich sei, sorgten epigenetische Mechanismen für ein charakteristisches Genaktivitätsmuster, so Kegel.

Hintergrund

Sei 1997 veranstaltet die Daimler und Benz Stiftung einmal jährlich das "Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung". Dort werden in fachübergreifenden Diskussionen zu den Wechselbeziehungen zwischen Mensch, Umwelt und Technik aufgegriffen.

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DNA-Methylierung und Histon-Modifizierung beeinflussen Genaktivität

Tatsächlich ist es den Forschern in den vergangenen Jahren gelungen, die molekularen Mechanismen aufzuklären, die bestimmte Gene einschalten und andere stilllegen. Dabei kommt es häufig zu Veränderungen an der DNA-Doppelhelix, ohne dass die Basenabfolge selbst geändert wird. Das Anheften eines kleinen chemischen Moleküls, einer Methylgruppe, wirkt wie ein Stoppschild. Im Zellkern ist das Erbgut meist auf kleinen Proteinen aufgewickelt. Auch an diese Histone können kleine Signalmoleküle gehängt werden, die das Ablesen eines Genabschnitts entweder erleichtern oder verhindern.

Wie stark diese winzigen Veränderungen auf molekularer Ebene das Leben eines Menschen beeinflussen können, erschließt sich den Forschern erst langsam. Etwa 50 Prozent der Intelligenz eines Menschen wird durch erbliche Faktoren beeinflusst, berichtete Lars Penke von der Universität Edinburgh. „Auch wenn Erblichkeitsschätzungen nicht im Sinne eines biologischen Determinismus fehlinterpretiert werden sollten, zeigen sie doch die Rolle von Genen für die Ausprägung von Intelligenz“, so der Kognitionswissenschaftler. Doch auch wenn Tests den Einfluss der Gene nachweisen ist noch unbekannt, welche genetischen Varianten genau für die Unterschiede verantwortlich sind. Zahlreiche verschiedene, aber jeweils nur sehr selten auftretende Mutationen könnten der Auslöser sein, vermutet Penke.

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Brücke zwischen Natur- und Sozialwissenschaften

Es ist also noch viel Forschungsarbeit notwendig. „Die bloße Feststellung, dass Gene und Umwelt irgendwie zusammenwirken, hilft uns nicht wesentlich weiter, wenn wir die Entstehung von Krankheiten, psychologischen Merkmalen oder Verhaltenstendenzen besser verstehen wollen“, betonte der Verhaltensgenetiker Rainer Riemann von der Universität Bielefeld. Mit Zwillingsstudien versuchen die Forscher dem Einfluss der Epigenetik auf die Spur zu kommen. „Es lässt sich zeigen, dass extreme Umweltbedingungen genetische Prozesse dauerhaft beeinflussen können“, so Riemann. Während eineiige Zwillinge im Kleinkindalter epigenetisch kaum voneinander zu unterscheiden sind, werden sie mit zunehmendem Alter immer unterschiedlicher. „Das Leben hinterlässt epigenetische Spuren, die bei den Geschwistern zu abweichenden Genaktivitäten führen“, sagte Kegel.

Dem konnte sich auch Moshe Szyf, Professor für Pharmakologie und Therapeutika an der kanadischen McGill University, nur anschließen: „Unsere Hypothese ist, dass die DNA-Methylierung mit der Geburt eines Menschen nicht abgeschlossen ist, sondern dass das Methylierungsmuster während des gesamten Lebens variabel bleibt.“ Die Methylierung wäre so eine Antwort auf chemische oder soziale Signale aus der Umwelt und könnte dem Zweck dienen, das Erbgut eines Kindes für die zukünftig erwarteten Lebensbedingungen fit zu machen. „Widrige Bedingungen in den ersten Lebensjahren verändern das Methylierungsmuster der DNA, was wiederum die Funktion der Gene beeinflusst“, warnte der Forscher. Diese naturwissenschaftlichen Erkenntnisse würden ein neues Licht auf die Bedeutung frühkindlicher Erziehung und deren Auswirkung auf das Sozialverhalten im späteren Leben werfen. Tatsächlich könnten die Ergebnisse der Epigenetik eine neue Brücke zwischen den Naturwissenschaften und der Sozialforschung bauen und eine ganz neue Grundlage für die Lösung wichtiger Menschheitsfragen bauen, so Szyf.

©biotechnologie.de/bk

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