Populationsgenetik: Einsiedler als Überlebenskünstler
15.02.2012 -
Seit Charles Darwin vor rund einhundert Jahren die Evolutionstheorie formulierte, ist klar: Im Laufe der Evolution setzen sich die bestangepassten Lebewesen durch. Wer im Kampf um das Dasein unterliegt, stirbt aus. Unter Biologen galt bisher als ausgemacht, dass eine möglichst hohe genetische Vielfalt als Lebensversicherung funktioniert. Selbst wenn sich die Umgebungsbedingungen dramatisch ändern, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass einige Vertreter der vielfältigen Art genau das richtige Genrepertoire mitbringen um auch dann noch zu überleben. Ein Forschungsprojekt an der Universität Hohenheim stellt nun die Frage, ob Pflanzen auch Umweltveränderungen überleben, für die sie genetisch gar nicht vorbereitet sind.
Die allermeisten Pflanzen sind an besondere Umweltbedingungen angepasst. Manche von ihnen sind wahre Einsiedler, sie kommen weltweit nur an einem einzigen Standort vor. Gerade für diese sogenannten endemischen Arten sind Klimaänderungen eine ernsthafte Gefahr für das weitere Fortbestehen. Doch seltsamerweise überleben viele Pflanzenarten schon seit Tausenden von Jahren hartnäckig – trotz starker Umweltveränderungen in ihrem Bereich. Wie sie das geschafft haben, untersucht der Pflanzenforscher Karl Schmid von der Universität Hohenheim. Dabei unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Projekt Adaptomics mit rund 281.000 Euro.
Schmid beschäftigt sich mit einer Verwandten der Ackerschmalwand (Arabidospis thaliana). Während A. thaliana auf der gesamten Nordhalbkugel der alten Welt vorkommt – ihr natürliches Verbreitungsgebiet reicht von Nordafrika zum Indischen Subkontinent und von ganz Europa über Sibirien bis ins östliche Asien – ist ihre Schwesterart Arabidopsis pedemontana bei der Standortwahl sehr viel anspruchsvoller. Ihr Lebensraum liegt in den Alpen auf 1.800 bis 2.500 Metern Höhe und ist nur 25 Quadratkilometer groß. „Das Verbreitungsgebiet ist nicht viel mehr als ein einziger Bergzug in der norditalienischen Region Piemont“, sagt Karl Schmid, Leiter des Fachgebiets Nutzpflanzenbiodiversität und Züchtungsinformatik an der Universität Hohenheim. „Das ist dem unscheinbaren Pflänzchen aber immer noch nicht exklusiv genug. Denn es kommt in diesen Höhen nur entlang von Flussläufen vor“, so der Pflanzenforscher.
Endemiten sind wichtig für Artenvielfalt
Doch nicht nur A. pedemontana hat spezielle Vorlieben. In den Westalpen und rund ums Mittelmeer gibt es noch mehrere hundert weitere Pflanzen mit sehr kleinen Verbreitungsgebieten. „Endemiten machen weltweit den Großteil der Artenvielfalt von Pflanzen aus“, schätzt Schmid. Ob diese Eigenbrötler unter den Pflanzen dem Klimawandel und anderen tiefgreifenden Umweltveränderungen gewachsen sind, ist bisher noch nicht richtig erforscht. „Endemiten, wie Arabidopsis pedemontana sind nur mit sehr kleinen Populationen vertreten und deshalb genetisch extrem verarmt“, weiß Schmid zu berichten.
So gesehen scheinen endemische Pflanzen tatsächlich vom Aussterben bedroht zu sein. Denn die Schulweisheit sagt: Je vielfältiger das genetische Material ist, desto besser können sich Pflanzen an neue Gegebenheiten anpassen. Aber so einfach geben sie sich offenbar doch nicht geschlagen: „Es ist paradox“, sagt der Pflanzenforscher, „aber die beiden Arabidopsis-Arten, die wir untersuchen, kommen beide schon seit mindestens 100.000 Jahren in ihren heutigen Verbreitungsgebieten vor.“ Klimaänderungen haben die beiden Kreuzblütler also schon einige überlebt. Denn in den letzten 100.000 Jahren hatten mehrere Eiszeiten Europa fest im Griff.
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Hartnäckigkeit der genetisch Verarmten
Es lässt sich ganz einfach erklären, was die Endemiten zu Überlebenskünstlern gemacht haben könnte: „Vielleicht waren sie vor 100.000 Jahren noch mit genetischer Vielfalt gesegnet“, so der Genetiker. „Wenn das so war, dann können wir das auch heute noch nachweisen.“
Möglicherweise gäbe es aber auch noch weitere, bislang unerforschte Mechanismen, die den Endemiten das Überleben ermöglichten. Gemeinsam mit einem Kooperationspartner analysiert Schmid deshalb das gesamte Erbgut der Arabidopsis pedemontana und ihrer Verwandten Arabidopsis cebennensis aus den südfranzösischen Cevennen. Populationsgenetische Verfahren geben den beiden Forschern dabei auch Einblick in die Geschichte des Genoms. „Damit können wir modellhaft untersuchen, welche Chancen die Endemiten haben, sich an den Klimawandel anzupassen, ohne an ihrer fehlenden genetischen Anpassungsfähigkeit auszusterben“, so der Experte.
Würden die Forscher fündig, hätten ihre Ergebnisse auch für die Agrarwirtschaft zu Zeiten des aktuellen Klimawandels eine Bedeutung. Im Vergleich zu ihren wilden Vorläuferarten sind nämlich auch die heutigen Hochleistungssorten genetisch verarmt. Die Hohenheimer Forscher erwarten daher, dass die Genomanalyse bei den beiden Gebirgswildpflanzen auch Rückschlüsse auf deren Anpassungsfähigkeit an das Klima der Zukunft zulässt.
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