Leuchtende Antikörper assistieren bei Krebs-OP

Bei einer Maus wurden Brustkrebszellen von einem Antikörper namens Herceptin aufgespürt. Da die Antikörper leuchten können, verraten sie Chirurgen schon während einem Eingriff, ob sämtliches Tumorgewebe entfernt wurde. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Bei einer Maus wurden Brustkrebszellen von einem Antikörper namens Herceptin aufgespürt. Da die Antikörper leuchten können, verraten sie Chirurgen schon während einem Eingriff, ob sämtliches Tumorgewebe entfernt wurde. Quelle: Roche Pharma, Penzberg

22.11.2011  - 

Tumorgewebe bei einem Eingriff restlos zu entfernen ist für Krebschirurgen ein schwieriger Balanceakt. Bislang müssen die Mediziner dabei zumeist der Sehkraft ihrer Augen vertrauen, wenn sie ihr Skalpell führen. Nun haben Forscher aus Deutschland und den Niederlanden eine Methode entwickelt, mit der sich Krebszellen während der OP zum Leuchten bringen lassen und damit dem Chirurgen anzeigen, wie gründlich sie gearbeitet haben. Der Krebschirurg Go van Dam von der Universität Groningen und der Kameraexperte Vasilis Ntziachristos vom Helmholtz Zentrum München zeigen, wie mit einer Spezialkamera Brustkrebsgewebe sichtbar gemacht werden kann, das sie zuvor mit den farbstoffmarkierten Antikörpern Herceptin und Avastin der Firma Roche behandelt hatten. Die Forscher berichten im Journal of Nuclear Medicine (2011, Bd. 52, S. 1778) über ihre Experimente.

„Bisher ist der Chirurg nach der Entfernung der großen Tumormasse auf das bloße Auge angewiesen“, erklärt Go van Dam. „Da er die Tumorgrenzen nicht genau erkennen kann, schneidet er entweder zuviel Brustgewebe weg – mit nachteiligem Effekt auf das kosmetische Ergebnis – oder er entfernt zu wenig Krebsgewebe. Dies hat eine zweite Operation oder sogar eine Brustamputation zur Folge.“ Die Idee,  gefärbtes Tumorgewebe mit Kameras während der Operation sichtbar zu machen, ist laut Vasilis Ntziachristos bereits 60 Jahre alt. Doch fehlte es bisher an geeigneten krebsspezifischen Farbstoffen. Auch konnten bisherige Fluoreszenzkameras die Krebszellen nicht während der Operation in angemessener Qualität detektieren.

Krebsmedikamente mit Farbstoff gekoppelt

Beide Probleme haben die Forscher gelöst. Im September hat Ntziachristos im Fachblatt Nature Medicine (2011, Bd. 17, S. 1315)  ein über dem OP-Tisch schwenkbares optisches System vor, das die Information von drei Kameras in Live-Bilder fluoreszierenden Krebsgewebes umsetzt. Zum Leuchten bringen die Forscher die Tumorzellen mit zwei Antikörpern- Herceptin und Avastin – sie sind für bestimmte Anwendungsgebiete bereits zugelassen und gehören zu den Bestsellern von Roche. Avastin erkennt den von den Tumorzellen ausgeschiedenen Botenstoff VEGF. Er sorgt dafür, dass Blutgefäße in Richtung Tumor wachsen. Herceptin bindet an das Molekül Her2neu, das auf der Oberfläche von Brustkrebszellen verankert ist und bei 25 Prozent der Brustkrebspatientinnen verstärkt gebildet wird. An die Antikörper wurden Farbstoffe gekoppelt, die dafür sorgen, dass der Tumor im UV-Licht sichtbar wird. In Versuchen mit Tiermodellen ließen sich Tumorzellnester etwa siebenmal empfindlicher  detektiereb als durch das menschliche Auge. Somit verspricht die Methode bessere Operationsergebnisse und damit eine bessere Prognose bei Brustkrebs. Nicht nur bei Tieren,  auch für klinischen Tests an Brustkrebspatientinnen stehen entsprechende krebsspezifische Farbstoff-Antikörper-Konjugate zur Verfügung. Zusammen mit Kooperationspartner Werner Scheuer, Pharmaforscher vom Roche Diagnostics-Standort in Penzberg, haben die Forscher unlängst im Tier nachgewiesen, dass sich die farbstoffmarkierten Antikörper Avastin und Herceptin für klinische Studien am Menschen eignen.

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Im Tierversuch veränderte das Ankoppeln des Farbstoffmoleküls IRDye 800 CW weder die Bindungseigenschaften der seit langem als Brustkrebstherapeutika zugelassenen Antikörper an ihre Zielmoleküle in den Krebszellen, noch änderte sich ihre Verteilung im Körper. Einer klinischen Studie mit dem Avastin-Farbstoff-Konstrukt hat die holländische Zulassungsbehörde laut van Dam bereits zugestimmt. Eine weitere in der Indikation Magenkrebs solle Ende nächsten Jahres beantragt werden, denn der Faktor VEGF, an den der Antikörper bindet, wird nicht nur in Brustkrebszellen, sondern auch in einer Reihe weiterer Krebstypen gebildet.

Spezifität der Antikörper muss noch geklärt werden

Allerdings muss abgewartet werden, ob diese Markierung spezifisch genug ist, denn VEGF wird von den Krebszellen ins angrenzende Gewebe ausgeschieden und daher auch in benachbarten Stromazellen gefunden. Deshalb streben die Forscher auch klinische Tests mit dem farbstoffmarkierten Herceptin an, das spezifischer an Brustkrebszellen bindet. Derzeit wirbt Scheuer für die Finanzierung einer klinischen Studie in Deutschland. „Wenn wir in klinischen Tests zeigen können, dass die Zahl der Nachoperationen nach Einsatz unseres Verfahrens tatsächlich sinkt, kann diese chirurgische Bildgebung schnell in die Anwendung gebracht werden“, hofft Scheuer. In noch unveröffentlichten Tierexperimenten konnten die Roche-Forscher mit Hilfe des Herceptin-Farbstoff-Moleküls bereits sichtbar machen, dass die unvollständige Entfernung des Primärtumors zur Bildung von Metastasen führt. Wenn alles gut geht, könnte das Verfahren nach Durchlaufen der erforderlichen Phase II- und –III-Tests nach Experteneinschätzung bereits in fünf Jahren für den klinischen Einsatz freigegeben werden.

© biotechnologie.de/tg

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