Henrietta Lacks: tot und doch unsterblich

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Die ungefragte Spenderin der HeLa-Zellen: Henrietta Lacks. Quelle: wikimedia commons

06.10.2011  - 

Henrietta Lacks wurde gerade einmal 31 Jahre alt. Die Tabakarbeiterin aus dem US-amerikanischen Baltimore starb am 4. Oktober 1951 an Gebärmutterhalskrebs. Kurz vor ihrem Tod entnahm ihr behandelnder Arzt am Johns-Hopkins-Hospital eine Gewebeprobe des Tumors. Heute, genau 60 Jahre später, sind die aus dieser Probe hervorgegangenen HeLa-Zellen eines der wichtigsten Forschungsinstrumente überhaupt. Aufgrund der Entartung haben die Zellen nie aufgehört, sich zu teilen und wurden so unsterblich.

HeLa-Zellen sind so etwas wie die Universaltalente der biologischen Forschung. In den fünfziger Jahren nutzte der Entdecker des Impfstoffs gegen Kinderlähmung, Jonas Salk, die Zellen, um seinen Wirkstoff zu testen. Seitdem wurden sie unter anderem eingesetzt, um Krankheiten wie Aids oder Krebs zu untersuchen, Effekte von Giften zu beobachten sowie um bestimmten Genen eine Funktion zuzuordnen. Die Zellen flogen mit dem Space Shuttle ins Weltall und wurden bei Atomtests benutzt, um die Strahlungswirkung abzuschätzen. Der erste Klon überhaupt war eine HeLa-Zelle. Und es war auch eine versehentlich eingefärbte HeLa-Zelle, die den Blick auf die 46 menschlichen Chromosomen und so auf die Ursache für Krankheiten wie das Downsyndrom freigab.

Bis zum Jahr 2009 waren mehr als 60.000 wissenschaftliche Publikationen erschienen, denen die Arbeit an HeLa-Zellen zugrunde lag. Schon mehrere Male wurden Forschungsarbeiten an diesem Zelltyp mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Zu den jüngsten Preisträgern gehören der deutsche Mediziner Harald zur Hausen „für seine Entdeckung der Auslösung von Gebärmutterhalskrebs durch humane Papillomviren“ (2008) und Elizabeth Blackburn für die Erkenntnis „wie Chromosomen durch Telomere und das Enzym Telomerase geschützt werden“ (2009).

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Gewebeentnahme ohne Zustimmung

Henrietta Lacks, die afroamerikanische Nachfahrin von einstigen Plantagen-Sklaven, hat niemals erfahren, welchen großen Dienst sie der Wissenschaft erwiesen hat. Ihr Arzt am Johns-Hopkins-Klinikum in Baltimore, Howard Jones, hatte sie über die Gewebeentnahme weder informiert, noch hatte er sie um Erlaubnis gebeten. Stattdessen gab er das Material an seinen Forscherkollegen George Otto Gey weiter, den Leiter des Gewebelabors. Als Gey mit den Zellen arbeitete, entdeckte er etwas vollkommen Neues: Die Zellen starben nicht etwa nach einer gewissen Zeit ab, sondern teilten sich unaufhörlich weiter – jeden Tag bis heute.

Warum die Krebszellen sich so unbegrenzt vermehren können, haben Forscher noch immer nicht vollkommen verstanden. Offenbar verfügen die Zellen jedoch über eine einzigartig aktive Version des Enzyms Telomerase. Während des Zellzyklus werden die Enden der Chromosomen, die Telomere, normalerweise jedes  Mal ein Stück gekürzt. Viele Experten vermuten, dass dies eine der Hauptursachen für das Altern und den Tod von Zellen ist. Das Enzym Telomerase ist nun dafür zuständig, die abgeschnittenen Telomere ein Stück zu verlängern – und die HeLa-Version dieses Enzyms tut dies anscheinend besonders effizient. Das Prinzip ähnelt also einer Art Streifenkarte: Bei jeder Zellteilung wird ein Abschnitt entwertet, bis nach rund 50 Teilungen der Fahrschein abgelaufen ist - die Zelle stirbt. Bei HeLa-Zellen flickt die Telomerase den entwerteten Abschnitt wieder, die Karte bleibt unbegrenzt gültig, und die Zelle entkommt dem Tod.

In vielen Laboren der Welt werden heutzutage HeLa-Zellen eingesetzt. Für die Mikroskopie können die Zellkerne mit einem blauen Fluoreszenzfarbstoff angefärbt werden.Lightbox-Link
In vielen Laboren der Welt werden heutzutage HeLa-Zellen eingesetzt. Für die Mikroskopie können die Zellkerne mit einem blauen Fluoreszenzfarbstoff angefärbt werden.Quelle: TenOfAllTrades/Wikimedia commons

2011: Verleihung der Ehrendoktorwürde

Für die Forschung waren die HeLa-Zellen ein Glücksfall. Gey gab die Zellen bald an US-Kollegen weiter. Als schließlich klar wurde, dass sich die Kulturen sogar problemlos mit der Post verschicken ließen, begann auch der weltweite Siegeszug. Die Gesamtzahl der bis heute gezüchteten Zellen dürfte inzwischen die Anzahl aller Zellen in Henrietta Lacks’ Körper bei weitem überstiegen haben. Bis zu 50 Tonnen HeLa-Zellen dürften in den Laboren der Welt inzwischen gezüchtet worden sein, schätzen Experten. Weder Henrietta Lacks noch ihre Familie profitierten jedoch davon. Tatsächlich reichte das Geld der Familie in den fünfziger Jahren nicht einmal für Henriettas Grabstein. Die Versuche der Familie, vom Johns-Hopkins-Hospital Geld für die HeLa-Zellen zu erhalten, scheiterten. Das Krankenhaus beharrt noch heute darauf, die Zellen immer kostenlos abgegeben und mit ihnen kein Geld verdient zu haben. Erst allmählich erkennen die Forscher die Bedeutung Lacks’ für ihre Forschung. Im Juni 2011, 60 Jahre nach ihrem Tod, verlieh ihr die amerikanische Morgan State University die Ehrendoktorwürde. Die Morehouse School of Medicine ließ 2010 einen Grabstein für Henrietta Lacks aufstellen: „Im Gedenken an eine bemerkenswerte Ehefrau und Mutter, die das Leben vieler berührte. Hier ruht Henrietta Lacks (HeLa). Ihre unsterblichen Zellen werden der Menschheit ewig helfen.“

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