iPS-Zellen: Zellkraftwerke von Mutationen besonders betroffen

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Die menschliche mitochondriale DNA besteht aus 16.569 Basenpaaren mit 37 Genen. Quelle: jhc/knopfkind/wikimedia

03.08.2011  - 

Forscher vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik haben entdeckt, dass Körperzellen, die zu induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen)reprogrammiert werden, in ihrem Erbgut Veränderungen anhäufen. Offenbar sind insbesondere die Zellkraftwerke, die Mitochondrien, davon betroffen, berichten die Forscher in der Fachzeitschrift Stem Cells (2011, Onlineveröffentlichung). Der Befund ist eine weitere Komplikation, die den Einsatz von iPS-Zellen in der Medizin erschweren könnte.

Durch induzierte pluripotente Stammzellen könnten Forscher sich möglicherweise aus einem Dilemma befreien. Weil sich die iPS-Zellen in nahezu alle anderen Zelltypen verwandeln lassen, könnten sie eines Tages bei der Behandlung vieler schwerer Erkrankungen, wie Alzheimer oder Parkinson, genutzt werden. Im Gegensatz zu ihren umstrittenen Pendants, den embryonalen Stammzellen, werden für ihre Herstellung allerdings keine Embryonen genutzt, so dass sie ethisch unbedenklich sind.

Um iPS-Zellen herzustellen, nutzen Forscher „erwachsene“, ausdifferenzierte Körperzellen. Mit Hilfe eines Vektors werden zusätzliche Gene in die Zelle geschleust. Die Gene bewirken, dass die Zelle ihren molekularen Stoffwechsel umprogrammiert und sich ins pluripotente Stadium zurückentwickelt. Wie Forscher um James Adjaye vom Berliner Max-Planck-Institut für molekulare Genetik jetzt herausgefunden haben, hat diese Reprogrammierung aber ihren Preis: Offenbar schleichen sich während der Reprogrammierung krankheitsauslösende Mutationen in das Erbgut der iPS-Zellen ein. Besonders die Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle, sind anscheinend besonders betroffen, berichten die Forscher um Adjaye nun in der Fachzeitschrift Stem Cells.

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Mitochondrien besitzen anfälliges Erbgut

Im Gegensatz zu den allermeisten anderen Strukturen der Zelle, ist die Erbinformation für Mitochondrien nicht im Zellkern gespeichert. Sie findet sich vielmehr direkt in den Mitochondrien selbst – und das könnte auch ein Grund sein, warum die Mitochondrien-DNA von den Veränderungen besonders stark betroffen ist. Die Zellkraftwerke verfügen nämlich nicht über die ausgeklügelten molekularen Reparaturmechanismen des Zellkerns. Darüber hinaus entstehen während der Zellatmung besonders reaktionsfreudige Moleküle, die ebenfalls Erbgutveränderungen hervorrufen können.

Gemeinsam mit der ebenfalls am Berliner Max-Planck-Institut beheimateten Arbeitsgruppe von Bernd Timmermann hat Adjaye nun das mitochondriale Erbgut von iPS-Zellen sequenziert. Das Ergebnis: In allen reprogrammierten Zellen fanden sich genetische Veränderungen im Mitochondrien-Genom, die in den Ursprungszellen nicht vorhanden waren. Dabei waren immer nur einzelne Buchstaben im genetischen Code durch andere ersetzt worden. Wie häufig dieser Fehler auftrat, war von Zelllinie zu Zelllinie unterschiedlich.

 

Bei der Reprogrammierung von Körperzellen kommt es im Erbgut der Zellkraftwerke, der Mitochondrien, besonders häufig zu Veränderungen.Lightbox-Link
Bei der Reprogrammierung von Körperzellen kommt es im Erbgut der Zellkraftwerke, der Mitochondrien, besonders häufig zu Veränderungen.Quelle: Louisa Howard

Reprogrammierte Zelllinien unbedingt auf Mutationen testen

„Während der Reprogrammierung wird die mitochondriale Erbsubstanz nach dem Zufallsprinzip neu geordnet“, fasst Adjaye die Ergebnisse zusammen. Dabei hatten die beobachteten mitochondrialen Mutationen letztlich keine Auswirkung auf das Ergebnis der Reprogrammierung. Die iPS-Zellen verhielten sich trotz der Erbgutveränderungen wie konventionelle embryonale Stammzellen, ihr Stoffwechsel war offenbar nicht beeinträchtigt. „Zelllinien, die für eine klinische Anwendung vorgesehen sind, sollten unbedingt auf solche Mutationen getestet werden“, fordert der Genetiker. Schließlich seien viele genetische Veränderungen im Mitochondrien-Erbgut bekannt, die als Auslöser für Krankheiten verantwortlich sind. Verschiedene Stoffwechselstörungen, Nervenerkrankungen, Tumore oder Abstoßungsreaktionen nach einer Transplantation können so verursacht werden. 

Trotzdem hoffen die Forscher, dass eines Tages auch Menschen mit mitochondrialen Krankheiten von den im Labor hergestellten Multitalenten profitieren können. Schätzungsweise eine unter 5000 Personen leidet an einer solchen Erkrankung. „Für diese Patienten ließen sich möglicherweise mutationsfreie iPS-Zelllinien gewinnen und zur Therapie einsetzen“, sagt Alessandro Prigione, der ebenfalls am Berliner Max-Planck-Institut forscht. „Dazu müssten wir aber sicherstellen, dass die bereits getesteten, mutationsfreien Zellen nicht erneut Mutationen anhäufen, während wir sie in Kultur halten.“

Insgesamt reihen sich die Ergebnisse ein in eine Serie von Veröffentlichungen, die in den vergangenen Monaten potenzielle Risiken bei der Herstellung von iPS-Zellen beobachtet haben. Erst kürzlich hatten US-Forscher berichtet, dass sich im Genom von iPS-Zellen Mutationen anhäufen, die ihren Einsatz in regenerativen Therapien erschweren könnten.

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