Biotechnologie von übermorgen: Nächste Stufe im Strategieprozess gezündet

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Welche biotechnologischen Innovationen werden künftig gebraucht? Und wo besteht dringend Forschungsbedarf? Fragen wie diese standen beim Jahreskongress des Strategieprozesses „Nächste Generation biotechnologischer Verfahren“ im Zentrum. Quelle: F. Dahnke/Biocom

08.07.2011  - 

Es geht um die Biotechnologie von übermorgen: 2010 hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Strategieprozess „ Biotechnologie 2020+“ gestartet, um die Entwicklung einer nächsten Generation biotechnologischer Verfahren voranzutreiben. Seitdem ist viel passiert: Erste Meilensteine in Forschung und Entwicklung wurden in Fachgesprächen herausgearbeitet, erste Konsortien haben sich formiert und ihre Arbeit aufgenommen, eine erste Förderinitiative wurde gestartet. Knapp 200 Akteure aus Wissenschaft, Industrie und Politik kamen nun am 7. Juli zum zweiten Jahreskongress im Strategieprozess zusammen, um eine erste Zwischenbilanz der Initiative zu ziehen und in Kreativ-Workshops darüber nachzudenken, wie neuartige Biotech-Produkte der Zukunft aussehen könnten. 

Die Biotechnologie birgt reichlich Potenzial, drängende Herausforderungen der Zukunft zu lösen - etwa die Umstellung vom Rohstoff Öl hin zu nachwachsenden Ressourcen. Doch auch wenn biotechnologische Verfahren bereits heute in zahlreichen Industrieprozessen Einzug gehalten haben, die gängigen Verfahren stoßen vielfach an ihre Grenzen. Um das volle Potenzial biotechnologischer Produktionsweisen auszuschöpfen, sind völlig neuartige Ansätze nötig.

Etwa 200 Experten aus Forschung, Industrie und Politik nahmen an der Veranstaltung im BCC Berlin teil.Lightbox-Link
Rund 200 Akteure aus Forschung, Industrie und Politik nahmen an der Veranstaltung im BCC Berlin teil.Quelle: F. Dahnke/Biocom

Mit dem Strategieprozess “Biotechnologie 2020+“ will das BMBF gemeinsam mit den Forschungsorganisationen und Hochschulen einen langfristigen Diskussionsprozess darüber anstoßen, welche Schritte in Forschung und Entwicklung notwendig sind, um der nächsten Generation biotechnologischer Verfahren den Weg zu ebnen.  

Nach dem Auftakt des Strategieprozesses im Juli 2010 (mehr...) standen dabei zunächst grundlegende technologische Aspekte Vordergrund, die im Rahmen von vier Fachgesprächen mit Experten diskutiert wurden und auch erste Initiativen bei den Forschungsorganisationen angestoßen haben. Beim 2. Jahreskongress am 7. Juli 2011 in Berlin wurde nun eine erste Zwischenbilanz des Strategieprozesses gezogen. Rund 200 Akteure aus Wissenschaft, Industrie und Politik waren ins Berliner Congress Center bcc am Alexanderplatz gekommen, um sich über die bisherigen Ergebnisse zu informieren.

Strategieprozess Biotechnologie 2020+
Wie sieht die Biotechnologie der Zukunft aus? Um diese Fragen geht es im Strategieprozess „Nächste Generation biotechnologischer Verfahren – Biotechnologie 2020+“, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit Forschungsorganisationen und Hochschulen gestartet hat.

www.biotechnologie2020plus.de

Forschungsorganisationen haben Prozess mit Leben gefüllt

„Wir wollen Deutschland weltweit zu einem wichtigen Motor der Biotechnologie machen“, betonte der Parlamentarische Staatsekretär des BMBF, Helge Braun, in seiner Eröffnungsrede und hob hervor, dass diese Schlüsseltechnologie für viele verschiedene Anwendungsfelder wichtige Lösungsansätze bereitstellen kann. Nun gelte es jedoch auch, die Entwicklungszyklen für neue Produkte zu verkürzen. „Wenn wir international wettbewerbsfähig bleiben wollen, können wir es uns nicht leisten, gute Ideen – auch für noch weit entfernte Produkte – nicht schon heute anzugehen“, sagte er.  Darüber hinaus lobte er das Engagement der Wissenschaftler in den vier großen außeruniversitären Forschungsorganisationen. „Ich begrüße sehr, wie Sie das Memorandum of Understanding mit Leben gefüllt haben“, sagte Braun – unter anderem Blick auf das Konsortium „Zellfreie Bioproduktion“, das sich im März 2011 unter dem Dach der Fraunhofer-Gesellschaft gebildet hat (mehr...).

Innovationen für die nächste Generation

In Berlin stand nun stärker noch als beim Auftakt im ersten Jahr die Anwendungsperspektive einer neuen Generation biotechnologischer Verfahren im Vordergrund.

Nachwuchsgruppen aus verschiedenen Organisationen stellten Forschungsprojekte zum Thema "Nächste Generation biotechnologischer Verfahren" vor.Lightbox-Link
Gruppen von vier Forschungsorganisationen stellten Projekte zum Thema "Gesundheitsforschung für übermorgen" vor.Quelle: F. Dahnke/Biocom

So betonte Stefanie  Heiden, Hauptgeschäftsführerin der Allianz industrieller Forschungsvereinigungen (AiF), in ihrem Impulsvortrag, dass der Mittelstand – egal in welcher Branche er tätig sei – ein Großteil der Forschungsleistungen in Deutschland stemme und hier auf neuartige Ansätze angewiesen sei. „Die Biotechnologie ist in ihrer Bedeutung vergleichbar mit der Dampfmaschine oder der Eisenbahn, sie hat eine große transformatorische Kraft und ist ein entscheidender Produktionsfaktor der Zukunft“, sagte Heiden. Um dies umzusetzen, müssen man sich jedoch vom „Zentren-Denken lösen“ und in gute Netzwerke sowie Unternehmer investieren, die als Überzeugungstäter mit äußerster Hingabe agieren. Jürgen Eck aus dem Vorstand des auf industrielle Biotechnologie spezialisierten Unternehmens BRAIN AG zeigte wiederum auf, wie komplex, vielschichtig und parallel die Innovationsprozesse in der Industrie zum Teil ablaufen. „Allein in einer Kosmetikcreme-Dose befinden sich bis zu 80 unterschiedliche Teilinhaltsstoffe – vom Zusatzstoff bis zum Dosenmaterial – die alle ihre eigenen Forschungs- und Entwicklungszyklen, Produktions- und Zulassungsverfahren sowie Marketingstrategien haben“, berichtete er. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen böte sich jedoch die Chance, als Motor und Treiber neue Produkte in die großen Konzerne – beispielsweise in der Konsumgüterindustrie – hineinzutragen. „Dort wird man sich immer mehr auf die Markenpflege und das Marketing zurückziehen“, so seine Prognose. Angesichts der Vielzahl an Wissenschaftlern in Deutschland sei ihm auch nicht bange, dass es an Ideen für neue Lösungen mangeln könnte. „Was wir nicht aus dem Auge verlieren dürfen, ist die effiziente Bündelung unserer Strukturen – sie müssen vor allem dynamisch sein“, sagte Eck.

Fachgespräche mit Experten verschiedenster Disziplinen

Moderiert von ZDF-Wissenschaftsjournalist Karsten Schwanke berichteten in einer weiteren Diskussionsrunde vier Experten aus ihren jeweiligen Fachgesprächen, die Ende 2010 und Anfang 2011 in Leipzig, Heidelberg, Andechs und Hamburg über die Bühne gegangen waren. „Durch die interdisziplinäre Zusammensetzung der Teilnehmer habe ich völlig neue Ansatzpunkte für die Herstellung von Kompartimenten kennengelernt“, fasste beispielsweise der Mikrosystemtechniker Frank Bartels sein Fachgespräch „Universelle Reaktionskompartimente“ zusammen.

"Die deutschen Forschungseinrichtungen füllen den Strategieprozess mit Leben", lobte Dr. Helge Braun, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Bildung und Forschung, in der Eröffnungsrede.Lightbox-Link
"Die deutschen Forschungsorganisationen füllen den Strategieprozess mit Leben", sagte BMBF-Staatssekretär Dr. Helge Braun in der Eröffnungsrede.Quelle: F. Dahnke/Biocom

Hier diskutierten die Forscher über die mögliche Struktur, die Herstellung und die Kombination von Reaktionsräumen, in denen künftig biologische Prozesse stattfinden könnten. Kontrovers ging es unter anderem bei der Frage zu, wie man solche Systeme im großen Maßstab darstellen und wie sich selbst organisierende Systeme realisiert werden könnten.

Peter Welters von der Firma phytowelt Green Technologies berichtete wiederum über das Fachgespräch „Funktionelle Komponenten“, wo es über die Vision eines technisch nutzbaren Sets an funktionellen Biomolekülen gebrütet wurde. „Viele Diskussionen kreisten um die Frage, ob sogenannte zellfreie Produktionssysteme machbar sind“, so Welters, „Hier war deutliche Skepsis zu spüren, was die Wirtschaftlichkeit dieses Ansatzes angeht.“  Mit Fragen der Umsetzbarkeit einer molekularen Mess-, Steuer- und Regeltechnik hatte sich wiederum das Fachgespräch „Systemsteuerung“ auseinandergesetzt. Eine Vision der Forscher: bestimmte biologische Prozesse in Module zu fassen, sie mit molekularen Werkzeugen zu beeinflussen und diese mathematisch zu modellieren. „Der Blick über den Tellerrand hat großen Spaß gemacht“, resümmierte Volker Stadler von der Biotech-Firma PEPperPRINT. Auch Fred Lidsat von der TFH Wildau lobte den spielerischen Zugang in den interdisziplinären Fachgesprächen – bei ihm ging es hauptsächlich darum, wie sich künftig eine Energieversorung für biologische Komponenten realisieren lässt, etwa mit einer künstlichen Photosynthese. Alle Ergebnisse wurden inzwischen aber auch in einer umfassenden Dokumentation zusammengefasst, die auch die Basis für die erste Förderinitiative legt, die unter dem Dach des Strategieprozesses nun angelaufen ist. Mit ihr sollen Forschungsprojekte angestoßen werden, die Basistechnologien mit einem breiten Anwendungspotenzial für zukünftige Biotech-Verfahren im Blick haben. Bis zum 31. Oktober 2011 können Interessenten Projektskizzen einreichen (mehr Infos: hier klicken).

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Die zweite Ausgabe des Highlight-Kongresses zum Strategieprozess bot den Akteuren in Berlin reichlich Gelegenheit zum Austausch. In einer kleinen Ausstellung präsentierten die vier Forschungsorganisationen exemplarisch Beispiele, wie schon heute an der Biotechnologie von übermorgen getüftelt wird. Auch die Synthetische Biologie gilt als eine Säule der Biotechnologie der Zukunft. Studententeams, die in diesem Jahr beim Bioingenieurs-Wettbewerb iGEM an den Start gehen wollen, stellten ihre Projekte in einer Posterausstellung vor. In vier parallelen Kreativ-Workshops konnten sich die 200 Kongressteilnehmer dann selbst als Innovationsentwickler erproben. Die Moderationsspezialisten von FutureCamp aus München hatten in den Workshops lebensgroße Fotos von Menschen aufgestellt. Gesucht: Welchen Beruf hat dieser Mensch, und durch welche biotechnologische Anwendung könnte er dereinst in seiner Tätigkeit enorm profitieren? Die biotechnologische „Knallerinnovation“ der Zukunft sollte in Form eines Magazin-Interviews präsentiert werden. Ein bunter Strauß an Ideen kam hier zusammen. Zu den überzeugendsten Beispielen zählten etwa das geschlechtsbestimmende Kondom (es lässt nur Spermien einer bestimmten Qualität durch), der selbstreinigende, hocheffiziente Multifunktionslappen, der mit wenig Wasser auskommt, ein lichtsensitive Oberflächenbeschichtung für die Autoindustrie oder das Ad-hoc-Bierbrauset für den Hausgebrauch (Bock-fix), das nicht nur für Überraschungsgäste gut ist, sondern auch für die Gesundheit.

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