Neue Testverfahren: Zellfreie Eiweiß-Synthese im Fokus

Die Herstellung von Proteinen im Reagenzglas hat zahlreiche Vorzüge. Damit lassen sich zum Beispiel neue Test gegen Lebensmittelgifte herstellen. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Die Herstellung von Proteinen im Reagenzglas hat zahlreiche Vorzüge. Damit lassen sich zum Beispiel neue Tests gegen Lebensmittelgifte entwickeln.

03.03.2011  - 

Auf dem Weg zu einem bestimmten Protein lassen Biotechnologen in der Regel lebende Zellen für sich arbeiten - etwa Mikroben oder Säugerzellen. Doch in vielen Fällen geraten Forscher hier an Grenzen. Etwa wenn es darum geht, Eiweiße mit toxischer Wirkung zu produzieren: Die Gift-Eiweiße töten hier auch die eigenen Erzeuger ab. Andere für die Pharmaindustrie interessante Eiweiße, wie etwa Membranproteine, sind in Zellen nur extrem mühsam herzustellen. Ein eleganter Ausweg ist die zellfreie Proteinbiosynthese, mit der man im Reagenzglas ein Eiweiß fertigen kann. Der Vorteil: die Proteine lassen sich maßschneidern. Wie sich bei einem Experten-Workshop Anfang März in Berlin zeigte, eignet sich das Verfahren insbesondere zur Herstellung kleiner Mengen von Proteinen aller Couleur. Dafür interessieren sich zunehmend Hersteller diagnostischer Tests, Wirkstoffentwickler und Strukturbiologen.

 

Auf der Suche nach schnellen und robusten Produktionsverfahren für Proteine rückt die zellfreie Synthese zunehmend in den Fokus von Forschern. Es fällt nicht von ungefähr in eine Zeit, in der Biologen und Ingenieure daran gehen, Produktionsprozesse in der Zelle zu verstehen und neu zu kombinieren, wie etwa im Rahmen des Strategieprozesses Biotechnologie2020+, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung angestoßen hat (mehr...). Ein Trend heißt hierbei: Weg von der komplexen Zelle hin zur überschaubaren Produktion im Reagenzglas, solche Prozesse werden in der Wissenschaft mit dem Etikett in vitro versehen.

Zellfreie Synthese: Berlin mit geballter Expertise

Die in vitro-Herstellung von Proteinen war auch das Kernthema eines Fachworkshops, den der Cluster Industrielle Biotechnologie (CLIB 2021) zusammen mit dem Biotech-Unternehmen RiNA und dem regionalen Cluster BioTOP in Berlin ausgerichtet hatte. Die Ortswahl für den Fachworkshop war dem CLIB2021-Vorsitzenden Manfred Kircher leicht gefallen: „Berlin ist ein Kompetenzzentrum auf dem Gebiet der zellfreien Proteinbiosynthese“, betonte er zu Beginn des Workshops im Stadtteil Dahlem. Grund dafür sei die hohe Dichte an Experten auf dem Gebiet etwa an der FU Berlin, bei RiNA oder etwa am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) in Potsdam-Golm.

Biotechnologie  2020+

Im Rahmen des vom BMBF initiierten Strategieprozesses "Biotechnologie2020+" diskutieren Fachleute über die Biotechnolgie von morgen. Im Juli findet der nächste Kongress in Berlin statt.

Zur Webseite: www.biotechnlogie2020plus.de

Die Idee der in vitro-Herstellung von Proteinen an sich ist nicht neu. Pionieren der Molekularbiologie wie Marshall Nirenberg und Heinrich Matthaei  gelangen bereits in den 1960er Jahren damit bahnbrechende Erkenntnisse bei der Entzifferung des genetischen Codes. Das Prinzip ist einfach: Die Zellhülle etwa von Mikroben wird dabei zunächst zerstört. Der entstehende Zellsaft (Extrakt) enthält alle Komponenten des Proteinherstellungs-Apparats. In diesen Mix muss man noch Energieträger und Aminosäuren, die Bausteine eines Proteins, hinzufügen. Nun geben Forscher noch den Bauplan für ihr Wunsch-Protein hinzu - in Form eines speziellen DNA Moleküls. Das zellfreie System liest den Bauplan selbstständig ab und stellt das Eiweiß her.

Keine Mutationen, keine Klümpchen

Für Wolfgang Stiege, Forschungsleiter bei der Firma RiNA, hat diese Vorgehensweise enorme Vorzüge:  „Es handelt sich um ein offenes System, das man viel leichter an verschiedenen Stellschrauben verändern kann“. Auch die typischen Sorgen von Zellbiologen (Überleben der Zellen, Mutationen im Erbgut) und Proteinchemikern (Bildung von Eiweißklümpchen) würden komplett wegfallen. „Zellfreie Systeme sind besonders gut geeignet, um etwa zelltoxische Proteine herzustellen“, so Stiege. Solche giftigen Eiweiße werden zum Beispiel in der Antikrebstherapie eingesetzt.  Doch bei herkömmlichen biotechnologischen Herstellungsverfahren machen die Toxine ihren eigenen Erzeugern im Bioreaktor den Garaus. Stiege machte aber auch deutlich: jedes der bereits auf dem Markt befindlichen in-vitro-Systeme hat seine Vor- und Nachteile.  Und keines der Verfahren liefert das gewünschte Protein in üppigen Mengen: Ein auf dem Laborbakterium E.coli basierendes System fabriziert 5 Milligramm pro Milliliter, ein System auf der Basis von Weizenkeimlingsextrakten kommt auf etwa ein Milligramm.

Potential für das Wirkstoffscreening

„Daher wird nach meiner Sicht die zellfreie Proteinbiosynthese keine Bedeutung für die Produktion im Industriemaßstab haben“, meint dazu CLIB-Mann Manfred Kircher. Doch als Forschungswerkzeug und für das Wirkstoffscreening sieht der Biotechnologe ein enormes Potential.

Mehr zum Thema auf biotechnologie.de

News: Synthetische Biologie: Designer-Eiweißfabrik funktioniert

Menschen:  Nediljko Budisa- Eine neue Chemie des Lebens

Menschen Wilfried Weber: Signalwegen auf der Spur

Das wurde bei der Tagung in Berlin besonders am Beispiel der Membranproteine deutlich. Diese gelten unter Biochemikern als harte Nuss, weil sie meist eine sehr komplexe 3D-Struktur aufweisen und da sie eben in Membranen eingebettet sind. Doch Membranproteine sind für Pharmazeuten höchst relevant: Sie sind mögliches Angriffsziel zahlreicher Wirkstoffe. Stefan Kubick vom Fraunhofer IBMT in Potsdam-Golm hat ein zellfreies System entwickelt, mit dem sich funktionstüchtige Membranproteine herstellen lassen. Dank eines ausgeklügelten Verfahrens gelang es dem Nachwuchsforschungsgruppenleiter, Insekten-Zellen sehr schonend aufzubrechen und aus dem Extrakt ungewöhnlich große Bläschen zu gewinnen. In diesen Bläschen werden funktionale Membranproteine hergestellt, die Eiweiße werden mit den notwendigen Zuckerstrukturen versehen und in die Membran eingebaut. „Wir entwickeln das System für den Einsatz in Wirkstofftests im Hochdurchsatzverfahren“, so Kubick.  Mit ihren großen Vesikeln können die Forscher die hergestellten Proteine sogar elektrophysiologisch vermessen.  Auch der Frankfurter Biochemiker Frank Bernhard hat an der Universität in Frankfurt am Main ein in vitro-Verfahren für die Herstellung von Membranproteinen entwickelt. Es liefert Strukturbiologen sogar genügend Material, um die räumliche Struktur des Moleküls aufzuklären.

Frank Schäfer, stellvertretender Leiter Forschung und Entwicklung beim Diagnostik-Spezialisten Qiagen, sprach in Berlin darüber, wie das Hildener Unternehmen die zellfreie Proteinsynthese künftig nutzen will, um neue Testverfahren und Werkzeuge für die Wirkstoffsuche zu entwickeln. Im Fokus steht dabei die Herstellung von Antikörper-Fragmenten oder sogar kompletten Antikörpern, also einer Klasse von Biomolekülen, die in neuartigen Medikamenten zum Einsatz kommen. Die hergestellten Antikörper könnten in Screens eingesetzt werden, um nach passenden Zielstrukturen zu fahnden.

Schnelltests für Lebensmittelgifte

Eine mögliche Anwendungsmöglichkeit für die zellfreie Proteinbiosynthese wurde in Berlin auch für Test in der Lebensmittelindustrie gesehen. So ließen sich mit der in vitro-Methode etwa Toxine nachbauen, wie sie Bakterien in Meeresfrüchten oder anderen Nahrungsmitteln abgeben. Auf der Basis dieser giftigen Proteine könnten Biochemiker dann nach passenden Antikörper fahnden und auf deren Basis raschere Nachweisverfahren entwickeln. Am Rande der Veranstaltung in Berlin formierte sich ein Forschungskonsortium, das die zellfreie Synthese von Toxinen ins Visier nehmen will.

Fokus Weiße Biotechnologie

Weiße Biotechnologie – Chancen für eine bio-basierte Wirtschaft

Ob im Waschmittel oder in der Hautcreme – in vielen industriellen Produkten steckt Biotechnologie. Der Griff in die Werkzeugkiste der Natur hilft vielen Branchen, ressourcenschonender zu arbeiten. Erfahren Sie in unserer kostenlosen Broschüre, wo „Weiße Biotechnologie“ schon heute drinsteckt.


Zur Rubrik Publikationen

Broschüre Regenerative Medizin

Regenerative Medizin -  Selbstheilungskraft des Körpers verstehen und nutzen

Die Regenerative Medizin will mithilfe von Zellen heilen, Krankheiten erforschen oder Wirkstoffe testen. Einen Überblick zur Forschung in Deutschland bietet die Broschüre "Regenerative Medizin".


Zur Rubrik Publikationen

Glykobiotechnologie

Forscherin im Labor

Was haben Biotechnologen mit Zucker zu tun? Die Broschüre "Die Zukunft ist süß - Möglichkeiten der Glykobiotechnologie" gibt darauf eine Antwort und informiert über neueste Trends der Zuckerforschung in Medizin, Biomaterialwissenschaft und Lebensmittelentwicklung. Sie kann kostenlos bestellt oder als PDF heruntergeladen werden.


Zur Rubrik Publikationen

Videos

Kurzfilme zur Biotechnologie in unserer Videorubrik

Ob Medizin, Landwirtschaft oder Industrie - in unserer Videorubrik finden Sie eine ganze Reihe von Kurzfilmen, die Sie leicht verständlich in die Welt der Biotechnologie einführen. 


Zur Rubrik Videos