Neue Einblicke: Metastasenbildung in Echtzeit beobachten

Auch Jahre nach einer erfolgreichen Behandlung können Brustkrebszellen wie diese im Gehirn Metastasen verursachen. Münchener Forscher haben den Prozess jetzt live beobachtet. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Auch Jahre nach einer erfolgreichen Behandlung können Brustkrebszellen wie diese im Gehirn Metastasen verursachen. Münchener Forscher haben den Prozess jetzt live beobachtet.

22.12.2009  - 

Es kann Jahre nach einer erfolgreichen Behandlung eines Tumors bei Lungen-, Brust- und Hautkrebs passieren: Im Gehirn bilden sich plötzlich Metastasen. Sie sind für den Patienten sehr gefährlich, da ihr Wachstum meist nur verzögert, sie selbst aber nicht entfernt werden können. Mit einer weiterentwickelten Mikroskopiertechnik haben Forscher um Frank Winkler von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München in Echtzeit verfolgen können, welche Schritte zur Bildung der Metastasen erforderlich sind. Sie wissen nun aber auch, welche Vorgänge die Krebszellen in eine "Sackgasse" führen, so dass keine Metastasen entstehen. Die Erkenntnisse, über die die Wissenschaftler im Fachblatt Nature Medicine (Online-Veröffentlichung, 20. Dezember 2009) berichten, könnten für neue Therapien sorgen.


Bei bis zu jedem vierten Krebspatienten entwickeln sich Metastasen im Gehirn - oft auch lange nach einer erfolgreichen Behandlung des Ursprungstumors. In diesem Fall verschlechtert sich die Prognose meist dramatisch. Meist sind es die Metastasen, nicht der Ursprungstumor, die für Krebspatienten tödlich sind. Besonders häufig entstehen sie bei Lungen-, Brust- und Hautkrebs und sind kaum zu behandeln. In der Regel kann das Wachstum der Hirnmetastasen nur verzögert, nicht aber aufgehalten werden. Den Patienten bereiten sie Kopfschmerzen und Übelkeit, aber auch neurologische Symptome wie Lähmungen und Sprachverlust. "Leider beobachten wir Hirnmetastasen heute häufiger als früher", sagt Frank Winkler, Leiter der Forschergruppe Neuroonkologie an der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universität München. "Die verbesserte Therapie von Krebserkrankungen hat zwar dazu geführt, dass die Betroffenen länger überleben. Doch dadurch entwickeln bedauerlicherweise auch mehr Patienten Metastasen im Gehirn."

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Neue Anwendung der Zwei-Photonen-Mikroskopie

Wie diese Metastasen entstehen, war bislang weitgehend ungeklärt. In Zusammenarbeit mit Jochen Herms vom Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung der LMU und Forschern vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried bei München ist es Winkler und seinen Mitarbeiterinnen Yvonne Kienast und Louisa von Baumgarten nun erstmals gelungen, den Werdegang einzelner Krebszellen über Wochen und Monate in Echtzeit zu verfolgen - bis hin zur Entwicklung großer Hirnmetastasen. Möglich war dies dank einer neuartigen Anwendung der sogenannten Zwei-Photonen-Mikroskopie. Diese erlaubt es, auch tiefer liegende Regionen des lebenden Gehirns bis in kleinste Einzelheiten sichtbar zu machen. "Wir konnten die Stadien der Metastasenbildung im Gehirn quasi live mitverfolgen", erläutert Yvonne Kienast.

Zwei unterschiedliche Farbstoffe ließen die Blutgefäße grün, die - von den Forschern injizierten - Tumorzellen dagegen rot aufleuchten. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen konnten die Wissenschaftler dann beobachten, dass für die Bildung einer Gehirnmetastase insgesamt vier Schritte notwendig sind. Als erstes müssen die Tumorzellen im Blut an einer Gabelung im Adergeflecht hängen bleiben. "Anders als bislang vermutet, genügt dieser Schritt aber nicht zur Metastasenbildung", berichtet Winkler. "Wir konnten sehen, dass die Zellen erst noch durch winzige Löcher in der Gefäßwand nach außen dringen müssen, um sich dann in einem dritten Schritt von außen an die Ader anzuheften." Dann können die Tumorzellen bereits Mikrometastasen aus vier bis 50 Zellen bilden.

Viele Krebszellen ruhen jahrelang, um dann aktiv zu werden

Doch erst ein vierter Schritt ist der eigentliche Startschuss für die Entwicklung einer klinisch relevanten Hirnmetastase: Dabei verschmelzen mehrere benachbarte Mikrometastasen und bilden neue Blutgefäße aus. Diese sogenannte Angiogenese liefert der Geschwulst alle nötigen Nährstoffe und erlaubt so ein schnelles und ungebremstes Tumorwachstum. Welche "Sackgassen" in der Entwicklung die Metastasenbildung verhindern, wurde im Versuch aber auch deutlich. "Dies geschieht etwa, wenn die Krebszellen nicht aus den Adern gelangen, wenn sie nicht von außen an die Gefäßwand anheften oder aber keine neuen Blutgefäße bilden können", so Winkler. Ohne Angiogenese starben selbst Krebszellen ab, die sich bereits an die Außenwand einer Ader angeheftet und zunächst stark vermehrt hatten.

Wie Winkler und sein Team nachweisen konnten, ruhen viele Krebszellen, um sich erst nach relativ langer Zeit zu vermehren. "Das könnte erklären, warum Metastasen oftmals erst Jahre nach einer erfolgreichen Therapie entstehen", sagt der Mediziner. Aber auch in diesem Ruhezustand ist der direkte Kontakt zu einem Blutgefäß essenziell für das Überleben der Tumorzellen. All diese Ergebnisse sollen nun die Versorgung der Patienten verbessern. So konnten die Forscher bereits zeigen, dass das Krebsmedikament Avastin die Angiogenese blockiert, so dass Mikrometastasen dauerhaft in einem Schlummerzustand gehalten werden. "Wir wollen nun auch noch andere Krebsmedikamente in ihrer Wirkung testen", berichtet Winkler. "Zudem könnten dank dieser Einsichten aber auch neue Substanzen entwickelt werden, die eine Prävention oder bessere Behandlung von Metastasen ermöglichen." Denkbar wäre eine neue Klasse von Wirkstoffen, die gezielt auf die verschiedenen Phasen der Metastasenbildung Einfluss nehmen.

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