Wie HIV auf den Menschen kam

Mensch und Affe sind sich so ähnlich, dass Viren von einem auf den anderen Wirt überspringen können: Sonderbriefmarke der Deutschen Post zum 100. Geburtstag des Tierforschers Bernhard Grzimek im April 2009. <ic:message key='Bild vergrößern' />
Mensch und Affe sind sich so ähnlich, dass Viren von einem auf den anderen Wirt überspringen können: Sonderbriefmarke der Deutschen Post zum 100. Geburtstag des Tierforschers Bernhard Grzimek im April 2009. Quelle: Deutsche Post

25.11.2009  - 

Auch wenn die Zahl der HIV-Infektionen laut den neuesten UN-Zahlen zurückgeht, gibt es mit 33 Millionen Menschen derzeit so viele Infizierte wie noch nie. Das Virus hat sich in den vergangenen 30 Jahren von Afrika aus auf der ganzen Welt ausgebreitet, seit es vom Affen auf den Menschen übergesprungen ist. Wie dem Erreger das gelingen konnte, hat jetzt ein internationales Forscherteam herausgefunden, an dem auch Wissenschaftler aus Ulm, Hamburg und Erlangen beteiligt sind. Sie berichten in der Fachzeitschrift Cell Host & Microbe (19. November 2009, Bd. 6, Ausg. 5, S. 409-421).



 

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen ist in den vergangenen acht Jahren um 17 Prozent gesunken. Doch ist die Immunschwächekrankheit AIDS nach wie vor eine tödliche Bedrohung. Nach den Zahlen des jüngst veröffentlichten Aids-Berichts der Vereinten Nationen (mehr...) lebten im Jahr 2008 rund 33 Millionen Menschen weltweit mit dem HI-Virus. Rund 2,7 Millionen steckten sich neu an, zwei Millionen starben im vergangenen Jahr an der Krankheit. In Deutschland Deutschland blieb die Zahl der Neuinfektionen hoch. Bundesweit haben sich etwa 3000 Menschen in diesem Jahr mit HIV angesteckt, schätzt das Berliner Robert Koch-Institut (RKI). Rund 67 000 HIV-Infizierte leben derzeit in Deutschland, etwa 550 Erkrankte starben bisher im laufenden Jahr.

Diese Grafik zeigt HI-Viren. Typisch sind die Spikes auf der Oberfläche der Virushülle. Diese Proteine bilden für die Infektion wichtige Andockstellen.Lightbox-Link
Diese Grafik zeigt HI-Viren. Typisch sind die Spikes auf der Oberfläche der Virushülle. Diese Proteine bilden für die Infektion wichtige Andockstellen.Quelle: psdesign1/Fotolia

HIV konnte dank Vpu das menschliche Immunsystem ausbremsen

Als Hauptgrund für die insgesamt sinkende Zahl an Neuansteckungen gelten verstärkte Vorbeugemaßnahmen. Diese müssen aber ständig angepasst werden. Denn das Virus verändert sich ständig, und damit wechseln auch die bevorzugten Übertragungswege. So kämen in China die meisten Aids-Infektionen nicht mehr unter Drogenabhängigen vor, berichten die Autoren des UN-Berichts, sondern entstünden zu drei Viertel durch Sexualkontakte. Die hohe Mutationsrate erlaubte es dem Virus vor mehreren Jahrzehnten auch, auf dem afrikanischen Kontinent das erste Mal vom Affen auf den Menschen überzuspringen. Genauer gesagt gelang dies nur einem Stamm des Virus, HIV-1 M.

Die HIV-1 Infektion des Menschen gehört zu den mehr als 200 bisher bekannten Zoonosen, bei denen ein Erreger erfolgreich aus dem Tierreich auf den Menschen übertreten konnte. Übertritte von potentiellen Erregern auf den Menschen erfolgen ständig, sind aber meist ohne Folgen, da das menschliche Immunsystem Schutzmechanismen entwickelt hat. Diese Wirtsbarrieren müssen die Erreger durch geeignete Mutationen und andere Anpassungsvorgänge überwinden. HIV-1 M ist das dank der besonderen Eigenschaften des Eiweißes Vpu gelungen. Vpu macht den Weg für die ungehinderte Vermehrung des Virus im menschlichen Körper frei, berichtet die internationale Forschergruppe, der auch Wissenschaftler um Michael Schindler vom Hamburger Heinrich-Pette-Institut, um Frank Kirchhoff von der Universität Ulm (mehr...) und um Jörg Votteler und Ulrich Schubert von der Universität Nürnberg-Erlangen angehörten.

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Zwei Sicherheitsmechanismen außer Kraft gesetzt

Um den Wirt zu wechseln, musste HIV-1 die tief gestaffelten Abwehrreihen des Immunsystems durchdringen. Eine wichtige Verteidigungslinie sind Eiweiße, die verhindern, das befallene Zellen zu Virenschleudern werden. "Wir wissen, dass vor allem das zelluläre Protein Tetherin eine wichtige Barriere beim Übertritt von HIV-1 auf den Menschen darstellte", sagt Schindler. Tetherin verhindert die Freisetzung neu gebildeter Viren aus infizierten Zellen, in dem es die Virusnachkommen an die Zellmembran heftet und so deren Abknospung unterdrückt. Eine zweite Barriere ist der CD4-Rezeptor, der sich auch auf der Oberfläche infizierter Zellen befindet und die Abwehrzellen des Immunsystems alarmiert. "Wird CD4 während der HI-Virusvermehrung nicht erfolgreich abgebaut, sinkt auch hierdurch die Infektiösität der Viren dramatisch", erklärt Schindler.

Um gegen diese Barrieren anzugehen, besitzen HI-Viren und die nahe verwandten SI-Viren der Affen zwei Viruseiweiße mit überlappender Funktion. Sie heißen Vpu und Nef. Bei Schimpansen, die von einem dem HIV verwandten Virus, dem SI-Virus befallen sind, schaltet das virale Nef-Protein die "Tetherin-Barriere" aus.

Beim Befall des menschlichen Körpers übernimmt das Eiweiß Vpu diese Aufgabe, entdeckten die Wissenschaftler. Damit nicht genug. Vpu hat sogar eine Doppelfunktion. "Zusätzlich baut dieses Vpu den CD4 Rezeptor erfolgreich ab und überwindet so eine zweite Barriere", erklärt Schindler. Im Gegensatz dazu sind die Vpu-Proteine der anderen HIV-1 Stämme entweder schwache Tetherin-Gegenspieler oder nicht dazu in der Lage, den CD4 Rezeptor auszuschalten. Dies könnte erklären, so die Forscher, warum sich nur der HIV-1 M-Stamm weltweit verbreitet hat und für die AIDS-Pandemie verantwortlich ist. Die Erkenntnisse könnten dazu helfen, neue Schwachstellen des Virus zu identifizieren. 

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