Neue klinische Studien mit Stammzellen gestartet

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Infarktgeschädigte Herzmuskelzellen sollen mit einer Stammzellkur wiederbelebt werden. Quelle: Wellcome Images

05.11.2009  - 

Durchblutungsstörungen führen in Herz und Beinen zu gefährlichen Infarkten. Das unterversorgte Gewebe stirbt oft unwiederbringlich ab. Weltweit wird nach neuen und sicheren Methoden gesucht, die geschädigten Gewebe mithilfe von Stammzellen wiederzubeleben. Zwei verschiedenartige Studien sind nun in Rostock und Berlin gestartet. Im Rostocker Referenz- und Translationszentrum für kardiale Stammzelltherapie (RTC) werden Patienten während einer Bypass-Operation körpereigene Stammzellen gespritzt. Die klinische Studie am Berlin-Brandenburg Center für Regenerative Therapien (BCRT) stützt sich dagegen auf körperfremde Stammzellen aus dem Mutterkuchen. Sie sollen Patienten mit schweren Gefäßverschlußerkrankungen helfen.

Ob Herzinfarkt oder Gefäßverschluss im Bein: Bei solch massiven Durchblutungsstörungen wird meist Gewebe unwiederbringlich geschädigt. Die Regenerative Medizin setzt unter anderem auf Stammzellen, um die verloren gegangenen Organfunktionen wieder zu verbessern. In Deutschland konzentrieren sich Forscher dabei besonders auf adulte Stammzellen. Diese vielseitigen Zellen sorgen in Geweben wie ein Reparaturtrupp für den Nachschub an neuen Zellen. Bei einer Stammzelltherapie werden die Multitalente in die Nähe eines geschädigten Gewebes gebracht. Hier, so dachten Wissenschaftler früher, wandeln sich die Zellen vor Ort in den passenden Zelltyp um und können so das verlorene Gewebe ersetzen.

Bei der Rostocker Stammzelltherapie werden körpereigene Knochenmarkszellen direkt in den durch einen Infarkt geschädigten Herzmuskel gespritzt. Lightbox-Link
Bei der Rostocker Therapiestudie werden körpereigene Knochenmarksstammzellen direkt in den Infarkt-geschädigten Herzmuskel gespritzt. Quelle: RTC
Doch die medizinische Forschung an Tieren und Menschen der letzten Jahre zeigt zunehmend: Oft sind die ins Organ gespritzten Stammzellen schon nach Tagen verschwunden, trotzdem beobachtet man einen heilenden Effekt. Die Stammzellen scheinen vielmehr wie kleine lebende Apotheken zu wirken, die Wachstumsfaktoren absondern und damit die Regenerationskraft des jeweiligen Organs ankurbeln.

Rostock: Körpereigene Stammzellen zum Bypass

Bereits seit vielen Jahren entwickeln Herzmediziner um Professor Gustav Steinhoff von der Klinik für Herzchirurgie der Universität Rostock ein Verfahren, bei dem körpereigene Stammzellen eines Patienten zur Therapie von Herzkrankheiten verwendet werden. Dazu werden bei einem Herzpatienten aus dem Knochenmark eine bestimmte Gruppe adulter Stammzellen, die sogenannten CD133+-Zellen, isoliert. Bei einer laufenden Bypass-OP werden diese Zellen nun gezielt in den Herzmuskel gespritzt, und zwar in das Randgebiet des infarktgeschädigten Gewebes. Bislang haben die Rostocker etwa 140 Patienten mit dieser Methode behandelt. „Im Vergleich zu Patienten ohne Stammzellbehandlung hatte sich die Pumpleistung des Herzens im Schnitt um zehn Prozent erhöht,“ erläutert Steinhoff. Dazu kommt:  „Wie auch im Tierversuch haben wir bei den Patienten keine Nebenwirkungen der Therapie beobachtet.“ Ende Oktober starteten die Mediziner nun eine groß angelegte Phase III-Studie, in der bis zu 142 Patienten behandelt werden sollen. Diese Studie läuft doppelblind und placebokontrolliert ab, und ist damit die entscheidene Stufe für die Zulassung der Therapie. Neben dem RTC sind noch das Deutsche Herzzentrum in Berlin und die Medizinische Hochschule in Hannover beteiligt. Die Studie wird vom Land und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt. In etwa drei Jahren soll sie abgeschlossen sein.

Klinische Studien zu Stammzelltherapien

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Berlin: Zellen aus der Plazenta lassen Gefäße sprießen

Während die Rostocker auf körpereigene Stammzellen der Patienten setzen, konzentrieren sich Forscher am BRCT in Berlin auf körperfremde Zellen für den Einsatz in einer Stammzell-Therapie. Auch hier ist eine klinische Studie gestartet, die vom BMBF gefördert wird. Sie befindet sich allerdings noch in einer frühen klinischen Phase. Mediziner um den Kardiologen Carsten Tschöpe setzen dafür aufbereitete Zellen aus dem Mutterkuchen (Plazenta) ein. Damit soll die Durchblutung bei Patienten mit einer bedrohlichen Gefäßverschlusserkrankung in den Beinen wieder angekurbelt werden. Die Forscher verwenden einen bestimmten Zelltyp, sogenannte mesenchymale Stammzellen, für ihre Therapie.  Das israelische Biomedizin-Unternehmen Pluristem hat eine Technik entwickelt, mit der sich die vielseitigen Zellen aus einer Plazenta gewinnen und vermehren lassen. Die Plazenta, die bei Kaiserschnitt-Geburten in Israel entnommen wird, ist offenbar eine besonders ergiebige Quelle für diesen Typ adulter Stammzellen. „Mit dem Präparat aus einer einzigen Plazenta lassen sich 60 bis 70 Patienten behandeln“, erläutert Carsten Tschöpe. 

Durchblutungsstörungen in den Beinen entstehen zumeist bei älteren Patienten, oft in Folge einer Diabeteserkrankung und aber bei starken Rauchern. Beininfarkte machen in fortgeschrittenen Stadien oft eine Amputation nötig. Stammzellen sind ein Hoffnungsträger. Sie könnten helfen, die Erkrankung wieder besser in den Griff zu bekommen und die betroffenen Beine zu erhalten.

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Doch körpereigene Stammzellen eigneten sich bisher kaum für den Einsatz: „Bei den kranken und betagten Patienten sind die Stammzellen oft nicht fit genug“, sagt Tschöpe. Deswegen sieht er in den von Israel nach Berlin gelieferten körperfremden Stammzell-Präparate eine wichtige Alternative, die man quasi „auf Lager“ hat  und dereinst sofort einsetzen kann.

Körperfremde Stammzellen in den maladen Muskel gespritzt

Den heilsamen Effekt der Plazenta-Stammzellen haben Studienleiter Tschöpe und Kollegen bereits in Mäusen getestet.

Zunächst simulierten sie bei den Nagern einen Beininfarkt. Injizierten sie ihnen dann die menschlichen Stammzellen in den Beinmuskel, so sprossen in der Nähe des unterversorgten Gewebes winzige Blutgefäße aus. Die Mäuse wurden in der Folge wieder deutlich agiler. Doch wie wirkt die Zellkur? „Wir gehen davon aus, dass die Stammzellen ein Portfolio von bis zu 400 Wachstumsfaktoren freisetzen, dann aber vom Körper abgebaut werden“, erläutert Tschöpe.

Nebenwirkungen gab es laut Tschöpe keine. Die in den Muskel gespritzten mesenchymalen Stammzellen werden wohl deshalb gut vertragen, weil sie offenbar besänftigend auf das Immunsystem des Empfängers einwirken. Die Nebenwirkungen der einmaligen Stammzellspritze in den Beinmuskel werden nun in einer Sicherheits-Studie an bis zu neun erkrankten Patienten getestet. Die Präparat-Dosis soll hier zunächst schrittweise heraufgesetzt werden. Tschöpe: „Die wichtige Frage ist natürlich: Wie gut verträgt ein Senior die Stammzellen einer 20-jährigen Mutter aus Israel?“

In sechs Monaten rechnet Tschöpe mit dem Abschluss der ersten Sicherheitsstudie. Sollte sich die Plazenta-Stammzelltherapie im Beinmuskel als sicher und effektiv erweisen, so ergeben sich für ihn auf lange Sicht interessante Perspektiven: „Wenn wir so die Muskulatur der Beine behandeln können, wäre die logische Folge, die Methode auf den Herzmuskel anzuwenden.“

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