EU-Parlament stärkt Stammzellforschern den Rücken

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Der Kern einer normalen Körperzelle wird in eine zuvor entkernte Eizelle injiziert. Forscher bezeichnen diesen Vorgang als somatischen Kerntransfer. Quelle: Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster

20.07.2006  - 

Die Forschung mit embryonalen Stammzellen sorgt weiterhin für Zündstoff. Während sich Bundesforschungsministerin Annette Schavan in Deutschland für eine Ethikdiskussion stark macht, kündigt sich auf europäischer Ebene eine forschungsfreundliche Haltung an. So haben die EU-Parlamentarier in einer ersten Lesung des neuen Forschungshaushaltes eine Verschärfung der EU-Förderpraxis zurückgewiesen. Demnach können Arbeiten an embryonalen Stammzellen weiterhin mit EU-Geldern unterstützt werden. Allerdings muss der Forschungshaushalt noch in einer zweiten Lesung das Parlament passieren und auch der EU-Ministerrat muss dem Entwurf zustimmen. Hier hat Schavan bereits Widerstand angekündigt: „Wir lehnen die Förderung verbrauchender Embryonenforschung und Anreize für die Tötung von Embryonen ab.“

Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist umstritten. Forscher und Mediziner heben die möglichen Potenziale dieser zellulären Alleskönner hervor und hoffen, eines Tages neue Methoden zur Behandlung schwerer Krankheiten wie Alzheimer oder Diabetes entwickeln zu können. Anderseits verweisen Ethiker darauf, dass bereits dem Embryo ein grundgesetzlicher Schutz des menschlichen Lebens zugute kommen muss und daher keine Anreize geschaffen werden sollen, Embryonen eigens zu Forschungszwecken zu erschaffen. Eine Abwägung zwischen Forschungspotenzial und ethischen Bedenken fällt in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich aus und gleicht eher einem biopolitischen Flickenteppich, so sehr variieren die nationalen Gesetzgebungen. 

Babylonisches Wirrwarr in der Positionierung zur Stammzellforschung

Einige Länder, darunter Italien und Polen, haben die Forschung mit Embryonen weitgehend unterbunden. Andere, wie Großbritannien und Schweden, haben sehr liberale Gesetzgebungen und erlauben sogar das sogenannte therapeutische Klonen. Deutschland wiederum hat mit einer Stichtagslösung einen Mittelweg gewählt und erlaubt die Forschung nur an embryonalen Stammzelllinien, die bereits vor dem 1. Januar 2002 existiert haben. So soll Grundlagenforschung ermöglicht werden, aber eine verbrauchende Embryonenforschung unterbleiben. Gleichzeitig wird großen Wert auf die ethische Debatte gelegt. So hat die deutsche Regierung im Juni einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die Schaffung eines Deutschen Ethikrates vorsieht, der der Politik beratend zur Seite stehen soll. Damit wird der bisherige, im Jahr 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben gerufene Nationale Ethikrat abgelöst. Neu ist, dass das Gremium nun nicht ausschließlich mit Personen besetzt werden soll, die von der Bundesregierung bestimmt werden. Zur Hälfte hat nun auch der Bundestag ein Mitspracherecht.

Tabelle 1: Rechtslage in ausgewählten EU-Ländern

DeutschlandGroßbritannienSchwedenItalien
Forschung mit embryonalen Stammzellen

verboten, aber Ausnahmen sind unter Auflagen erlaubt

(Stichtagsregelung)

erlaubterlaubtverboten
Therapeutisches Klonenverbotenerlaubterlaubtverboten
Reproduktives Klonenverbotenverbotenverbotenverboten

Europäische Zusammenarbeit von Forschern schwierig

Auf EU-Ebene stellt sich nun folgende Frage: Soll die Europäische Union mit ihren Fördergeldern auch Forschung unterstützen, die in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten verboten ist? Bislang galt für die Stammzellforschung ein Kompromiss, wonach eine Förderung unter bestimmten Auflagen und je nach entsprechender Rechtslage im EU-Mitgliedsland erfolgte. Dies wirft jedoch praktische Probleme auf: Wollen etwa deutsche und britische Wissenschaftler in einem Projekt zusammenarbeiten, ist eine strikte Arbeitsteilung vonnöten, wenn es um embryonale Stammzelllinien geht – mitunter ist eine Kooperation aber auch kaum möglich, wenn es sich um neue, nach 2002 hergestellte Stammzelllinien handelt, die für viele Arbeiten inzwischen besser geeignet sind. Aufgrund der Stichtagsregelung sind deutschen Forschern dabei die Hände gebunden – ein Hindernis, das bereits wiederholt problematisiert wurde. Erst im Juni hat die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaft (BBAW) bei der Vorstellung einer Studie zur Stammzellforschung und Zelltherapie in Deutschland eine Novellierung des aktuellen Stammzellgesetzes gefordert – etwa im Sinne einer nachlaufenden Stichtagsregelung, die die ethische Grundsatzdebatte nicht antasten würde. „Dies könnte die derzeit unklare Rechtslage für deutsche Wissenschaftler zumindest teilweise auflösen“, heißt es in einem Positionspapier.

EU-Parlament stimmt für Status quo

Auf europäischer Ebene hingegen hatten einige Länder, darunter auch Deutschland, eine Verschärfung der Förderpraxis gefordert. Dies hat das  EU-Parlament nun abgelehnt. Bei der ersten Lesung des Forschungshaushaltes (FP7) für 2007 bis 2013 im Juni votierten die EU-Parlamentarier für eine Beibehaltung der bisherigen Regeln – mit einer knappen Mehrheit von 284 Ja-Stimmen und 249 Nein-Stimmen. Wie jetzt auch soll demnach eine EU-Förderung von Forschungsprojekten mit adulten und embryonalen Stammzellen unter bestimmten Auflagen möglich sein – allerdings je nach geltender Rechtslage im EU-Mitgliedsland. Das therapeutische Klonen bleibt dabei jedoch ebenso verboten wie die Schaffung von Embryonen eigens zu Forschungszwecken. Einem von konservativen Abgeordneten geforderten pauschalen Verbot der Förderung von Projekten mit embryonalen Stammzelllinien erteilte das Parlament damit eine Absage. Auch der Vorschlag einer Stichtagsregelung wie in Deutschland wurde abgelehnt. Neu ist jedoch ein erhöhtes Budget von nunmehr 50 Millionen Euro (FP6: 20 Millionen Euro) für die Förderung von Stammzellprojekten, die jedoch im Gesamtbudget des FP7 von rund 50 Milliarden Euro nur einen kleinen Teil ausmacht. Neu ist auch eine Revisionsklausel: Im Jahr 2010 sollen sämtliche Regeln zur Förderung der Stammzellforschung „vor dem Hintergrund der wissenschaftliche Fortschritte“ erneut auf den Prüfstand kommen.

In Deutschland wird EU-Kompromiss kritisiert

In Deutschland stößt dieser Kompromiss auf massive Kritik der Politik. "Wir lehnen die Förderung verbrauchender Embryonenforschung und Anreize für die Tötung von Embryonen ab. Wir plädieren für eine Stichtagsregelung auch auf europäischer Ebene", kommentierte Bundesforschungsministerin Annette Schavan die Entscheidung des EU-Parlaments. Tatsächlich kann der am 24. Juli tagende EU-Ministerrat noch Änderungen des Haushaltsentwurfes beschließen und auch im Parlament ist noch eine zweite Lesung nötig, in der mindestens 347 EU-Abegordnete dem Entwurf zustimmen müssen.

EU-Umfrage: Bürger ebenso unentschieden wie Politiker

So unentschieden wie die Politik in Europa scheinen auch ihre Bürger zu sein. Das geht aus der aktuellen Eurobarometer-Repräsentativerhebung zur Wahrnehmung der Biotechnologie und ihrer Anwendungen hervor. Darin zeigen sich die Europäer ziemlich unentschieden, was die Bewertung der Stammzellforschung angeht. Auf die Frage, ob es falsch sei, Embryonen zur Erforschung neuer Behandlungsmethoden zu verwenden, haben sowohl 40 Prozent zugestimmt als auch 40 Prozent abgelehnt. Grundsätzlich plädiert jedoch eine Mehrheit von 53 Prozent der Befragten für eine stärkere Beachtung der Wissenschaft gegenüber der Ethik und immerhin 59 Prozent der EU-Bürger sprechen sich grundsätzlich für die Forschung an embryonalen Stammzellen aus, davon 36 Prozent für besondere Auflagen. Lediglich 9 Prozent der mehr als 25.000 befragten Personen lehnen die embryonale Stammzellforschung komplett ab, 17 Prozent würden sie unter ganz speziellen Ausnahmen erlauben wollen. Für Deutschland verschiebt sich dieses Bild etwas mehr in Richtung Ablehnung: 54 Prozent sind grundsätzlich dafür, 22 Prozent von ihnen wünschen sich besondere Auflagen. 16 Prozent lehnen diese Art von Forschung grundsätzlich ab, 22 Prozent würden eine Förderung unter speziellen Ausnahmen erlauben.

Tabelle 2: Ansichten zur embryonalen Stammzellforschung in Europa

LandZulassung mit üblicher GesetzgebungZulassung mit besonderen AuflagenKeine Zulassung, nur für spezielle AusnahmenKeine Zulassung, unter gar keinen UmständenWeiß nicht
Dänemark41282047
Niederlande35312347
Deutschland322222168
Spanien293410719
Großbritannien283415617
Schweden25471747
Finnland24253499
Belgien13602675
Frankreich194316814
Luxemburg20392399
Österreich2025251515
Ungarn184812715
Zypern1936161317
Portugal182718433
Italien155113417
Tschechische Republik145117512
Irland1521191134
Slowakei1242251111
Griechenland124027202
Lettland1126201232
Malta927211429
Litauen530191035
Estland92323936
Slowenien328311522
EU Gesamt233617915

Quelle: Eurobarometer 2006, 25.000 Befragte insgesamt, 1.000 aus jedem EU-Mitgliedsstaat; Ergebnisse der Umfrage in Englisch als PDF-Download (KB 536)

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Ergebnisse einer Repräsentativerhebung in der EU zur Akzeptanz der Biotechnologie (in engl.) Download PDF (535,2 KB)