PID: Debatte um Erbgutcheck bei Embryonen

Der Präimplantationsdiagnostik geht immer eine künstliche Befruchtung im Labor voraus. Per Mikroinjektion wird eine Eizelle mit genau einem Spermium befruchtet.  <ic:message key='Bild vergrößern' />
Der Präimplantationsdiagnostik geht immer eine künstliche Befruchtung im Labor voraus. Per Mikroinjektion wird eine Eizelle mit genau einem Spermium befruchtet. Ein Embryo entsteht. Nach wenigen Tagen hat sich ein winziger Zellklumpen gebildet, der sich genetisch untersuchen lässt. Quelle: biotechnologie.tv

Kaum ein bioethisches Thema hat die Politik in den vergangenen Monaten so beschäftigt wie die Präimplantationsdiagnostik (PID). Der Erbguttest und die darauffolgende Auswahl von Embryonen, die bei einer künstlichen Befruchtung entstanden sind, sind ethisch umstritten. Nach einem Jahr der Debatte hat der Bundestag am 7. Juli 2011 mehrheitlich für ein Gesetz gestimmt, das die PID in engen Grenzen zulässt. Das Dossier stellt vor, wie die PID funktioniert und welche ethischen und politischen Argumente die Debatte bestimmt haben.

Wie funktioniert die PID?


Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist ein Verfahren, mit dem das Erbgut von durch künstliche Befruchtung entstandenen Embryonen vor dem Einsetzen in die Gebärmutter untersucht werden kann.

Die PID kommt als Diagnose-Verfahren dann in Frage, wenn die Eltern Träger einer genetischen Veränderung sind, die bei ihren Kindern mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Krankheit führen würde. Dabei kann es sich um eine Krankheit auf Genebene (monogenetische Krankheit) oder eine erbliche Chromosomenstörung handeln, die sich klar einer Ursache zuordnen lässt. Krankheiten, denen Störungen in mehreren Genen zugrunde liegen, können mit der PID nicht erkannt werden.

Um eine PID durchzuführen, muss zuvor eine Analyse der genetischen Veranlagung der Eltern stattfinden – nur so wissen die Ärzte, wonach sie suchen sollen. Diese Vorbereitungsphase ist sehr aufwendig, weil für jedes Elternpaar ein passender Gentest entwickelt werden muss – je nachdem, welche genetische Erkrankung vorliegt. So gibt es tausende unterschiedliche monogenetische Erkrankungen, die meisten davon sind sehr selten.

Wurde anhand der Eltern ein maßgeschneiderter Gentest für den Embryo entwickelt, müssen sich die Eltern der Prozedur einer künstlichen Befruchtung unterziehen. Hierfür wird der Frau eine Eizelle entnommen und dem Mann Spermien. Für die PID dann einem  wenige Tage alten Embryo in der Petrischale mindestens eine Zelle entnommen (Biopsie). Dafür kommen verschiedene Zeitpunkte in der Embryo-Entwicklung in Frage:

Etwa vier Tage nach der künstlichen Befruchtung besteht der Embryo aus acht Zellen. Ab diesem Zeitpunkt ist eine Erbgut-Analyse möglich - hierfür werden zwei Zellen entnommen.Lightbox-Link
Etwa vier Tage nach der künstlichen Befruchtung besteht der Embryo aus acht Zellen. Ab diesem Zeitpunkt ist eine Erbgut-Analyse möglich - hierfür werden zwei Zellen entnommen.Quelle: biotechnologie.tv

Blastomerbiopsie: Ab dem 4. Tag nach der in vitro-Befruchtung ist das 8-Zell-Stadium erreicht. Zu diesem Zeitpunkt sind die einzelnen Zellen pluripotent. Genau jetzt lässt sich mit einer feinen Pipette eine Zelle absaugen, ohne dass die weiteren Zellen bzw. der Embryo beschädigt werden. Im Ausland werden Blastomeren sogar noch vor dem 4. Tag nach der Befruchtung gewonnen, in diesem Stadium sind die Zellen noch totipotent. Solche frühen PID-Eingriffe sind in Deutschland nach aktueller Rechtslage nicht mit dem Embryonenschutzgesetz vereinbar und damit verboten. Eine PID ab dem 4. Tag nach der Befruchtung ist in Deutschland erlaubt.

 

Blastozystenbiopsie: Ab dem 5./6. Tag wird der Embryo Blastozyste genannt und besteht aus einer äußeren Zellgruppe (Ernährungszellen oder  Trophoblast) und einer inneren Zellmasse. Einige der äußeren Trophoblastenzellen können relativ problemlos entnommen werden und mittels genetischer Analysen untersucht werden.

Bis zum sechsten Tag nach der Befruchtung ist eine Entnahme von Zellen möglich. Eine befruchtete Eizelle in diesem Entwicklungstadium wird Blastozyste genannt.Lightbox-Link
Bis zum sechsten Tag nach der Befruchtung ist eine Entnahme von Zellen möglich. Eine befruchtete Eizelle in diesem Entwicklungstadium wird Blastozyste genannt.Quelle: biotechnologie.tv

Die entnommene Zelle wird auf besondere genetische Merkmale untersucht, die über die Eltern an das Kind weitergegeben werden (Genetische Diagnostik). Dazu wird zunächst aus den winzigen Zellen die DNA gewonnen, in der die Erbinformation gespeichert ist. Nun kommen molekularbiologische Methoden zum Einsatz, die schon seit vielen Jahren für Genalanysen etabliert sind.

Zwei molekulare Analyse-Techniken dominieren

Die Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) ist für die Feinanalyse von bestimmten Erbgutabschnitten die Methode der Wahl. Hiermit lassen sich Veränderungen in der Abfolge der DNA-Bausteine aufspüren, die zu einer mitunter folgenschweren Erkrankung führen können. Bislang sind etwa 3.500 Erkrankungen bekannt, die auf Mutationen in einem bestimmten Gen zurückzuführen sind (monogenetische Krankheiten). Dazu zählen Krankheiten wie die Muskeldystrophie Duchenne, die Autoimmunkrankheit Chorea Huntington oder die Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose.

Die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) hingegen ist eine Technik, mit der sich die Struktur und Anzahl der menschlichen Chromosomen - den 46 bei der Zellteilung entstehenden Erbgutpaketen - überprüfen lässt. Hierbei werden bestimmte Positionen auf den Chromosomen mit Farbstoffmolekülen zum Leuchten gebraucht. Auffälligkeiten in der Chromosomenverteilung wie Trisomien (Bsp. Down-Syndrom) oder Monosomien (Turner-Syndrom) lassen sie damit erkennen.

In dieser Folge der Kreidezeit erklären wir, was sich hinter dem Begriff FISH verbirgt.Quelle: biotechnologie.tv

Mithilfe dieser beiden Methoden – die anhand der genetischen Veranlagung der Eltern für jedes Paar angepasst werden müssen – wird schließlich das Erbgut des Embryos untersucht und anschließend nur die gesunden wieder in die Gebärmutter eingesetzt. In Deutschland gilt nach dem Embryonenschutzgesetz die sogenannte „Dreier-Regel“, das bedeutet, innerhalb eines Zyklus einer Frau dürfen nicht mehr als drei Eizellen im Reagenzglas befruchtet werden. Diese stehen dann auch für eine PID zur Verfügung. Eingesetzt werden dann in der Praxis meist bis zu zwei Embryonen, die gemäß der Diagnostik nicht von der krankmachenden Erbanlage betroffen sind.

Abgrenzung zu anderen Diagnosemethoden

Die PID unterscheidet sich von der Polkörperdiagnostik und der Pränataldiagnostik. Beide Verfahren sind in Deutschland zugelassen.

Die Polkörperdiagnostik ist eine sogenannte Präfertilisationsdiagnostik, d.h.  hierbei werden die Polkörper einer Eizelle nach Eindringen des Spermiums, aber vor der Verschmelzung der beiden Zellkerne untersucht. Polkörper sind Zellen, die bei den beiden Reifeteilungen der Eizelle (Meiose) entstehen und später absterben. Sie besitzen also den halben Chomosomensatz der Mutter, geben aber keinen Aufschluss über das Erbmaterial des biologischen Vaters.

Die Polkörperdiagnostik wurde nach dem Verbot der Präimplantationsdiagnostik durch das Embryonenschutzgesetz entwickelt und vorangetrieben, da eine Eizelle vor der Verschmelzung im rechtlichen Sinne noch nicht den Lebensschutz eines Embryos genießt. Sie ist sinnvoll, wenn nur die Mutter erblich belastet ist oder aufgrund ihres Alters die Gefahr einer Trisomie besteht. Anhand der Polkörper kann bereits festgestellt werden, ob einzelne Chromosomen ein Krankheitsgen tragen oder ob es zu einer Fehlverteilung der Chromosomen gekommen ist. Gleichzeitig wird die Eizelle durch die Diagnose nicht beschädigt, nach der Diagnose ist eine Schwangerschaft weiterhin möglich. Der Nutzen dieser Untersuchungsmethode ist allerdings umstritten.

 

Die Pränataldiagnostik (PND) umfasst alle Schwangerschaftsuntersuchungen. Unterschieden wird in invasive und nicht-invasive Methoden. Nichtinvasiv ist der Ultraschall, bei dem mit Hilfe einer sonographischen Aufnahme die Entwicklung des Fötus analysiert wird. Gendefekte können damit nicht einwandfrei diagnostiziert werden, dafür aber Verwachsungen, Wachstumsstörungen, die Zahl der Föten und häufig auch ihr Geschlecht. Invasive Untersuchungsmethoden bergen das Risiko einer Fehlgeburt, da sie direkt in die Schwangerschaft eingreifen. Sie sind in der Regel ab der 10. Schwangerschaftswoche möglich und kommen vor allem für Frauen ab 35 Jahre in Frage bzw. bei Paaren, die eine genetische Vorbelastung in der Familie haben. Bei der Amniozentese werden fetale Zellen aus dem Fruchtwasser untersucht (überlicherweise ab der 16./17. Schwangerschaftswoche), während bei der Chorionzottenbiopsie Fetalzellen aus den Zotten der Eihaut analysiert werden (ca. in der 13. Schwangerschaftswoche). Bei der Nabelschnurpunktion werden Zellen aus der Nabelschnur des Embryos entnommen und auf Erbschäden untersucht.

Rechtliche Ausgangslage


Seit Juli 2010 ist die PID in Deutschland erlaubt. Diese Rechtslage geht auf ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6. Juli 2010 zurück (mehr...). Das Urteil war nötig geworden, weil die technischen Möglichkeiten der PID durch das im 1990 verabschiedeten Embryonenschutzgesetz (ESchG) nicht mehr erfasst sind und sich so eine Rechtsunsicherheit ergeben hatte. Verstärkt wird die juristische Diskussion durch Widersprüche mit dem Gendiagnostikgesetz (GenDG) und der rechtlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen (§218 StGB).

 

Embryonenschutzgesetz

Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) ist seit dem 1. Januar 1991 in Kraft und regelt alle bis dato bekannten Aspekte der Reproduktionsmedizin. Das ESchG definiert einen Embryo als befruchtete Eizelle, bei der die beiden Zellkerne miteinander verschmolzen sind, und stellt diesen ebenso wie totipotente Zellen unter besonderen Schutz. Laut ESchG ist es demnach untersagt, „eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt“ (ESchG §1 Satz1). Es ist verboten, Embryonen zu Forschungszwecken herzustellen. Damit spricht sich das ESchG streng gegen alle Praktiken aus, die zur Vernichtung von Embryonen führen können. Ausgerechnet bei der Bestimmung schwerer Erbkrankheiten macht es jedoch eine Ausnahme: §3 ESchG verbietet eine Geschlechtsauswahl der Samenzelle bei künstlicher Befruchtung, es sei denn, dass „die Auswahl der Samenzelle durch einen Arzt dazu dient, das Kind vor der Erkrankung an einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne oder einer ähnlich schwerwiegenden geschlechtsgebundenen Erbkrankheit zu bewahren.“ Mit diesem Paragrafen erlaubt das ESchG eine Präfertilisationsdiagnose (Polkörperdiagnostik) zur Verhinderung schwerer Erbkrankheiten. Aufgrund der technischen Möglichkeiten im Jahr 1991 ist die PID selbst nicht im ESchG erfasst.

 

Strafgesetzbuch

Ein weiterer rechtlicher Konflikt mit dem ESchG entsteht durch eine gesetzliche Ausnahmeregelung des sonst als rechtswidrig bewerteten Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetzbuch (StGB). Nach §218a Abs. 2 StGB ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtsmäßig, um „die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen und seelischen Gesundheitszustands der Schwangeren abzuwenden“, welche auch aus einer Fehlgeburt, Totgeburt oder einer schweren Behinderung des ungeborenen Kindes resultieren kann. Während der Embryo geschützt wird, stellt das Gesetz in extremen Fällen die Entscheidungsfreiheit der Mutter über den Schutz des ungeborenen Kindes.

Das Strafgesetzbuch toleriert zudem, dass Frauen Medikamente oder Medizinprodukte (Spirale) verwenden, um die Einnistung von Embryonen in die Gebärmutter zu verhindern. Diese Nidationshemmung zur Schwangerschaftsverhütung ist laut §218a Abs. 1 StGB erlaubt.

 

Gendiagnostikgesetz

Eine mit §218a StGB vergleichbare Klausel findet sich auch im Gendiagnostikgesetz (GenDG). Sie erlaubt im Rahmen der PND vorgeburtliche genetische Untersuchungen auf genetische Eigenschaften, welche die Gesundheit des Embryos oder Fötus „während der Schwangerschaft oder nach der Geburt spätestens bis zum 18. Lebensjahr beeinträchtigen.“ (§15 Abs. 2 GenDG). Gemäß §218a ist bei positiver Diagnose eine Abtreibung zulässig.

 

BGH-Urteil

Am 6. Juli 2010 hat der Bundesgerichtshof ein Urteil gefällt, welches die PID in Deutschland auf eine neue rechtliche Grundlage stellen wird. Der Berliner Frauenarzt Matthias Bloechle hatte bei drei erblich belasteten Paaren nach künstlicher Befruchtung eine Embryonenauslese durchgeführt, und damit am Ende einer Frau zu einem gesunden Kind verholfen. Anschließend zeigte sich der Arzt selbst an, um Rechtsklarheit zu schaffen. Das BGH sprach ihn frei und mahnte eine eindeutige rechtliche Regelung an. In seiner Urteilsbegründung hat der BGH darauf hingewiesen, dass es widersprüchlich wäre, einerseits Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 2 StGB (aufgrund schwerer Behinderung des Kindes) straffrei zu lassen und andererseits die PID, die auf einem weitaus weniger belastenden Weg dasselbe Ziel verfolgt, bei Strafe zu untersagen. Aufgrund dieses Urteils wird in Deutschland derzeit an einer gesetzlichen Neuregelung der PID gearbeitet.

Auf dem Weg zum PID-Gesetz


Drei überparteilich erarbeitete Gesetzesvorlagen waren im Verlauf der Debatte vorgelegt worden. Die endgültige Abstimmung über das Präimplantationsdiagnostikgesetz (PräimpG) fand am 7. Juli im Bundestag statt. Für die Abstimmung wurde der Fraktionszwang aufgehoben, da es sich um eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten handelt.  

Am 7.Juli steht die entscheidende Bundestagsdebatte zur Regelung der PID an. Noch ist der Ausgang offen. Die Parlamentarier können zwischen drei Gesetzesentwürfen entscheiden.Lightbox-Link
Am 7.Juli steht die entscheidende Bundestagsdebatte zur Regelung der PID an. Noch ist der Ausgang offen. Die Parlamentarier können zwischen drei Gesetzesentwürfen entscheiden.Quelle: Deutscher Bundestag/ Simone Neumann

Entwurf 1: Striktes Verbot

Ein ausnahmsloses Verbot der PID fordert ein Gesetzentwurf, den die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Birgitt Bender, und der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, initiiert haben. Die prominentesten Unterstützer dieses Antrags sind Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), außerdem die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Auch die Vertreter der katholischen Kirche, Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und Behindertenverbände unterstützen ein totales Verbot. Dem Entwurf zugrunde liegt die Ansicht, dass menschliches Leben mit der Befruchtung beginnt und jeder Embryo deshalb über eine schützenswerte Menschenwürde verfügt. Eine Selektion diskriminiere Behinderte als lebensunwertes Leben. Die PID-Gegner berufen sich auf das Embryonenschutzgesetz, demzufolge Embryonen nur zum Zweck der Schwangerschaft erschaffen werden dürfen.

Der vollständige Gesetzentwurf (pdf): hier klicken

Entwurf 2: Verbot mit Ausnahmen

Ein zweiter Entwurf sieht ebenfalls ein PID-Verbot vor, will jedoch eine Ausnahme machen, wenn die möglichen Erbschäden zum Tod des Kindes während der Schwangerschaft führen. In diesen Fällen muss bei den Eltern oder einem Elternteil eine entsprechende humangenetisch diagnostizierte Disposition vorliegen. Weitere Voraussetzung ist die Verpflichtung, eine Beratung anzubieten sowie das positive Votum einer Ethikkommission. Diese Vorlage wurde erstellt von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Priska Hinz (Die Grünen), René Röspel (SPD) und Patrick Meinhardt (FDP). Sie wird ebenfalls von Ratsmitgliedern der evangelischen Kirche unterstützt. Mit der strengen Eingrenzung möglicher Indikationen hoffen die Politiker, belasteten Paaren zu helfen und dennoch eine Aufweichung der Diagnose hin zu immer kleineren Gendefekten zu verhindern.

Der vollständige Gesetzentwurf (pdf): hier klicken

Entwurf 3: Zulassung in engen Grenzen

Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Ulrike Flach, und der parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze (CDU) werben für eine begrenzte Freigabe der PID. Ihren Entwurf haben sie gemeinsam mit Petra Sitte (Die Linke), Jerzy Montag (Bündnis 90/Die Grünen) und Carola Reimann (SPD) vorgelegt. Durch eine Änderung des Embryonenschutzgesetztes wollen sie es den Eltern ermöglichen, eine künstlich befruchtete Eizelle vor ihrer Implantation in die Gebärmutter auf schwere genetische Schäden zu untersuchen, um mögliche Schwangerschaftsabbrüche, Tot- oder Fehlgeburten zu vermeiden. Der Entwurf wird von den Ministerinnen Kristina Schröder (CDU, Familienministerin) und Ursula von der Leyen (CDU, Arbeitsministerin) sowie Edelgard Buhlmahn (SPD) und Hubertus Heil (SPD) sowie großen Teilen der FDP-Fraktion unterstützt. Nach der Vorlage soll die genetische Diagnostik nur für Eltern zugelassen werden, die aufgrund erblicher Belastung oder bereits aufgetretener Fälle in der Familie ein totes oder ein schwer behindertes Kind befürchten. Das Hauptargument dieses Entwurfs ist es, dass Familien unendliches Leid erspart werde. Außerdem sei es rechtlich widersprüchlich, Abtreibungen nach Pränataldiagnostik zu erlauben, wenn die Diagnostik zu einem früheren Zeitpunkt verboten sei. Auch dieser Entwurf schlägt die Begleitung entsprechender Fälle durch eine Ethikkommission vor.

Der vollständige Gesetzentwurf (pdf): hier klicken

 

Die Abstimmung im Bundestag: Mehrheit für PID in Grenzen

Der 7. Juli 2011 markierte im Bundestag den Tag der Entscheidung für einen der drei Gesetzentwürfe (mehr...). Für diese Abstimmung hatte sich der Ältestenrat auf die sogenannte „Stimmzettelwahl“ geeinigt. In einem ersten Schritt wurde über alle drei Gesetzentwürfe abgestimmt. Dabei stimmten 306 Abgeordnete für eine Zulassung der PID, 228 für ein generelles Verbot. Auf den Kompromissvorschlag, der ein Verbot mit Ausnahmen vorsah, entfielen 58 Stimmen. Weil keiner der Entwürfe die Stimmenmehrheit der 594 Parlamentarier erreicht hatte, wurde eine weitere Abstimmung, die dritte Lesung, notwendig. Dort konnten die Bundestagsmitglieder nur noch für die beiden Anträge stimmen, die zuvor die meisten Stimmen auf sich vereint hatten: Eine Zulassung oder ein absolutes Verbot. In der dritten Lesung wurde dann der Entwurf von Flach, Hintze, Reimann und weiteren Abgeordneten angenommen: 326 Abgeordnete stimmten für die Vorlage, 260 lehnten sie ab. Es gab acht Enthaltungen.

Stellungnahmen weiterer Fachgremien


Bei der Diskussion über die rechtliche Regelung der PID haben sich auch verschiedene Expertengremien zu Wort gemeldet:

Votum des Ethikrates

Nach einem halben Jahr Beratung hat sich auch der Deutsche Ethikrat am 8. März 2011 zu den Gesetzentwürfen geäußert (mehr...). Überaschenderweise hat das sonst einstimmige Gremium ein gespaltenes Votum abgegeben. Eine hauchdünne Mehrheit von 13 Mitgliedern plädiert demnach für eine eingeschränkte Zulassung. Dem Mehrheitsvotum zufolge soll PID erlaubt werden, wenn bei den Eltern nachweislich Anlagen zu erblichen Gendefekten bestehen, die zu schweren Behinderungen führen oder ein hohes Risiko für Fehl-und Totgeburten bergen. Rettungsgeschwister oder Chromosomenstörungen, die mit einem hohen Alter der Mutter zusammenhängen sowie spät manifestierende Krankheiten schließen die PID-Befürworter im Ethikrat aus. Damit spricht sich das Gremium indirekt gegen eine Selektion von Embryonen mit der erblichen Veranlagung zu Brustkrebs, Alzheimer und Chorea Huntington aus. Auch das bei Spätgebärenden erhöhte Risiko für Gendefekte wie Trisomie 21 (Down-Syndrom) rechtfertigt dem Ethikrat zufolge keine Embryonenauslese. Der Ethikrat verweigert jedoch eine Liste von Krankheiten, welche die Gendiagnose rechtfertigen. Eine Geschlechtsbestimmung befürwortet der Ethikrat nur, wenn der Gendefekt über die Geschlechtschromosomen vererbt wird. Das Gremium schlägt außerdem eine verpflichtende Untersuchung und Beratung durch einen Humangenetiker, einen Reproduktionsmediziner und eine Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle vor. Elf Ethikratmitglieder sprachen sich hingegen für ein ausnahmsloses PID-Verbot aus. Sie befürchten eine Ausweitung der Diagnosemethode auf weniger schwere Gendefekte und sehen der selektiven Tötung behinderten Lebens Tür und Tor geöffnet. Die Entwicklung der medizinischen Möglichkeiten sowie ein Blick über die Landesgrenzen ließen vermuten, dass der Embryonenschutz weiter aufgeweicht würde. Außerdem argumentieren die Ethikratmitglieder mit sozialen Faktoren: Der Druck auf erblich belastete Paare würde zunehmen, sich dem Verfahren zu unterziehen und behindertes Leben zu vermeiden, statt es in die Gesellschaft zu integrieren. In dem 26-köpfigen Gremium gab es außerdem eine Enthaltung und ein Sondervotum, in dem eine Liste mit Krankheiten gefordert wurde, welche PID indizieren.

Stellungnahme der Wissenschaftsakademien

Ende Januar 2011 hatte eine Gruppe von 13 renommierten Forschern, darunter die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard sowie Humangenetiker, Medizinrechtler und Reproduktionsmediziner im Auftrag der drei Wissenschaftsakademien Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) eine Stellungnahme zur Präimplantationsdiagnostik (PID) vorgelegt und sich darin für eine eingeschränkte Zulassung ausgesprochen. Aus Sicht der Forscher sollte der Gesetzgeber die PID ähnlich regeln wie die Pränataldiagnostik, denn andernfalls würden Widersprüche entstehen. Eine Zulassung der PID sollte unter begrenzten Voraussetzungen geschehen. Das Verfahren sollte nur bei Paaren durchgeführt werden, für die medizinisch tatsächlich ein hohes Risiko besteht, dass ihre Kinder an einer unheilbaren und monogenetisch bedingten schweren Krankheit leiden werden, wie etwa an der schweren Muskelschwäche Duchenne oder beim Fragile X-Syndrom. Die Forscher empfehlen, eine zentrale Sachverständigen-Stelle einzurichten, die Richtlinien zur PID erlässt und jeden Einzelfall auf einen begründeten Antrag hin befürwortet oder ablehnt. Als Vorbild für eine solche Sachverständigen-Kommission  gilt den Forschern eine Regulierungsbehörde, die bereits seit über 20 Jahren in Großbritannien arbeitet (HFEA). Die Forscher schätzen, dass unter diesen Voraussetzungen hierzulande einige hundert PID jährlich vorgenommen würden. Die Experten wollen damit den Fokus der politischen Debatte weg vom Status des Embryos lenken. Es gehe vielmehr darum, in Einzelfällen die freie Entscheidung einer Frau für ein gesundes Kind zu stärken.

Ethische Debatte


In der ethischen Debatte um die PID stehen – wie auch in der Abtreibungsdebatte - die Rechte und Interessen der Eltern, insbesondere der Frau, gegen den Schutz des Embryos. Das grundsätzliche ethische Problem einer PID besteht darin, dass bei dem Verfahren zwangsläufig Embryonen, die nicht die erwünschten Merkmale aufweisen, verworfen werden.

Dabei ist unbestritten dass eine Eizelle ab dem Zeitpunkt der Befruchtung menschliches Leben darstellt. Diesen Status erkennt das Embryonenschutzgesetz auch totipotenten Stammzellen, also jeder einzelnen Zelle des Embryos bis etwa zum Achtzellstadium zu, was die so genannte „frühe“ PID an totipotenten Zellen zusätzlich problematisch macht.

Absoluter oder abgestufter Lebensschutz?

Die ethische Diskussion entzündet sich folglich nicht an der Frage, ob ein Embryo ein menschliches Wesen ist, sondern ob dieses Leben den gleichen Schutz genießt wie ein geborener Mensch bzw. ob die Schutzwürdigkeit mit den Entwicklungsphasen des Embryos an Intensität zunimmt. Die Seite der PID-Gegner spricht dem Embryo von Anfang an die gleiche Würde und den gleichen Schutz zu wie einem geborenen Menschen. Diese unter anderem von Kirchen und Behindertenverbänden vertretene Position argumentiert konsequent moralisch, lässt dabei die praktischen Aspekte und die Rechte der Eltern außer Acht.

Dagegen verfechten die PID-Befürworter eine Position, die dem Embryo gemäß den Phasen seiner Entwicklung (Befruchtung, Nidation, Ausbildung der Organe, Geburt) einen abgestuften Rechtsschutz zuspricht. Das Lebensrecht und die Lebensfähigkeit des Embryos werden darin immer im Verhältnis zu den Rechten und der Gesundheit der Eltern – insbesondere der werdenden Mutter – gesehen und abgewogen.

Zur Diskussion stehen dabei die Belastung der Eltern durch Tot- und Fehlgeburten, die Lebensfähigkeit eines Embryos und eine mögliche soziale Indikation, wenn in der Familie bereits eines oder mehrere Kinder mit schweren Behinderungen versorgt werden. Auch die grundsätzliche Möglichkeit, einem erblich belasteten Paar einen Kinderwunsch zu erfüllen oder zu versagen, ist Teil dieser Debatte.

Dammbruch befürchtet

Die übrigen ethischen Dimensionen behandeln die möglichen Folgen einer PID. Die Gegner befürchten beispielsweise einen Dammbruch hin zur Genanalyse auch weniger schwerwiegender Erkrankungen oder anderen Eigenschaften, sie kritisieren die grundsätzlich Diskriminierung geborenen Lebens und bezweifeln die Einhaltung der Menschenwürde bei den als Gewebespender gezeugten Rettungsgeschwistern.

Die Sorge ist verbreitet, dass sich die Anwendung der PID nicht auf bestimmte Krankheiten beschränken lässt. Ein Dammbruch in Richtung „Designerbabys“ wird befürchtet. Das Horrorszenario ist eine Welt, in der Aussehen, Intelligenz, Dispositionen für Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht bereits vor der Geburt festgelegt werden könnten. Forscher entgegnen, dass sich solche Eigenschaften genetisch nur schwer eingrenzen lassen und solche Befürchtungen daher als gering einzuschätzen sind. Die grundsätzliche Frage, welche Erkrankungen als lebenswert und welche als „selektierbar“ gelten, berührt für viele Ethiker allerdings auch die Würde behinderter Menschen. Behindertenverbände sehen in der Selektion von Embryonen mit der gleichen Erbkrankheit eine Diskriminierung ihrer Existenz. Sie befürchten, dass der soziale Druck auf erblich belastete Eltern zunimmt, weil die Gesellschaft in Zukunft anstreben könnte, behindertes Leben zu vermeiden, statt es in die Gesellschaft zu integrieren.

Menschen als Ersatzteillager?

Ethisch besonders kompliziert ist der Fall von „Rettungsgeschwistern“, also von Kindern, die als Embryonen nach bestimmten genetischen Gesichtspunkten durch PID ausgewählt wurden, um Familienmitgliedern ein Überleben zu sichern – beispielsweise um als Gewebespender zu dienen. Unabhängig davon, inwieweit eine Nabelschnurblutspende in das Leben des Spenderkindes eingreift, bleibt die Frage, ob ein Leben zu einem bestimmten Zweck geschaffen werden darf, und Embryonen nach diesem Nützlichkeitsaspekt ausgesucht werden dürfen. Bisher weitgehend unbekannt sind auch die psychischen Folgen für das Selbstverständnis des so gezeugten Kindes.

Rechte der Frau und Konflikt mit Pränataldiagostik

Auf der anderen Seite stehen die Rechte und Interessen der Eltern. So kann Eltern mit genetischer Vorbelastung nicht verwehrt werden, sich fortzupflanzen. Das Erleben von Tot- oder Fehlgeburten kann insbesondere für die Frau eine unzumutbare Belastung darstellen, ebenso wie die Versorgung eines schwerkranken Kindes. Diese Situation ist besonders schwierig, wenn in der Familie bereits ein oder mehrere behinderte Kinder versorgt werden. Während es kein Recht auf ein gesundes Kind gibt, hat die Frau dennoch das Recht, über ihren Körper, ihre Lebens- und Familienplanung zu entscheiden. Diese Entscheidung staatlich zu normieren empfinden viele als erheblichen Eingriff in die Privatsphäre und eine Diskriminierung genetisch vorbelasteter Paare. Aus dem aktuellen juristischen Konflikt zwischen dem Embryonenschutz und der erlaubten Abtreibung bei medizinischer Indikation folgt ebenfalls ein ethisches Problem. Die rechtliche Situation bewertet die Menschenwürde und den Lebensschutz des Embryos vor der Einnistung höher bzw. als vom Staat schützenswerter als den des deutlich weiter entwickelten ungeborenen Kindes im Mutterleib.

Hintergrund

Mehr zur PID-Debatte auf biotechnologie.de

Zum Urteil des Bundesgerichtshofs:
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Zum Votum des Ethikrats:
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Zur Stellungnahme der Wissenschaftsakademien:
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Zur aktuellen politischen Debatte:
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