Biotechnologie in den Niederlanden

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Aufgrund ihrer besonderen Lage und ihrer Geschichte haben die Niederländer seit jeher ein besonders intensives Verhältnis zur Natur. Das Land ist relativ klein und dicht besiedelt, ein großer Teil der Landfläche musste dem Meer durch ein besonderes System an Dämmen und Kanälen erst abgetrotzt werden, und es gibt wenig natürliche Rohstoffe. Trotzdem sind die Niederlande nach den USA der größte Exporteur von landwirtschaftlichen Produkten, nach der Zahl an exportierten Gütern rangieren sie weltweit laut OECD an sechster Stelle. Das ist nur möglich, da die Niederlande Ingenieurskunst, Handel und wissenschaftlichen Fortschritt effizient kombinieren. Das kommt auch der Biotechnologie zugute, die in den Niederlanden im europäischen Vergleich eine starke Position inne hat.

Unternehmenslandschaft

Auf einer relativ kleinen Fläche konzentrieren sich in den Niederlanden nicht nur 16 Millionen meist gutausgebildete Einwohner, sondern auch Hunderte von Biotechnologieunternehmen.Lightbox-Link
Auf einer relativ kleinen Fläche konzentrieren sich in den Niederlanden nicht nur 16 Millionen meist gutausgebildete Einwohner, sondern auch Hunderte von Biotechnologieunternehmen.Quelle: Wikipedia
Biotechnologie zählt zu den "Topgebieten"

Die Zahl der Biotechnologie-Unternehmen ist eine Größe, die ohne eine standardisierte Umfrage, wie sie biotechnologie.de jährlich durchführt, schwer zu ermitteln ist. Im Jahr 2006 schätzte die OECD die Zahl der dedizierten Biotechnologieunternehmen, also jenen Unternehmen, die sich ausschließlich mit Biotechnologie beschäftigen, in den Niederlanden auf 221. Im gleichen Jahr kam der Servicearm des US-Handelsministeriums auf 157 dedizierte und 400 gemischte Biotechnologieunternehmen. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen, mittlerweile dürfte die Zahl auch trotz Finanzkrise angestiegen sein. 

Stark vertreten ist vor allem der medizinische Sektor. Die "rote" Biotechnologie und andere Unternehmen aus dem Medizinbereich beschäftigen dem Investitionsportal Life Sciences and Health zufolge 56.400 Menschen. 20% dieser Angestellten sind demnach in der Forschung tätig, die Zahl der Unternehmen aus dem Pharma-, Diagnostik- und Medizintechnikbereich im Jahr 2010 betrug 935.

Nach den aktuell verfügbaren Zahlen des Wirtschaftsministeriums (erhoben 2005) sind mehr als 70% der Pharmaunternehmen Kleinunternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern. Wie auch in anderen Ländern entstehen diese als Ausgründungen von Universitäten und Forschungseinrichtungen. So  konzentriert sich die Branche in der Nähe der wissenschaftlichen Forschungszentren Amsterdam/Leiden/Utrecht/Rotterdam, Wageningen, Groningen und Maastricht.

Life Sciences and Health

Auf dem Internetportal präsentiert sich die Branche der Lebenswissenschaften in den Niederlanden möglichen Investoren. Neben Nachrichten über die Industrie, aktuellen Förderausschreibungen und einer Datenbank mit Förderprogrammen bietet die Seite auch Informationen über gesetzliche Rahmenbedingungen oder Finanzierungsmöglichkeiten.

www.lifescienceshealth.com

Crucell erfolgreich mit Impfstoffen

Sechs Biotech-Unternehmen sind an der Börse notiert. Am bekanntesten ist der Impfstoffhersteller Crucell, mit 115 Millionen verkauften Dosen 2009 der nach eigenen Angaben weltweit größte unabhängige Impfstoffproduzent, und eines der führenden Biotechnologieunternehmen in Europa. Der Gesamtumsatz des Unternehmens lag 2009 bei 358 Millionen Euro, wovon mehr als ein Drittel wieder in und FuE investiert wurde. Crucell hat sich auf Impfstoffe für Entwicklungsländer spezialisiert, zum Portfolio zählt der Fünffach-Impfstoff Quinvaxem, der über UNICEF verteilt wird. In der Pipeline des Unternehmens finden sich Vakzine gegen Gelbfieber, Malaria, Ebola, Tuberkulose, Hepatitis C, Tollwut und HIV sowie ein zellbasierter Grippeimpfstoff.

Nicht zuletzt wegen dieser attraktiven Palette an Produktkandidaten will das US-amerikanische Pharmaunternehmen Johnson&Johnson die niederländischen Impfstoffspezialisten gerne übernehmen. Der Verkauf soll voraussichtlich im Februar 2011 stattfinden, dem vorläufigen Übernahmeangebot zufolge wird Crucell innerhalb der J&J-Gruppe zum Impfstoffzentrum aufgebaut und behält den Firmenhauptsitz in Leiden.

Ebenfalls in Leiden sitzt die niederländische Niederlassung des belgischen Wirkstoffentwicklers Galapagos. Mit zwei therapeutischen Plattformen für Antikörper und niedermolekulare Therapien verfügt das Unternehmen über eine der größten Pipelines in dem Sektor. Es hat sechs klinische und 50 vorklinische / niedermolekulare Forschungsprogramme aufgebaut. Galapagos hat in den vergangenen Jahren mehrere Kooperationen mit großen Pharmapartnern aufgebaut, zum Beispiel mit Roche. Ziel dieser Zusammenarbeit sind vor allem neue Ansätze in der personalisierten Medizin. Der Trend wird auch in den Niederlanden stark verfolgt, ein Konsortium aus drei Public-Private-Partnerships will im kommenden Jahr 28 Mio Euro in diesem Bereich investieren, und konzentriert dabei auf sieben Projekte, welche sich vor allem mit den Transportkanälen für Wirkstoffe beschäftigen.

Agendia mit erstem Brustkrebstest auf dem Markt

Weitere börsennotierte Unternehmen sind der Spezialchemiekonzern DSM sowie die Unternehmen Fornix, AMT und der Technologieentwickler OctoPlus. Neben OctoPlus sind zwei weitere große Unternehmen in der Technologieentwicklung tätig: Avantium mit einer Spezialisierung aus Eiweißkristallisationstechnik und SynCom, das pharmazeutische Verbindungen entwickelt.

Informationen beim Wirtschaftsministerium

Die Regierung der Niederlande hat die Lebenswissenschaften zu einem "Topgebiet" erklärt, was verstärkte Förderung möglich macht. Das Wirtschaftministerium informiert auf seiner Internetpräsenz ausführlich über die Lebenswissenschaften in den Niederlanden.

mehr Informationen: hier klicken

Seit einiger Zeit macht der Molekulardiagnostikspezialist Agendia auf sich aufmerksam. Mittlerweile hat das Unternehmen die sechste Finanzierungsrunde hinter sich und bereitet einen Börsengang im Jahr 2011 vor. Erfolgreichstes Produkt ist bisher Mammaprint, ein Test, mit dem nach dem Entfernen eines Brustkrebstumors die Aktivität von brustkrebsrelevanten Genen in Gewebeproben überwacht und damit ein möglicher Rückfall vorhergesagt werden kann.

Nur ein Teil der in der Biotechnologie tätigen Unternehmen ist in Verbänden organisiert. Das wird einerseits darauf zurückgeführt, dass die Mitgliedsbeiträge für die mehrheitlich kleinen Unternehmen zu hoch sind. Andererseits gibt es aber von Unternehmensseite offenbar bisher auch wenig Interesse an einer biotechnologischen Lobbyarbeit auf nationaler und europäischer Ebene. Neben dem allgemeinen Verband „Nederlandse Biotechnologische Vereinigung“ und einem wissenschaftlichen Verband für Genetik gibt es industrielle und regionale Berufsverbände. Die industriellen Vereinigungen sind international ausgerichtet und teilweise EU-Dachverbänden angeschlossen. Die regionalen Verbände haben den Charakter von Clustern, sie sollen die Region entwickeln und haben unter ihren Mitgliedern Unternehmen und Wissensorganisationen gleichermaßen. Dieses Modell, auch wenn es de facto nicht mehr als  ein regionales Netzwerk bedeutet, ist für viele Unternehmen attraktiver als ein industrieller Verband.

Public-Private-Partnerships als Wirtschaftspolitik

Nach wie vor ist der Markt in der Biotechnologie in den Niederlanden sehr dynamisch. Immer mehr Firmen verlagern nicht nur Produktion und Vertrieb, sondern auch ihre FuE-Aktivitäten ins Ausland. Selbstdiagnostizierte Schwachpunkte der Branche liegen vor allem bei der Markteinführung von innovativen Produktreihen und der Umsetzung von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte.

Die Regierung unterstützt sie durch Forschungsstipendien, Zuschüsse für Startups und Technologiekooperationen wie das Programm „Pieken in de delta“. Den Fokus ihrer Förderung hat die Regierung nach der Identifizierung der Schwachstellen der Branche auf Markteinführung und Public-Private-Partnerships (PPP) gelegt, um vor allem die Forschungsergebnisse kleiner Unternehmen besser und schneller zu verwerten. Besonders in der industriellen Biotechnologie gibt es bereits ganze PPP-Netzwerke, die auch renommierte Forschungseinrichtungen wie die  TU Delft und das Kluyver Centre for Genomics of Industrial Fermentation sowie das Unternehmen DSM umfassen. Es wird jedoch erwartet, dass die Investitionen in PPP, welche in den vergangenen Jahren nach Angaben des Wirtschaftsministeriums bei jeweils rund 250 Millionen Euro lagen, in den kommenden Jahren zurückgehen.

Die ersten PPP unter niederländischer Beteiligung haben schon wichtige Erfolge gemeldet. Die in Amsterdam beheimatete Firma Synco Bio Partners gehört zum ersten PPP, welches für die Weltgesundheitsorganisation WHO einen Impfstoff entwickelt hat. Die MenAfriVac genannte Vakzine richtet sich gegen Erreger der Hirnhautentzündung Meningitis A. Synco Bio Partners lieferte die aus Meningokokken stammenden komplexen Zuckermoleküle gegen die der Impfstoff eine Resistenz vermitteln soll. MenAfriVac ist im Juni 2010 von der WHO zugelassen worden.

Forschungslandschaft

Bildung und Forschung spielen in den rohstoffarmen Niederlanden eine wichtige Rolle. Prioritäre Bereiche der niederländischen Wissenschafts- und Technologiepolitik sind Genomforschung, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die Nanotechnologien. Da die Biotechnologie als eine der Hauptwirtschaftszweige des Landes gilt, profitieren auch die Lebenswissenschaften von überdurchschnittlicher staatlicher Förderung.

Den Kern der Wissenslandschaft bilden 14 Universitäten, von denen 13 jeweils einen Lehrstuhl in den Lebenswissenschaften unterhalten. Ergänzt wird das Feld von acht universitären medizinischen Zentren und mehr als 30 Wissens- und Forschungsorganisationen. Die biomedizinische Forschung konzentriert sich auf Krebs, Impfstoffe, Infektionskrankheiten, Herz-Kreislauferkrankungen und molekulare Bildgebung. Auffällig ist, dass viele Forschungsvorhaben nicht durch eine reale Marktnachfrage, sondern einen Technologieschub motiviert sind. Eine hohe Dichte an Universitäts- und Regionalkliniken haben das Land außerdem für die Durchführung klinischer Studien profiliert. Um die Forschungscluster aus Universitäten und Wissensorganisationen konzentriert sich auch die Branche.

Wageningen University and Research Centre

In kurzer Zeit hat sich das WUR international einen guten Ruf auf dem Gebiet der Pflanzenbiotechnologie, Bioenergie- und umweltforschung erarbeitet.

www.wur.nl/uk/ 

Am bekanntesten ist das Wageningen Universitäts- und Forschungszentrum (WUR). Es wurde 2000 gegründet und gilt als eine der weltweit führenden Einrichtungen im Bereich der Lebenswissenschaften. WUR ist ein Zusammenschluss des staatlichen Agrarforschungszentrums und der Universität Wageningen mit weiteren Forschungsinstituten. Heute sind hier ca. 12.000 Studenten und mehr als 200 Professoren tätig. Das WUR betreibt neun separate Forschungsinstitute, die auf dem Gebiet der Pflanzen- und der Umwelt-Biotechnologie tätig sind.

Die Karte zeigt die Anzahl der Biotech-Patente, die in den europäischen Regionen in den Jahren 2004 bis 2006 angemeldet wurden. Die Niederlande kristallisieren sich als eine der führenden Regionen heraus.Lightbox-Link
Die Karte zeigt die Anzahl der Biotech-Patente, die in den europäischen Regionen in den Jahren 2004 bis 2006 angemeldet wurden. Die Niederlande kristallisieren sich als eine der führenden Regionen heraus.Quelle: OECD

In der medizinischen Biotechnologie ist die erste Adresse in den Niederlanden der Leiden Bio Science Park, nach eigenen Angaben einer der fünf erfolgreichsten Wissenschaftsparks in Europa. Der Cluster vereint neben der wissenschaftlichen Fakultät der Universität Leiden und dem Medizinischen Zentrum der Universität (LUMC) zahlreiche Unternehmen, darunter die Branchengrößen Crucell und Galapagos, sowie eine Reihe von PPP, außerdem die niederländische Organisation für angewandte Forschung (TNO) und das Zentrum für medizinische Systembiologie (CMSB). Der Businesspark wird durch Region, Land und EU gefördert. Andere Cluster konzentrieren sich um die Rijksuniversitet Groningen mit Schwerpunkten in Pflanzen- und Umweltbiotechnologie, beim BioCenter Amsterdam, und dem vor vier Jahren eröffneten Wissenschaftspark Lelystad.

Zwei der insgesamt 18 Institute der Königlich-Niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften (KNAKW) widmen sich biotechnologischer Forschung: das Niederländische Institut für Entwicklungsbiologie (NIOB) und das Niederländische Institut für Ökologie (NIOO). Aus der NWO (Niederländische Organisation für wissenschaftliche Forschung) sind drei Institute mit biotechnologischer Forschung befasst: das Königlich-Niederländische Institut für Meeresforschung (NIOZ), das Institut für Atom- und Molekularphysik (AMOLF) und  das nationale Forschungszentrum für Mathematik und Computertechnik (CWI).

Europäische Statistikbehörde

Eurostat unterhält eine Statistik über die Forschungsausgaben der einzelnen EU-Länder.

zur Vergleichstabelle: hier klicken

Topgebiet Lebenswissenschaften

Die Regierung zählt die Lebenswissenschaften neben der Lebensmittel- und Blumenindustrie sowie der Chemiebranche  zu den "Topgebieten", die besonders gefördert werden. Charakteristisch für die Forschung ist eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie in großen Konsortien mit teilweise mehr als 80 Mitgliedern. Die Regierung setzt besonders auf Public-Private Partnerships (PPP), die meist für fünf Jahre ausgelegt werden und zur einen Hälfte vom Staat, zur anderen Hälfte von den beteiligten Partnern finanziert werden.

In der roten Biotechnologie sind das die National Genomics Initiative (NGI), das Zentrum für Translationale Molekularmedizin (CTMM), das Life Sciences  Health Top Institute Pharma (TI) und das Biomedical Materials Program (BMM). Die drei Letzteren haben im vergangenen Jahr ihren Schwerpunkt auf personalisierte Medizin gelegt und einer Meldung vom Februar 2010 zufolge 28 Millionen Euro in Projekte der personalisierten Medizin investiert. 

  • Netherlands Genomicsinitiative (NGI)
    Sechzehn Genomzentren, die sich wiederum jeweils aus universitären und privatwirtschaftlichen Partnern zusammensetzen, sind in der NGI vernetzt. In der zweiten Förderperiode von 2008 bis 2012 unterstützt die Regierung die NGI mit 280 Millionen, durch Eigenleistung der beteiligten Partner wächst das erwartete Budget auf 500 Millionen Euro an. 
  • Top Institute Pharma (TI Pharma)
    In diesem Netzwerk arbeiten 45 private und 28 öffentliche Partner daran, Medikamente für bisher wenig erforschte, aber medizinisch notwendige Indikationen zu entwickeln.
  • Center for Translational Molecular Medicine (CTMM)
    Das Zentrum für translationale Molekularmedizin widmet sich der Erforschung von personalisierten Therapien für große Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs. Beteiligt sind 83 industrielle und 22 öffentliche Partner.
  • String of Pearls Initiative
    In der Initiative sind acht Universitätskliniken der Niederlande zusammengeschlossen. Ziel ist es, durch einen intensiven Austausch an Daten und Biomaterialien die biomedizinische Forschung zu verstärken.
  • BioMedical Materials program (BMM)
    In dieser PPP geht es um die Entwicklung von neuen bioverträglichen Materialien und Werkstoffen für die Anwendugn in der Medizin. Bis 2012 stehen 90 Millionen Euro zur Verfügung.

Für die "grüne" Biotechnologie gibt es zwei PPP, das Top Institute Green Genetics und das Food and Nutrition Delta Innovation Program.

 In der "weißen" Biotechnologie gibt es ebenfalls Netzwerke. Das größte ist das

Um mehr Forschungsideen als Produkte erfolgreich am Markt zu platzieren, beschloss die Regierung 2008 das Life Sciences and Health Program (LSH). Ziel des Programms ist es, die Zahl der Produkte in der klinischen Zulassungsphase  zu verdoppeln, Forschungsergebnisse stärker als bisher zur Marktreife zu bringen und den inländischen Unternehmen damit eine bessere Ausgangsposition für internationale Kooperationen zu verschaffen. Das im Rahmen von Eurotransbio über EU-Gelder geförderte Programm gibt Zuschüsse und Darlehen für risikoreiche High-Tech-Vorhaben in den Lebenswissenschaften. Das Programm wird von drei PPPs getragen: dem CTMM, TI Pharma und dem BMM.

Rechtliche und politische Grundlagen

Die erste niederländische Branche (neben der Pharmaindustrie), welche von der Biotechnologie ganz praktisch profitierte, waren die holländischen Floristen. 1993 wurden die ersten genetisch veränderten Nelken zugelassen. Zuletzt wurde im Dezember 2010 an der Universität Wageningen eine Kartoffel mit größeren Stärkekörnern entwickelt. Tatsächlich werden aber laut der Internetseitet GMO Compass derzeit keine gv-Pflanzen kommerziell in den Niederlanden angebaut.

Wie das Beispiel der vom deutschen Unternehmen BASF entwickelten Stärkekartoffel Amflora zeigt, die in den neunziger Jahren entwickelt und 2009 zum ersten Mal angebaut wurde, kann es bis zu ihrem Markteintritt noch dauern. Abzusehen ist aber jetzt schon, dass die Niederländer dieser Kartoffel und weiteren gentechnisch veränderten Pflanzensorten der Zukunft aufgeschlossener gegenüber stehen werden als ihre deutschen Nachbarn. In der aktuellen Ausgabe des Eurobarometers Biotechnologie, das im Jahr 2010 die Einstellung von Bürgern aus allen 27 EU-Mitgliedern zu den Lebenswissenschaften abfragte, wiesen 53% der Niederländer der Biotechnologie eine positive Auswirkung auf unser zukünftiges Leben zu. Negative Effekte vermuteten nur 25%. In Deutschland ist die Gruppe der Optimisten deutlich kleiner (42%) und die der Pessimisten größer (33%).

Eurobarometer Biotechnologie 2010

Die Einstellung der Niederländer zur Biotechnologie, zur Gentechnik und zur Stammzellforschung liegt im europäischen Durchschnitt, wie die 2010 durchgeführte europaweite Eurobarometer-Umfragezur Biotechnologie zeigt.

zum Report: pdf-Download

zur Einzelauswertung Niederlande auf Englisch: pdf-Download

Diese aufgeschlossene Haltung setzt sich auch bei Detailfragen fort. So finden 73% der Befragten in den Niederlanden, dass Entwicklung und Produktion von Biokraftstoffen weiter gefördert werden soll, bei der Frage von nachhaltigen Biokraftstoffen sind es sogar 91%. In Deutschland sind es nur 64% beziehungsweise 83%. Die Methode, in der Gentechnik einzelne artfremde Gene einzusetzen, lehnen 57% der Niederländer ab, bei artverwandten Genen ist die Situation ausgeglichen: 46% lehnen auch dieses Verfahren ab, 48% hingegen haben nichts dagegen. In Deutschland sind es 69% beziehungsweise 47% und 45%. Ob bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln, Klonen von Tieren oder Forschung an menschlichen Embyronen: der Anteil der  Befürworter biotechnologischer Methoden ist in den Niederlanden konstant um rund zehn Prozent höher (bzw. der Anteil der Ablehnenden um zehn Prozent niedriger) als das in Deutschland der Fall ist. Das ist aufgrund der skeptischen Haltung der Deutschen auch nicht besonders schwer, die Niederländer liegen mit ihrer Meinung ziemlich genau im europäischen Durchschnitt.

In den Niederlanden gibt es ein gut entwickeltes System von politischen Richtlinien für Wissenschaft, Technik und Innovation, welche regelmäßig geprüft und überarbeitet werden. Verantwortlich für biotechnologisch relevante politische Richtlinien sind in den Niederlanden das Wirtschaftsministerium (Ministerie van ekonomische Zaken, MOeZ) und das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft. Während ersteres die Richtlinien für industrielle Forschung und Entwicklung sowie Innovation verantwortet, gestaltet das Bildungsministerium die Innovationspolitik im Bezug auf wissenschaftliche Forschung und Ausbildung.

Im Zeitraum von 2002-2005 förderte die niederländische Regierung die Biotechnologie mit 523,9 Mio Euro, wobei laut BioPolis-Report 75% der Mittel über spezifische Förderprogramme vergeben wurden, und sich gleichmäßig auf die Biotech-Branche und allgemeine Forschungsförderung verteilen. 

Der Schwerpunkt der niederländischen Politik in Bezug auf die Biotechnologie liegt in der industriellen und angewandten Biotechnologie. Besonders in den vergangenen Jahren war die Entwicklung biotechnologischer Produkte bis zur Marktreife mit 50% der eingesetzten Mittel der eindeutige Fokus staatlicher Förderprogramme. An zweiter Stelle steht die Grundlagenforschung, für die 25% der insgesamt vorhandenen Mittel verwendet wurden. Das übrige Viertel verteilt sich auf die Förderung von Firmengründungen, von Kooperationen von öffentlichen Forschungseinrichtungen und Industrie, und nicht zuletzt  der öffentlichen Akzeptanz von Biotechnologie.

In der Forschungsförderung steht, wie in den meisten Ländern, die Grundlagenforschung an erster Stelle, gefolgt von der Ernährungsbiotechnologie, welche die andernorts an zweiter Stelle rangierende medizinische Biotechnologie auf den dritten Platz verweist. An vierter Stelle steht die industrielle Forschung, was auf das starke private Forschungsengagement der niederländischen Biotech-Industrie zurückzuführen ist. Biotechnologische Forschung mit Tieren wird in den Niederlanden nicht gefördert.

Verglichen mit den 90er Jahren hat die niederländische Regierung ihre Ausgaben für Biotechnologie zu Beginn der 2000er Jahre verdoppelt. Dies ist maßgeblich auf zwei Programme zurückzuführen: Die Netherlands Genomics Initiative und zu einem geringeren Maß das TechnoPartner/ BioPartner-Programm. Mit diesen Programmen wurde ein Schwerpunkt auf die industrielle Verwertung von Forschungsergebnissen, die Firmengründung und die öffentliche Akzeptanz der Biotechnologie gelegt.

Der Life-Sciences Action Plan

In den Niederlanden wurde im Jahr 2004 eine Initiative in den Lebenswissenschaften mit dem Titel "Life sciences action plan 2004: breaking away from the pack" vom Wirtschaftsministerium erstellt. In fünf „Aktionslinien“ sollen unternehmerische Initiative in den Life Sciences gefördert, die Gesetze und Richtlinien vereinfacht, die Kommunikation der staatlichen Stellen intensiviert sowie die Wissensbasis und internationale Netzwerkbildung gestärkt werden.

Gesetzgebung

Die niederländische Gesetzgebung ist um einiges liberaler als die deutsche, geht jedoch nicht so weit wie  beispielsweise Großbritannien und Belgien. Bis 2002 waren die Niederlande in der Verwendung menschlicher Stammzellen zu Forschungszwecken nicht festgelegt, Forschungsanträge in diesem Bereich wurden durch das Central Committee for Research Involving Human Subjects (CCMO) nach Maßgabe eines Regierungsmemorandums von 1995 geprüft. Gemäß diesem Memorandum war die Forschung an humanen embryonalen Stammzelllinien nur dann zulässig, wenn diese bereits etabliert waren. Ihre Neugewinnung war verboten.

2002 verabschiedete das Parlament den „Embryo Act“, der nicht nur die bisherige Praxis der Forschung an etablierten Stammzelllinien gesetzlich festschrieb, sondern auch die  Neugewinnung menschlicher Stammzellen aus Embryonen erlaubte. Einzige Voraussetzung war, dass es sich dabei um überzählige Embryonen einer künstlichen Befruchtung handelte, die jetzt mit Einwilligung ihrer „Spender“ in den ersten 14 Tagen nach der Befruchtung verwendet werden dürfen. Die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken ist in den Niederlanden verboten. Ebenso gibt es strenge Einschränkungen in der Präimplantationsdiagnostik. Das Klonen von Menschen und Tieren, auch zu therapeutischen Zwecken, sind analog zur EU-Gesetzgebung in den Niederlanden verboten, ebenso wie Versuche in der Kombination menschlicher und tierischer Zellen und Xenotransplantationen. Versuche mit Tieren, auch als Vorstufe zu Xenotransplantationen, sind jedoch erlaubt.

2004, nach jahrelang erfolgreichem Widerstand, hat die niederländische Regierung ein nationales Patentrecht für biotechnologische Entdeckungen verabschiedet und damit die entsprechende EU-Richtlinie vor allem auf Druck der Industrie umgesetzt.

Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ist in den Niederlanden erlaubt, kommerziell werden jedoch derzeit weder der Mais MON810 noch die Amflora-Kartoffel angebaut. Das Vorgehen ist im Umweltmanagementgesetz (Wet Milieubeheer en het Inrichtingen en Vergunningenbesuit Milieubeheer) festgeschrieben. 2004 verständigten sich die Dachverbände von Verbrauchern, Landwirtschaft, Pflanzenzüchtern und Ökobauern nach langer öffentlicher Diskussion auf ein Regelwerk zum Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Das Dokument „Koexistenz Primärproduktion“ wurde von diesem so genannten „van-Dijk-Komitee“ an den Landwirtschaftsminister übergeben und auf Basis des Reports ein Gesetz ausgearbeitet. So wurden im Europavergleich sehr geringe Mindestabstände zu nicht-gv und Bio-Anbaufeldern festgelegt, und Regeln zur Haftung bei Verschmutzung vereinbart. Für unklare Fälle wurde außerdem ein Haftungsfonds eingerichtet. In den Niederlanden sind 18 gv-Lebensmitttel auf dem Markt (Stand 2006), womit das Land nach Tschechien in Europa den zweiten Platz einnimmt. Entsprechend der europäischen Gesetzgebung müssen gv-Lebensmittel gekennzeichnet werden, anders als in Deutschland ist jedoch der Hinweis „ohne Gentechnik“ verboten.

Hintergrund

Unternehmen: 221 (OECD-Zählung)

Schwerpunkt: medizinische und industrielle Biotechnologie

Branchenverband: BioFarmind
www.biofarmind.nl

Größtes PPP-Netzwerk: National Genomics Initiative
www.genomics.nl

Forschungsförderung
www.lifescienceshealth.com

Rechtliche Grundlagen
Forschung mit Stammzellen erlaubt, keine Stichtagsregelung, erstes europäisches Land mit Koexistenzregelung für gv- und konventionellen Anbau, Freilandversuche, jedoch bisher kein kommerzieller gv-Anbau

Internationale Kooperationen

www.internationale-kooperationen.de

Sie interessieren sich für Kooperationen mit Hochschulen und Unternehmen im Ausland? Das internationale Büro des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unterstützt einen solchen Austausch. Mehr Informationen zu möglichen Förderprogrammen und länderspezifische Hintergründe finden Sie unter:

www.internationale-kooperationen.de


Downloads

Eurobarometer Biotechnologie 2010

vollständiger Report auf Deutsch Download PDF (8,2 MB)

Eurobarometer Biotechnologie 2010 Niederlande

Detailauswertung Niederlande englisch Download PDF (1,6 MB)

Biopolis Netherlands 2007

National Report of the Netherlands Download PDF (542,7 KB)